Der Verlierer als Killer

Wechselwirkung Labile junge Männer tragen den Terror nach Deutschland. Die mediale Aufmerksamkeit spornt sie an
Ausgabe 30/2016
Keine Panik! Attentäter wollen unsere Aufmerksamkeit. Wir sollten sie ihnen nicht geben
Keine Panik! Attentäter wollen unsere Aufmerksamkeit. Wir sollten sie ihnen nicht geben

Illustration: der Freitag

Am Ende wird Geschichte auch durch Zufälle gemacht. Seit einem Jahr plante ein Junge in der Münchner Maxvorstadt sein grausames Finale. Der unter Mobbing leidende Schüler fuhr nach Winnenden, an den Tatort seines Vorbildes, eines 15-fachen Schulmörders. Und für den Jahrestag des Attentats des Massenmörders Anders Breivik plante er einen Anschlag. Als er dann vergangenen Freitag in einem Münchner McDonald’s zu töten begann, fiel seine Tat zwischen Würzburg und Ansbach, zwei Terrorakte auf deutschem Boden. Ein Zufall – und ein Verstärker.

Der 18-jährige Deutsch-Iraner war von keiner islamistischen Zentrale gesteuert. Weil ihr mich gemobbt hat, muss ich euch jetzt alle umlegen, rief er sinngemäß einem Anwohner zu. Seit dem Erfurter Schulmassaker von 2002 heißen gekränkte Rachemörder hierzulande Amokläufer. Obwohl sie ihre Taten oft exakt planen und inszenieren. Der neunfache Mörder von München war also kein Terrorist. Dennoch hat er den Terror in Deutschland auf eine neue Stufe gehoben. Erst bei der Polizei, die durch die Ausrufung des Terrorfalls ihre ganze Waffenkammer und Einsatzbereitschaft vorzeigen konnte. Und dann bei den Medien, die nonstop berichteten.

Das alles wirkte wie eine Inszenierung: Eine unheimliche Anhäufung von Anschlägen, lokalisiert im Süden der Republik. Zunächst ein junger Asylbewerber, der in einem Würzburger Zug mit einer Axt Fahrgäste töten wollte. Dann der Münchner Schütze, der seine Taten wie in einem Killerspiel exekutierte. In der Nacht zum Sonntag dann ein 27-jähriger Syrien-Flüchtling, der sich am Rande eines Freiluftkonzerts in Ansbach in die Luft sprengte – mit 15 Verletzten. Den Opfern wie der Nation ist es einerlei, wer nun warum genau zuschlägt. Für sie ist das Personal des Terrors Realität geworden: der archaische Beilschwinger, der kalte Serienschütze, der Kamikaze-Attentäter.

Still, eher zurückhaltend

Solche Charaktere kannten wir meist nur virtuell. In den Narrativen der Ballerwelt sind die Schurken allgegenwärtig. Der sogenannte Islamische Staat (IS) versucht mit seinen Inszenierungen ebenfalls hier anzuschließen. Martialische Krieger mit Bärten, die Gefangene enthaupten und alles in die Luft jagen, was in den eroberten Städten schön ist. Das war zunächst noch weit weg, kam dann mit den Anschlägen in Frankreich und Belgien aber näher.

Terror oder Amok, was haben die Angreifer gemeinsam? Sie sind, bei genauerem Hinsehen, gar keine starken Krieger, im Gegenteil. Sie werden beschrieben als stille, zurückhaltende, ja labile Personen. Der Axt-Hauer aus dem Zug, ein angehender Bäckerlehrling, war verstört durch den Tod eines Freundes in Afghanistan. Der Ansbach-Bomber soll zwei Suizidversuche hinter sich haben. Der Junge aus München fühlte sich zutiefst gekränkt. In der Schule mobbten sie ihn wegen seiner säuselnden Stimme und seinem tollpatschigen Gang.

Ausgerechnet er, bei dem keine Verbindung zum IS besteht, wird der erfolgreichste Killer. Er hält die Millionenstadt München in Atem. Der Verkehr erstirbt, die Menschen ziehen sich zurück. Von überall her werden mobile Einsatzkommandos entsandt, die GSG 9 kommt angeflogen, eine österreichische Spezialeinheit, sogar die Bundeswehr wird in Bereitschaft versetzt – und alles für einen tapsigen Jungen, der wegen Depressionen in der Klinik war.

Der Schrecken der Deutschen ist in diesem Moment kein Terror-Mastermind wie Mussab al-Sarkawi, sondern das Produkt der gescheiterten Sozialisation durch eine Einwandererfamilie und die bayerische Schule. Der junge Mann erschoss gezielt jene, von denen er sich im Unterricht gepeinigt fühlte: Jugendliche, die meisten jünger als er. Er ähnelt damit den Schulattentätern von Littleton, Erfurt, Winnenden. Alles Außenseiter, erfolglos, gedemütigt, teils der Schule verwiesen. Der gefährlichste Krieger von heute ist der Loser aus der 10a, der sich in Killerspielen Selbstwirksamkeit und Mut antrainiert hat.

Das ist keine gute, sondern eine schlechte Nachricht. Es ist einfacher, das Mitglied einer Terrororganisation zu identifizieren, das erst Bombenbauen üben und Attentate koordinieren muss. Was aber unternimmt man gegen den in sich Gekehrten, der wegen Verächtlichmachung an seiner ultimativen Rache bastelt? Münchens Oberbürgermeister hat angekündigt, beim Oktoberfest Rucksäcke verbieten zu wollen. Sollte das am Ende das Merkmal werden? Der düstere Blick der Melancholie und der Rucksack für die Munition?

Eine Art Anerkennung

„Radikale Verlierer“ nannte der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger 2005 in einem Essay diesen Typus junger Männer, der im blutigen Finale die eigene Überhöhung sucht. Die Täter von Würzburg, München und Ansbach haben darüber hinaus wenig gemeinsam. Ein Terrorist ist am ehesten der Ansbacher Selbstmordattentäter. Auf seinem Mobiltelefon fand sich ein Bekenner-Video, in dem er sich auf den IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi beruft.

Dennoch eint die Täter eine Eigenschaft. Sie haben nämlich einen Weg gefunden, sich Anerkennung woanders zu holen, in klandestinen Parallelwelten. Für die einen ist es das Killerspiel, in dem sie alles das sind, was sie im echten Leben nicht sind: Handelnde, die durch Taten Wirksamkeit erzielen. Die anderen finden Trost im Glauben. Ihre extreme Lesart des Korans gibt ihnen Anerkennung, Struktur, ein Ziel. Wenn man so will, sind das Killerspiel und der Dschihad die besten Selbstwirksamkeitsagenturen für Gekränkte. Allerdings hat diese Art von Integration ihren Preis. Denn ihr Kitt ist der Hass.

Und beide Typen des radikalen Verlierers haben eine Mission, den Showdown als letzten großen Auftritt. Der Killerspieler baut darauf, dass sein Abgang gefilmt wird. Er bereitet das vor, indem er in Games mit dem echten Anschlag kokettiert und via Facebook zum Tatort ruft. Dem Selbstmordattentäter winkt die Aussicht auf 72 Jungfrauen im Paradies. Er ist damit die perfekte Marionette. Die Islamisten benutzen seine Tat, um sie über ihre Propagandamaschine tausendfach zu verbreiten.

Resonanzraum und Aufmerksamkeit für die Bluttaten stellt freilich jemand anderes bereit: der demokratische Diskurs, der den Westen auszeichnet. Über die Öffentlichkeit, ihre Sendekanäle, ihre Idee von Aufmerksamkeit und die schier endlosen Reichweiten sozialer Netzwerke entfaltet die Tat erst ihre Wirkung.

Die grausamste deutsche Woche seit dem Herbst 1977 mündet in der Dialektik der wehrhaften Demokratie. Die polizeiliche Potenz von „München“ war gewaltig. 2.300 Polizisten und ungezählte Terrorexperten wurden aufgefahren. Es fehlt also nicht an Schlagkraft, um dem Terror militärisch Paroli zu bieten. Der beklagenswerteste Mangel ist der an Empathie und Anerkennung für die jungen Scheiternden. Es braucht Sozialarbeiter statt Soldaten.

Die Angst bleibt. Sie entsteht in der 24-stündigen Anti-Terror-Übung, die nach dem Amoklauf in München stattfand. Der Bürger ist immer dabei, via Fernsehschirm und Smartphone. Dank der vielen Videos aus den sozialen Medien kann der Heimexperte nun mit den TV-Terrorweisen mithalten. Er fühlt sich geschmeichelt und merkt nicht, dass er genauso zur Marionette geworden ist wie der Attentäter. Ohne Liveschalte zu den Sondereinsatzkommandos keine Spannung, ohne O-Töne von Schusswechseln auch keine Angst, kurz: ohne Medien kein Dschihad. Der öffentlichkeitswirksamste Teil des Terrors sind – wir selbst.

Wir haben einst bei den Amokläufern in Schulen gelernt, dass es falsch ist, ihre Namen zu nennen und ihre Biografien zu sezieren. Dass immer mehr Kameras in Schulen Attentate mitprovozieren.

Es wird Zeit, dass wir auch beim Terror dieses dialektische Theater durchschauen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Christian Füller

http://christianfueller.com

Christian Füller

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