Stumpfe Gewalt

Wohnungsmarkt Sie sollte viele Probleme lösen, doch die Mietpreisbremse wirkt nicht. Wo liegen die Fehler des Gesetzes?
Ausgabe 38/2018
Stumpfe Gewalt

Illustration: der Freitag, Material: Golero, KristianSeptimiusKrogh + Rosshelen/Istock

Vor drei Jahren knallten die Sektkorken. Gemessen an dem unter Kanzlerin Merkel sonst so nüchternen Gesetzgebungsprozess, kamen die Regierungsstimmen beim Beschluss für eine Mietpreisbremse im Bundestag am 5. März 2015 einem Jubelorkan gleich, in dem die Skepsis der Opposition nicht einmal mehr zur Spaßbremse taugte. Heiko Maas (SPD), damals noch Justizminister, sprach von einem „verdammt guten Tag für die Mieterinnen und Mieter“. Die CDU wiederum jauchzte, sie sorge dafür, „dass Wohnen auch in den Zentren für die Menschen bezahlbar bleibt“. Andreas Geisel (SPD), der in Berlin als Stadtentwicklungssenator amtierte, sah in dem Gesetz einen „Meilenstein für den Mieterschutz“. Es schien, als habe die Politik in Deutschland, in dem 57 Prozent der Bevölkerung zur Miete wohnen, das Recht auf bezahlbares Wohnen endlich ernst genommen.

Die Idee hinter der Regelung ist einfach: Für neu abgeschlossene Mietverträge in Ballungsräumen gilt seitdem, dass die Miete nur maximal zehn Prozent über jener Miete liegen darf, die in der Umgebung durchschnittlich für eine vergleichbare Wohnung bezahlt wird. Heute zweifelt selbst in den Regierungsparteien niemand mehr ernsthaft daran, dass die Mietpreisbremse gescheitert ist. Mehrere Korrekturen hat sie schon erfahren, jetzt hat sich die Bundesregierung geeinigt auf den „Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung der Regelungen über die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn und zur Anpassung der Regelungen über die Modernisierung der Mietsache“. Für einen Laien ist schon dieser Titel kaum zu verstehen. Mit dem zugehörigen Textungetüm ist es nicht besser. Da müssen Experten helfen.

Die Juristin Eve Raatschen vom Hamburger Verein „Mieter helfen Mietern“ erkennt in den Maßnahmen „in keiner Weise eine Verbesserung“. Eine wichtige Neuerung sei die Auskunftspflicht: Mieter müssen künftig schon vor Vertragsabschluss vom Vermieter erfahren, ob die Miete höher ist als zulässig. Falls dies der Fall sein sollte, kann der Mieter dies offiziell rügen. Welche Miete der Vormieter zuletzt gezahlt habe, müsse der Vermieter jedoch nicht mitteilen. Eine entsprechende Initiative der SPD blockieren CDU und CSU bislang. Darum hält Raatschen die Korrektur für Augenwischerei, zumal es ohnehin ein Machtgefälle zwischen Mieter und Vermieter gebe. Letzterer könne sich für jemanden entscheiden, der die höhere Miete akzeptiere.

Lukas Siebenkotten, der Direktor des Deutschen Mieterbundes, sieht das ähnlich. Er verweist auf Studien, denen zufolge je nach Ort zwischen 40 und 90 Prozent der Vermieter sich nicht an die Mietpreisbremse halten. Sanktionen haben sie nicht zu befürchten, und potenzielle Mieter befänden sich im Konkurrenzkampf: „In dem Moment, da man auch nur ansatzweise sagt, dass man dem Mietpreis kritisch gegenüberstehen könnte, gibt es noch 50 bis 80 weitere in der Warteschlange, die wegen der Wohnungsnot den Preis akzeptieren werden.“

Das dürfte ein wichtiger Grund dafür sein, dass die Suche der Stiftung Warentest nach erfolgreichen Mietpreisbremsungen so erfolglos verlief. Kürzlich veröffentlichte sie eine Tabelle, die alle Fälle auflistet, in denen Mieter das geltende Recht juristisch durchgesetzt haben. In den meisten Städten fand die Stiftung Warentest keinen einzigen Fall, in München ist es einer, in Hamburg sind es sechs Fälle. Berlin fällt mit 113 Fällen aus dem Rahmen, wobei die Dreieinhalbmillionenstadt bei der Einwohnerzahl im bundesweiten Vergleich ohnehin eine Sonderstellung einnimmt.

Sonderfälle, Sonderfälle

Für Siebenkotten besteht der Geburtsfehler des Gesetzes darin, dass es mit zu vielen Ausnahmen ausgestattet sei. So gelte die Mietpreisbremse nicht bei Neubauten, die nach dem 1. Oktober 2014 zum ersten Mal vermietet wurden. Sie gilt auch nicht, wenn es bestimmte Renovierungen gab. Und: Was ein Vormieter für eine Wohnung bezahlt hat, darf ein Vermieter auch von Nachfolgern verlangen. Es gibt also eine Art Bestandsschutz für Mieten.

Die Union habe die Sonderfälle in der vergangenen Legislaturperiode gegen die SPD durchgesetzt und damit „die Mietpreisbremse zu einem stumpfen Schwert gemacht“. Eine unter Vermietern besonders beliebte Methode zur Umgehung der Mietpreisbremse sei es, die Kosten für sogenannte Modernisierungsmaßnahmen auf die Miete umzulegen. Wenn etwa der Einbau eines Balkons 12.000 Euro kostet, dann darf der Vermieter elf Prozent der Kosten auf den Mieter abwälzen. Das würde die Jahresmiete um monatlich 110 Euro erhöhen. Daran wird auch die bevorstehende Gesetzesverschärfung wenig ändern. Nach der Neuregelung sinkt der zulässige Anteil für die Dauer von zunächst fünf Jahren lediglich von elf auf acht Prozent.

Das sei bei dem derzeitigen Zinsniveau nicht angemessen, sagt Reiner Wild vom Mieterverein Berlin: „Die Mietsteigerungen nach Modernisierungen werden weiter dramatisch hoch sein. Vermieter werden einfach das Investitionsvolumen erhöhen.“ Er sähe es am liebsten, wenn diese Umlagemöglichkeit komplett gestrichen würde. Das aber wird unter der aktuellen Regierungskoalition nicht passieren, denn die beschlossenen Justierungen sind bereits der härteste Kompromiss, auf den sich die Unionsparteien einlassen wollten. Nur die Bundestagsfraktionen von Linkspartei und Grünen fordern bislang, dass die Mietpreisbremse ohne Ausnahmen flächendeckend und unbefristet gilt. FDP („ordnungspolitisch falsch“) und AfD („planwirtschaftlicher Eingriff“) lehnen das Gesetz aus ähnlichen Gründen prinzipiell ab.

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