Murks der Macht

Erbschaft Der Versuch, die Steuer verfassungsfest zu machen, zeigt, wie kaputt die Koalition von Angela Merkel und Sigmar Gabriel ist
Ausgabe 39/2016

Es gibt Momente, da kommt nach dem blauen Brief noch eine allerletzte Mahnung. Wenn sie eintrifft, haben moralische wie pekuniäre Schuldnerberater eine einfache Empfehlung: Senden Sie ein Zeichen! Gehen Sie auf den zu, der auf Ihre Zuwendung, Ihr Geld oder einfach auf Sie wartet, und signalisieren Sie: Ich habe verstanden. Und liefern Sie!

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Bundesregierung am Ende ist, dann hat ihn die sogenannte Reform der Erbschaftsteuer gebracht. Diese Regierung ist nicht mehr in der Lage, Signale zu senden oder gar zu liefern. Sie hat wiederholte Mahnungen des Verfassungsgerichts, die Erbschaftsteuer zu reformieren, so lange ignoriert, dass am Schluss ein ungerechtes und ineffizientes Reförmchen steht.

Das Problem der Großen Koalition ist ein doppeltes: Sie ist, erstens, de facto keine starke Zweierkoalition mit einer Mehrheit von 80 Prozent im Bundestag, sondern wir beobachten eine instabile Dreierkonstellation, bei der die kleine CSU eine übergroße Verhandlungsmacht hat; zweitens hat diese Koalition gezeigt, dass sie nicht in der Lage ist, ein substanzielles Sachproblem zu lösen. Es waren diesmal nicht nur Worte und Begriffe, mit denen die Mitglieder der Regierung bewiesen, dass (fast) nur noch Schau und Spiegelfechtereien das Ziel von Politik sind. Es ging um realen und gefühlten Reichtum, Gegenstand war die wichtige Frage: Soll – auch großes – Erbe zum gesellschaftlichen Wohl beitragen?

Dem Gemeinnutz entzogen

Aber die Regierung hat den hohen symbolischen Wert nicht verstanden, der in einer gerechten Reform der Steuern auf Erbschaften gelegen hätte. Im Mittelpunkt der Debatte stehen hier nicht nur die realen Belastungen, die auf Erben zukommen oder vielmehr: von denen sie befreit werden. Viele Bürger wollen einfach nicht mehr einsehen, dass sie sich ausziehen müssen bis auf die Unterhosen, wenn sie ihre Steuererklärungen machen oder Sozialleistungen empfangen – gleichzeitig aber wohlhabende Milieus ihren Wohlstand mehr oder weniger pauschal dem Gemeinnutz entziehen können.

Nicht eines der Probleme, die allgemein mit Steuern verbunden werden, hat die Reform der Erbschaftsteuer gelöst. Die gefundene Regelung ist handwerklich erneut hochkompliziert. Und auch das Aufkommen aus der Steuer wird kaum steigen, wie diverse Institute vorgerechnet haben. Es wird mit zusätzlichen Einnahmen von 100 Millionen Euro plus gerechnet – maximal. Das ist auf den ersten Blick kein kleiner Betrag; aber setzt man ihn in Relation zu dem gigantischen Vermögen, das vererbt wird, ist dieses geschätzte Plus an Steuereinnahmen beinahe mikroskopisch klein. Rund sechs Milliarden Euro nahmen die Länder zuletzt aus der Erbschaftsteuer ein – bei einem vererbten Vermögen von über 100 Milliarden Euro jährlich. Und die großen Erbschaften stehen ja erst an. Schätzungen gehen davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren Werte in Höhe von drei bis vier Billionen Euro an Vermögen weitergegeben werden.

An diesen Erbschaften wollen nicht etwa nur radikale Linke und Umverteiler partizipieren. Mitten in der liberalen Markttheorie gibt es wichtige Vertreter, die ihr Nein zum Erbe mit meritokratischen Argumenten begründen. Erben hätten das Vermögen, das sie bekommen, nicht erarbeitet. Wer nur erbt, der schadet der Wohlfahrtsproduktion. Das ist inzwischen sogar empirisch unterlegt: Für soziale Mobilität in Deutschland ist ebenso wie für Reichtum und Vermögensbildung das Erbe einer der wirksamsten Faktoren. Dagegen treten die Effekte von Leistung und Bildung deutlich in den Hintergrund. Der Kreis derer, die erben, ist aber sehr klein. Sogar das Verfassungsgericht hatte in seiner Zurückweisung der alten Steuerregeln solche Aspekte berührt. Einige Richter hatten sogar an das Sozialstaatsgebot erinnert, als sie monierten, dass sich das große Vermögen auf immer weniger Menschen konzentriert.

Gemessen an dieser breiten Front von Befürwortern einer höheren oder gerechteren Erbschaftsteuer ist das Ergebnis ernüchternd. Der Kompromiss stopft ein paar Schlupflöcher, er hebt die Bewertung von zu vererbendem Vermögen sachte an und macht die Stundung komplizierter. Diese Feinjustierungen aber sind dem gemeinen Bürger und Steuerzahler kaum zu vermitteln. Was am Ende herauskommt, ist nichts weniger als das sich verstärkende Gefühl von Bevorzugung durch Macht – und fortgesetzte Benachteiligung breiter Schichten. Erst wenn man das sanfte Ergebnis einer fast zweijährigen Steuerdebatte mit den starken Verwerfungen in der Gesellschaft vergleicht, entpuppt sich die schwarz-rote Steuerpolitik für Erben als das, was sie ist: Murks. Es sind vor allem zwei gesellschaftliche Gruppen, die für das Gerechtigkeitsgefüge wichtig sind. Wie geht das Land mit Kindern um? Wie ist es um die gefährdete untere Mittelschicht bestellt? Beide profitieren kaum vom Erbe. Aber sie leiden unter massiven Problemen – die keiner anpackt.

Zwei Euro mehr Kindergeld

Der Mittelschicht hat Finanzminister Wolfgang Schäuble kürzlich eine „Steuerreform“ in Aussicht gestellt. Das geschätzte Plus von 18 Milliarden Euro an Einnahmen lasse zu, die sogenannte kalte Progession abzubauen. Herausgekommen sind dabei, je nach Einkommen, Zuwächse zwischen fünf und 16,67 Euro monatlich. Die Zahl der Kinder, die in den letzten knapp 20 Jahren aus der Deckung in die Armut gerutscht sind, ist hoch. Im Jahr 2000 waren 1,45 Millionen Kinder von Transferzahlungen abhängig, 2015 waren es bereits 2,7 Millionen. Das bedeutet, die Kinderarmut steigt, obwohl das Land sich im selben Zeitraum gut entwickelt hat und zum starken Mann Europas wurde. Das hat etwas mit Steuern zu tun – denn das Ehegattensplitting, das ursprünglich auch dazu gedacht war, Familien mit Kindern abzusichern, nutzt heute 4,5 Millionen Kindern nicht mehr. „Das Splitting geht an diesen Kindern voll vorbei“, sagt Heinz Hilgers vom Deutschen Kinderschutzbund. Welche Reform nun bietet die Regierung hier an? Eine Erhöhung des Kindergeldes – um zwei Euro pro Monat. „Da müssen Eltern ja nur zwei Jahre sparen – und schon können sie ihrem Kind ein Paar neue Kinderschuhe kaufen“, sagt Hilgers dazu ironisch.

Das sind die Zahlen, die man zueinander ins Verhältnis setzen muss: Zwei Euro mehr Kindergeld, fünf bis 16 Euro weniger Progressionsverlust. Aber quasi unantastbare Erbvermögen von drei Billionen Euro. Der Vergleich ist polemisch. Aber das sind die Zahlen, die beim Bürger ankommen. Sie sagen ihm: Diese Regierung muss weg.

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