Als die hessische Gymnasiallehrerin Eva Ruppert von einer Kuba-Reise kommend in Berlin landet, erfährt sie, dass Erich Honecker der Prozess gemacht wird. „Jetzt muss ich was unternehmen“, sagt sich die 57-Jährige – und beschließt, ihr Idol im Gefängnis zu besuchen.
der Freitag: Frau Ruppert, Sie haben Erich Honecker 1992 im Gefängnis besucht – obwohl Sie ihn gar nicht kannten. Was hat Sie dazu bewogen?
Eva Ruppert: Ich war von Kollegen aus dem „Solidaritätskomitee Erich Honecker“ in Essen dazu eingeladen worden. Aber ich hatte schon vorher in Moskau versucht, ihn zu sehen.
Wie kam das?
Ich war als Touristin in Moskau und las, dass er hier behandelt wird. Also habe ich mich, zusammen mit einem russischen Bekannten, auf den Weg ge
Ich war als Touristin in Moskau und las, dass er hier behandelt wird. Also habe ich mich, zusammen mit einem russischen Bekannten, auf den Weg gemacht, um ihn zu finden. Das war ein bisschen verrückt. Wir sind stundenlang von Klinik zu Klinik gefahren. Quer durch tiefe russische Wälder. Ich habe dann nach Honecker gefragt ...… aber Sie können doch gar kein Russisch.Ja, das machte aber nichts. Chonekker kannte jeder. Wir fanden ihn trotzdem nicht. Aussichtslos.Placeholder infobox-1Wie viele Krankenhäuser haben Sie abgeklappert?Ich weiß nicht, vier oder fünf.Frau Ruppert, noch mal, was hat Sie bewegt, ihn zu besuchen? Sie waren eine Gymnasiallehrerin aus Bad Homburg, die vorher nie Kontakt zu Erich Honecker hatte.Ich habe diesen Mann bewundert. Er hat den besseren deutschen Staat mit aufgebaut. Und dafür sollte er nun ins Gefängnis und von der gesamtdeutschen Siegerjustiz abgeurteilt werden? Man hat ihn aus seinem Land gejagt. Das fand ich ungerecht. Das wollte ich ihm zeigen.Wie war Honecker bei Ihren Begegnungen?Beeindruckend. Ein aufrechter Mann, im Wortsinne aufrecht. Honecker trat wie ein Staatsmann auf, nicht wie ein Gefangener. Er ließ sich nicht beugen, obwohl er enttäuscht war. Aber er klagte darüber nicht. Er war sehr freundlich und warmherzig mit mir. Er stellte nicht sich, sondern mich in den Mittelpunkt des Gesprächs. Ich habe von ihm etwas gelernt.Was war das?Positiv zu denken, auch im Moment der Verzweiflung. Er hat mir Mut gemacht.Wie oft waren Sie bei Honecker?Ich weiß es nicht mehr, fünf oder sechs Mal.So oft?Ja, beim ersten Besuch in Berlin ging es ja sehr schnell. Da war kaum Zeit. Wir waren insgesamt zu viert, plus ein Justizbeamter, der aufpasste. Wir gratulierten ihm zum 80. Geburtstag. Erst bei meinen späteren Besuchen konnten wir eine halbe Stunde allein sein – bis auf den Justizbeamten, der immer im Hintergrund saß.Placeholder gallery-1Über was haben Sie gesprochen?Über Politik, über Literatur, über die Musik und die Briefe, die wir gewechselt hatten. Viel mehr ist da schwer möglich, weil man sich immer beobachtet fühlt. Deswegen habe ich auch Briefe geschrieben. Einmal habe ich sogar einen Kassiber ins Gefängnis geschmuggelt.Einen Zettel mit einer Botschaft?Ja, ich war sehr nervös. Und dann ist mir der gefaltete Zettel auch noch auf den Boden gefallen, als ich ihn Honecker zustecken wollte.Hat der Beamte das gemerkt?Nein, ich habe den Zettel unauffällig aufgehoben. Und dann Erich gegeben.Verraten Sie mir, was da draufstand?Das weiß ich doch heute nicht mehr, das ist 25 Jahre her!Frau Ruppert, Sie bringen Honecker einen Kassiber in den Knast – und wissen nicht mehr, was draufstand?Habe ich vergessen.War es eine politische Botschaft? Oder haben Sie einfach geschrieben: Ich liebe Dich?Nein, solche blöden Sachen habe ich nicht geschrieben. Das stand nicht in meinen Briefen.Placeholder infobox-2Frau Ruppert – verzeihen Sie –, waren Sie vielleicht verliebt in Erich Honecker?Was soll ich dazu sagen? Das würde ich nicht so ausdrücken. Natürlich war da Sympathie.Was zog Sie sonst an? Ruhm? Macht? Teilnehmen an Geschichte?Nein, auch wenn ich es als einen großen Moment empfunden habe, diesem wichtigen Mann der deutschen Geschichte gegenüber zu sitzen. Vielleicht, um ein bisschen von dem Unrecht auszugleichen, das ihm widerfuhr?Honecker war allerdings kein Opfer. Sondern Staatsratsvorsitzender eines Landes mit Mauer, Schießbefehl und einem ausgeklügelten Unterdrückungsapparat. Haben Sie darüber mit Honecker gesprochen?Nein.Placeholder infobox-3Haben Sie ihm nicht auch eine kritische Frage gestellt?Nein, darum ging es nicht. Ich wollte ihm helfen. Ihm zeigen, dass es Menschen gibt, die zu ihm stehen.Wie standen Sie zur DDR?Positiv. Ich bin 1987 dorthin gereist, ich war in Weimar, Leipzig und Dresden. Ich fand die Menschen sehr aufgeschlossen und hilfsbereit. Ich war angetan von der Menschenfreundlichkeit. Es hat mir viel Freude bereitet.Haben Sie einmal darüber nachgedacht, in die DDR überzusiedeln?Nein, dafür war es zu spät. Ich hatte einen Beruf, ich hatte einen Mann und drei Kinder. Ich konnte nicht alles stehen und liegen lassen.Wie ging es Ihrem Ehemann damit, dass Sie immer wieder zu einem anderen ins Gefängnis fuhren und ihm fast täglich Briefe schrieben?Das war dem egal.Wie geht das? Plötzlich beginnt eine Frau, deren Leben in ruhigen Bahnen verläuft, viele, auch tiefsinnige Briefe zu schreiben.Mein Leben verlief nie in ruhigen Bahnen. Das können Sie vergessen. Ich habe immer wieder verrückte Aktionen unternommen. Zum Beispiel, um 1980 im Erdbebengebiet im süditalienischen Potenza wochenlang zu helfen. Mein Mann hat das immer geduldet. Er hat mir in beruflichen Dingen immer viel Freiheit gelassen.Placeholder infobox-4Aber war das mit Erich Honecker denn beruflich? Sie bauten eine persönliche Beziehung zum Staatsratsvorsitzenden auf.Ja, ich habe mich sehr gefreut über die schönen persönlichen Briefe, die mir Erich Honecker schrieb. Ich glaube, dass auch ihm das Kraft gegeben hat.Waren Sie enttäuscht, als Genosse Erich aufhörte, Ihnen Briefe zu schreiben? Das war ja abrupt vorbei, als seine Knastzeit endete.Er war ja sehr krank. Es ging ihm nicht gut, als er nach Chile kam. Aber ich war natürlich traurig. Plötzlich war diese persönliche Beziehung zu Ende. Aber Margot hat mir weiter Briefe geschrieben, bis zu ihrem Tod.Margot Honecker hat den Briefwechsel übernommen, als der Haftbefehl aufgehoben und Honecker nach Chile entlassen wurde. Was ist eigentlich aus Ihren Briefen geworden, Frau Ruppert?Das weiß ich nicht. Vielleicht hat er sie mit nach Chile genommen, vielleicht sind sie auch im Gefängnis geblieben. Ich hätte sie heute gern noch mal gelesen.Placeholder infobox-5
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