Was auch sonst

Mit Sex ist es wie mit einem Shuttleflug zur Internationalen Raumstation - solange er sich nur im Fernsehen abspielt, hat man nicht allzu viel davon. ...

Mit Sex ist es wie mit einem Shuttleflug zur Internationalen Raumstation - solange er sich nur im Fernsehen abspielt, hat man nicht allzu viel davon. Wobei ein virtueller Rundflug über unseren Heimatplaneten zumindest einen anderen Blickwinkel auf die Welt gestattet. Zugegeben, bis zu einem gewissen Grad vermögen Bettszenen das auch. Aber lohnt es sich wirklich, extra dafür aufzubleiben? Der Zauber einer durchwachten spacenight ist unbestritten. Man schwebt auf Astraltriebwerken hoch über dem Stillen Ozean und hört Bob Marley dabei. Außerdem kann man hinterher mitreden, so von wegen: Mikronesien ist aber wirklich klein. Das ist mit einem Kamerarundflug über kopulierende Körperwelten schon etwas anders. Ich meine, es mag ja sein, dass Demi Moores Po schön ist. Aber was nützt mir das, wenn ich ihn nicht anfassen kann? Na ja, Mikronesien kann ich auch nicht anfassen.

Ich werde schon immer stutzig, sobald sich ein Mann und eine Frau im Film rein zufällig begegnen. Die Handlung mag noch so knifflig sein, die Dialoge geschliffen wie Brillanten, doch irgendwann fangen die Zwei an zu knutschen, und wenn dann noch eine schwüle Mucke einsetzt, klingeln bei mir die Alarmglocken. Natürlich ist mir klar, dass sich die Leute aus dramaturgischen Gründen küssen müssen. Nur, was habe ich damit zu tun? Es interessiert mich einfach nicht, wie es aussieht, wenn sich zwei Fremde gegenseitig die Zunge in den Mund stecken. Ich will nur, dass der Film weitergeht. Doch stattdessen begeben sich die Beiden kunstfertig in die Waagerechte, und es ist glasklar, der Film ist futsch. Vielleicht gelingt es dem Regisseur später mit Finesse oder explodierenden Autos noch was zu richten. Aber für den Moment kann man eigentlich nur aufs Klo gehen. Wenn man gerade nicht muss, hat man eben den Schwarzen Peter, denn dann ist man dem Ganzen von vorn bis hinten schutzlos ausgeliefert. Und das heißt nervtötende, öde, scheinbar niemals enden wollende, zähflüssige Langeweile. Bettszenen im Fernsehen sind wohl so ziemlich das Langweiligste, was die menschliche Spezies jemals ausgebrütet hat. Wenn man sich obendrein vor Augen führt, dass die Ekstase nur gespielt ist, dann bekommt das Wort "Verhohnepipelung" eine völlig neue Dimension. Von Stumpfsinn paralysiert gafft man auf das triste Treiben und hakt im Kopf genervt die nächsten Schritte ab: Soso, jetzt wird ihr Schenkel sichtbar. Nun arbeitet er sich langsam hoch. Dann beißt er ihr zärtlich in den Hals, und sie beugt den Kopf nach hinten und stöhnt leise "ah". Was soll sie auch sonst tun? Platzen?

Immer, wenn ich eine Bettszene im Fernsehen sehe, habe ich das deutliche Gefühl, irgendetwas verkehrt zu machen. Es ist diese Ahnung, zur richtigen Zeit am falschen Ort zu sein. Da ist Tamtam auf Teneriffa, in der City tobt der Bär, in meiner Küche springt der Kühlschrank an und ich bin nicht dabei. Bettszenen können mir echt gestohlen bleiben. Es sei denn, sie finden demnächst in der internationalen Raumstation statt. Allerdings dürfte dabei keiner angeschnallt sein. Nur zur Sicherheit. Damit es nicht wieder langweilig wird.

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