„Ja, ich darf das“

Patchwork Lisa Cossham ist Teilzeitmutter. Eine Woche leben ihre Kinder bei ihr, eine Woche beim Exmann. Er wird dafür gelobt – und sie kritisiert
Ausgabe 04/2017

Jede zweite Woche wird es in Lisa Cosshams Wohnung etwas lauter, Klamotten liegen herum, Schulbrote werden geschmiert. Ihre Kinder leben abwechselnd bei ihr und ihrem Exmann. In der Sprache der Patchwork-Familien heißt das „Wechselmodell“. Für Cosshams Familie funktioniert das gut, als die Journalistin ihre Erfahrungen damit aber in einer Kolumne verarbeitete, erlebte sie viele Anfeindungen im Netz. Sie wurde als „Rabenmutter“ abgewertet, während der Vater für sein Engagement gelobt wurde.

der Freitag: Frau Cossham, nachdem Ihre Kinder eine Woche bei Ihnen verbracht haben, müssen Sie sich montagmorgens von ihnen verabschieden. Birgt das Wechselmodell mehr Nach- als Vorteile für Sie?

Lisa Frieda Cossham: Das Abschiednehmen ist schwer. Die Hälfte der Kindheit fehlt einem quasi. Man weiß in der zweiten Woche nicht, wie es ihnen geht und was sie erleben. Bis es zu einem normalen Zustand für mich wurde, hat es ein Jahr gedauert. Aber auf der Gegenseite bedeutet das, dass ich zum ersten Mal überhaupt Zeit für mich allein hatte: Morgens ein bisschen trödeln oder abends länger arbeiten, das geht nur in den Wochen ohne Kinder.

Sie bezeichnen sich als „Teilzeitmutter“. Sind Sie nicht Vollzeitmutter, die ihre Kinder nur eben jede zweite Woche sieht?

Das Wort nimmt Bezug auf die erste Unsicherheit, die nach der Trennung kam. Dabei geht es nur um den Begriff der Zeit, nicht um das grundsätzliche Mutter-Gefühl. Seine Kinder nur dann zu sehen, wenn man mit ihnen verabredet ist, ist ein ungewohntes Gefühl. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich heute die Kinder so viel weniger sehe als früher, weil ich immer viel unterwegs war.

In Ihrem Buch schreiben Sie: „Mutter sein, hatte ich für mich entschieden, sei etwas eher Privates, und jemand, der das zu einem Thema macht, peinlich.“ Warum sind Sie dann doch an die Öffentlichkeit gegangen?

Vor allem, um meinen Kummer zu bewältigen. Ich dachte, wenn es so viele Mütter gibt, die das Wechselmodell leben, wieso redet dann keine darüber? Ich hatte eine Kollegin, die das schon ein Jahr hinter sich hatte und die auf das Positive schauen konnte: die Zeit für sich und das Erstarken als Frau. Während ich immer noch rückwärtsgewandt war und die Zeit für mich allein als Verlust empfand. Das wollte ich verarbeiten, ohne einen Ratgeber schreiben zu wollen. Jeder muss für sich selbst überlegen, wie man Familie nach einer Trennung gestalten kann.

Zur Person

Lisa Frieda Cossham, geboren 1979, arbeitet als freie Journalistin und ist Mutter zweier Kinder im Teenageralter. Ihre Erfahrungen als Teilzeitmutter hat sie in ihrem Buch Plötzlich Rabenmutter? Wie ich meine Familie verließ und mich fragte, ob ich das darf aufgeschrieben

Foto: Olga Kessler

Haben Sie die Rabenmutter-Vorwürfe überrascht?

Ich habe das überhaupt nicht verstanden, weil in meinem Umfeld niemand so kritisch reagiert hat. Im Netz wurde mir vorgeworfen, mir fehle ein Mutterinstinkt, da ich die Kinder freiwillig die Hälfte der Zeit dem Vater überlasse. Da wurde mir klar: It’s a man’s world. Da bin ich echt naiv gewesen. Ich wusste nicht, dass das traditionelle Mutterbild noch so präsent ist. Doch auch ich hatte anfangs Schuldgefühle – und die waren viel reaktionärer, als ich vermutet hatte.

Von wem kamen die vielen Hass-Kommentare?

Hauptsächlich von Müttern. Jede denkt in Bezug auf Kinder, Erziehung und Familie, sie sei eine Expertin. Das hatte ich irgendwann verstanden, aber dabei herrschte ein ziemlich rauer Ton, mit dem ich zuvor nie konfrontiert worden war. Sie schrieben: „Jammermama“, „Heulboje“, „Geh nach Hause“ und „Nerv nicht“.

Zu dem Wechselmodell gehören auch Privilegien. Beispielsweise, dass jeder eine eigene Wohnung mit zwei Kinderzimmern hat. Ist es auch eine Neiddebatte unter den Kommentierenden?

Auf jeden Fall. Wenn ich sage: „Toll, dieses Teilzeitmodell“, dann liegt das natürlich auch an meinem Ex-Partner. Denn ein Wechselmodell funktioniert nur zu zweit. Vieles muss stimmen: Man muss nah beieinander wohnen, sich gut verstehen, ähnliche Erziehungsvorstellungen haben. Ich weiß, dass es ein Glück ist, dass wir dieses Modell so leben können. Aber viele werten andere Familienformen ab, um sich selbst zu bestätigen. Ich finde, wir sollten mit den Verurteilungen aufhören. Es gibt auch kein Mustermodell für jeden.

Einige werfen Ihnen vor, Sie redeten nur über Ihre Kinder, andere unterstellen Ihnen, Sie vernachlässigten sie – widersprüchliche Kritik. Versuchen Sie trotzdem, sich zu rechtfertigen, oder hören Sie nicht darauf, was andere dazu sagen?

Im Alltag mit meinen Kindern kann ich das ausklammern. Aber es gibt auch Tage, an denen ich denke, dass ich vieles aus ihrem Leben nicht mitbekomme. Ich habe aber den Eindruck, Mütter unterliegen einem „Glücksdiktat“ – Zweifel an der eigenen Rolle sind nicht erwünscht.

Die Debatte, was eine gute Mutter ist, ist aber nicht neu ...

Ja, eine ähnliche Debatte gab es um die Studie Regretting Motherhood, in der Frauen aus Israel erzählten, dass sie ihre Mutterschaft bereuen. Mütter dürfen ein bisschen überfordert sein im Alltag, aber das war‘s. Das finde ich komisch, weil wir in allen anderen Bereichen ständig an uns rumschrauben und uns selbst spiegeln sollen. Aber wenn das Mütter in einer kritischen Art machen, greift das viele an.

Die Diskussion um „Regretting Motherhood“ war gerade in Deutschland sehr groß. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Ich glaube, wir wachsen immer noch mit typischen Rollenbildern auf, die scheinbar allgemeingültig sind. Auch für mich war es ein Prozess, mich von dem Bild zu lösen: Eine gute Mutter ist eine, die permanent da ist. Das mag daran liegen, dass das Betreuungssystem noch nicht richtig etabliert ist. In Frankreich ist es normal, sein Kind abzugeben. Doch viele Mütter möchten auch nicht arbeiten. Da hört man öfter: „Ich kriege doch keine Kinder, um sie dann fremdbetreuen zu lassen.“ Ich finde, das soll jeder halten, wie er möchte. Das ist nur kaum möglich, wenn alle nur auf die anderen schauen und sie kritisieren. Man muss den Druck von den Müttern nehmen, alles richtig machen zu müssen.

Der Untertitel Ihres Buches lautet „Wie ich meine Familie verließ und mich fragte, ob ich das darf“. Fragen Sie sich das noch?

Die Frage stellte ich mir in den ersten Monaten nach der Trennung immer. Ich hatte das Gefühl, da mein Exmann die Familie aufrechterhalten wollte, dass er der bessere Familienmensch sei. Da gab es eine riesige Unsicherheit bei mir, und ich glaube, die müsste so nicht sein, wenn man ein anderes Selbstbewusstsein hätte. Dass man eine gute Mutter sein kann, auch wenn man getrennt lebt. Aber es dauert, bis man weiß, wie man auch in der Hälfte der Zeit eine gute Mutter sein kann. Heute kann ich die Frage beantworten und sagen: Ja, ich darf.

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