Der Multimanager

Porträt Frank-Jürgen Weise hat dafür gesorgt, dass Asylentscheidungen endlich schneller fallen. Er hat noch mehr Jobs
Ausgabe 28/2016
Im Jahr 2005 übernahm Weise bereits die Arbeitsagentur
Im Jahr 2005 übernahm Weise bereits die Arbeitsagentur

Foto: Commonlens/Imago

Das Fernsehen zeigte tausende Menschen, die über den Balkan in Richtung Deutschland liefen. Doch wie groß seine Aufgabe tatsächlich werden würde, erfuhr Frank-Jürgen Weise erst im Keller. Bei einer Begehung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg stand der neue Behördenchef plötzlich vor Stapeln gelber Postkisten. Als er wissen wollte, was darin ist, lautete die Antwort: Pässe. Es waren Reisedokumente, die Flüchtenden abgenommen worden waren, um sie zu registrieren. Das Chaos war so groß, dass die Menschen von ihren Papieren getrennt wurden. Nicht von Schleppern, nicht weggeworfen, sondern durch den Lapsus deutscher Beamter.

Als Weise im September vergangenen Jahres das Bundesamt übernahm, hallte ein Beifallssturm durchs Land. Der 64-jährige Betriebswirt und Exsoldat sei der perfekte Mann für den schwersten Job der Republik. Die Aufgabe bestand darin, die Behörde im Eiltempo fit zu machen, um eine Million Asylentscheidungen zu fällen.

Nachdem es auch unter Weises Leitung lange gehakt hatte, scheint es nun voran zu gehen. Im ersten Halbjahr 2016 ist es dem Manager mit seiner Behörde gelungen, über das Schicksal einer Viertelmillion Flüchtlinge zu entscheiden. Das ist viel mehr, als die Beamten bisher schafften. Allerdings sind immer noch rund 400.000 Fälle unbearbeitet. „Wir hängen also etwa ein Quartal zurück.“

Aber das ist lange nicht alles, was Frank-Jürgen Weise zu tun hat. Sein eigentlicher Job besteht darin, über drei Millionen Arbeitslose zu verwalten. Dazu leitet er die größte deutsche Regierungsorganisation überhaupt – die Bundesagentur für Arbeit mit ihren 105.000 Beschäftigten. Kann man gleich zwei Riesenbehörden mit insgesamt vier Millionen zu betreuenden Menschen gut organisieren? Das war die entscheidende Frage, und Angela Merkel beantwortete sie mit Ja. Wenn einer die „Wir-schaffen-das“-Kanzlerin retten konnte, dann Weise.

Aber es steht noch ein zweite Frage im Raum: Ist es überhaupt erlaubt, gleich zwei Mammutbürokratien zu leiten? Immerhin muss jeder Studienrat bei Nebentätigkeiten um Erlaubnis bitten. Beim Migrationsamt aber ging es um die Bewältigung einer der größten Migrationsbewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Darf man das dann? Die Antwort heißt: Nein. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit darf laut Gesetz nicht zugleich Leiter einer obersten Bundesbehörde sein. Die Bundesregierung machte es trotzdem, sie nutzte dafür einen Trick. Auf dem Papier ist Weise nicht Präsident des Bundesamts, nein, er leitet die „fachliche Weiterentwicklung“. Offiziell ist Weise also nicht oberster Asylentscheider, sondern Verwaltungsmodernisierer.

Faible für das Reformieren von Organisationen

Fraglos ist Weise einer der erfolgreichsten deutschen Spitzenbeamten, genauer: Spitzenmanager. Sein Meisterstück vollbrachte er, als er im Jahr 2005 die Bundesagentur für Arbeit übernahm. Auch damals war er als Feuerwehrmann gerufen worden, denn die Agentur hatte ein Minus von fünf Milliarden Euro und fast sechs Millionen Arbeitslose zu verwalten. Zusammen mit dem Arbeitsmarkt schaffte Weise das Unerwartete: Er drehte das Budget der Bundesagentur ins Plus. Und er reformierte den unbeweglichen Koloss in Nürnberg.

Das Reformieren von Organisationen ist Weises Faible. Er begann damit als Wehrpflichtiger. Der junge Rekrut ärgerte sich, dass bei der Bundeswehr „alle Führungsfehler gemacht werden, die man im Umgang mit Menschen machen kann“. Und trotzdem, oder vielleicht deswegen wurde er Berufsoffizier. Nach seiner Offizierszeit trat er als Gründer und Manager auf, brachte ein Unternehmen an die Börse und verkaufte es. Anfang der 2000er Jahre ging er als Finanzvorstand zur Bundesagentur – und schlüpfte erneut in die Rolle des Reformators.

Nun leitet er die Bundesagentur für Arbeit und zugleich das Bundesamt für Flüchtlinge – das sollte Vorteile bringen. Als Chef der Bundesagentur verfügte Weise über Tausende Mitarbeiter, die der Oberst der Reserve gewissermaßen abkommandieren konnte. Das jedenfalls war der Plan, den Weise und die Regierung hatten. Allerdings stellte sich nach einiger Zeit heraus, dass Weise seine Untergebenen gar nicht so einfach von der Arbeitsagentur in das Bundesamt verschieben kann. Mit dem Personalrat hat er Dauerstress. Insgesamt drei Klagen hat er gegen Weises Einstellungspraxis erwirkt.

Aber wer glaubt, dass sich ein Superman mit zwei Behörden abgeben würde, der irrt. Weises Multitasking-Manie geht noch weiter. Der Staatsdiener ist obendrein Chef der privaten Hertie-Stiftung. Das ist eine gemeinnützige Organisation, die ein Vermögen von einer Milliarde Euro verwaltet – eine der größten deutschen Stiftungen. Ihr Engagement reicht von der Hertie-School of Governance bis zu einer Reihe von Migrationsprojekten.

Auf der Arbeitsebene der Stiftung ist man über die Multiaktivität Weises nicht erfreut. „Jeder Vorsitzende eines Angelvereins würde angezählt, wenn er nebenher die zwei wichtigsten Jobs der Republik zu erledigen hätte“, sagt jemand aus dem Hause Hertie. In der Szene der Stifter war man schon 2014 entsetzt, als ein Staatsdiener an die Spitze einer Stiftung kam. „Stiftungen sind Einrichtungen der Zivilgesellschaft“, meint der Leiter einer anderen Stiftung. „Wenn da ein Spitzenbeamter Chef wird, können sie uns gleich verstaatlichen.“

Aber hat Weise überhaupt Zeit für die Hertie-Stiftung? Einen Tag in der Woche sei der Chef in Frankfurt, versichert der Sprecher der Stiftung. „Wir bekommen alle Entscheidungen, die wir brauchen.“ Ab 2017 soll Weise dann Hertie voll zur Verfügung stehen. Nur ein einziger Job für Frank-Jürgen Weise? Hoffentlich langweilt sich Superman nicht.

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