der Freitag: Frau Baerbock, jetzt steigt Vattenfall aus der Kohleförderung aus – und die Grünen schimpfen schon wieder ...
Annalena Baerbock: Dass Vattenfall sein Kohlegeschäft in Brandenburg verkauft, löst kein Problem. Im Gegenteil, es macht alles komplizierter.
Wieso das?
Weil das Kohlegeschäft eben nicht schrittweise und verantwortungsvoll abgewickelt wird, sondern einfach den Besitzer wechselt. Hinter dem Käufer, der tschechischen Energie- und Industrieholding EPH von Daniel Křetínský, stehen Finanzinvestoren, die mit den Kraftwerken auch die Tagebaue und Förderrechte erwerben. EPH verfolgt eine knallharte Finanz-Heuschrecken-Politik. Die spielen – wie in Sachsen-Anhalt – mit dem Umzug ganzer Dörfer.
Wozu müssen immer noch Dörfer weichen? Ist der Kohleausstieg nicht längst beschlossen?
Im Prinzip ja. Die Vereinten Nationen haben gerade den in Paris beschlossenen Ausstieg aus der Verstromung fossiler Brennstoffe abgesegnet. Aber wir in Deutschland haben leider immer noch kein Gesetz zum Kohleausstieg, das einem neuen Betreiber für die gefräßigen Tagebaue an Orten wie Jänschwalde, Welzow oder Cottbus Grenzen setzen könnte. Die Landesregierung könnte dieses Abbaggern von Heimat in Brandenburg verhindern, will das aber nicht.
Zur Person
Annalena Baerbock, 36, ist seit 2013 Sprecherin der Grünen für Klimapolitik im Bundestag. Die zweifache Mutter führt den grünen Landesverband Brandenburgs, wo Braunkohle- Tagebaue gravierende Aus- wirkungen auf Natur und Wirtschaft haben
Ministerpräsident Woidke hat gejubelt, weil der Verkauf gut für die Arbeitsplätze im darbenden Brandenburg sei.
Er streut den Beschäftigten Sand in die Augen. EPH hat bewiesen, dass es Beschäftigte auch von heute auf morgen auf die Straße setzt – trotz gegenteiliger Versprechen. Der Verkauf verlängert die industrielle Fixierung auf die Kohle – und verzögert gleichzeitig den Strukturwandel. Obendrein ist er miserabel für die Umwelt. Kohle stellt nicht nur die größte Klimasünde dar, sie hat viele weitere negative Auswirkungen von Trinkwasserverschmutzung bis Quecksilberbelastung.
Vattenfall war auch kein ökologischer Musterknabe.
Das Abbaggern und Verstromen von Kohle ist per se ein dreckiges Geschäft. Vattenfall, das Milliarden an Profit aus der Region gezogen und die ganze Sauerei hier angerichtet hat, sollte daher verantwortungsvoll aufwischen. Mit der Tagebausanierung kennen sie sich ja nun aus. Kommt der neue Betreiber, wäscht der seine Hände in Unschuld, und am Ende bleibt der Staat auf gigantischen Sanierungskosten sitzen. Ich finde, wer die Party veranstaltet hat, der muss sie aufräumen.
Umweltministerin Barbara Hendricks will den Kohleausstieg. Selbst die Kanzlerin spricht von Dekarbonisierung. Warum reicht Ihnen das nicht?
Bisher haben wir nur warme Worte. Vor dem Pariser Abkommen sagte Hendricks, wir könnten in 20 bis 25 Jahren aus der Kohle aussteigen. Nach Paris hat sie das sofort relativiert.
Wie könnte Deutschland die Pariser Klimaziele erreichen?
Wir müssen den Kohleausstieg einleiten und auf 100 Prozent erneuerbare Energien zusteuern. Zudem brauchen wir eine radikale Wende im Verkehr und in der Landwirtschaft.
Klingt nach Öko-Revolution. Wieso wollen Sie bei der Kohle den Ausstieg nur „einleiten“?
Unser Land steckt historisch tief in der Kohle drin. Sich von ihr zu lösen geht nur Schritt für Schritt. Deswegen sollte ein Kohlekraftwerk nach dem anderen vom Netz gehen. Aber neue Tagebaue müssen wir sofort unterbinden, denn diese Kohle würde erst gefördert, wenn wir gemäß dem internationalen Klimavertrag schon so gut wie raus sein müssten aus der Kohle. Ohnehin ist es grotesk, dass die Rechtsgrundlage für die Zwangsumsiedlung von Menschen, die auf der Braunkohle wohnen, auf einem Nazi-Gesetz basiert.
Wie bitte?
Zu Kriegszeiten wurde ein Vorrang für Energiegewinnung im Bergrecht eingefügt. So konnte man Menschen und ganze Dörfer leichter zugunsten von Abbaurechten enteignen und umsiedeln. Es wird Zeit, dass wir das Kriegsrecht im Bergbau beenden.
Warum assistieren ihre Parteifreunde dann in der wichtigsten deutschen Kohleregion NRW dabei, dass Ministerpräsidentin Hannelore Kraft den Ausstieg hintertreiben kann?
Immerhin haben die NRW-Grünen innerhalb der Koalition erreicht, genehmigte Tagebaue zu verkleinern. So müssen nicht weitere Dörfer umgesiedelt werden. Mehr war leider bei der SPD nicht drin. Das war Bedingung für den Verbleib in der Regierung. Natürlich hätten sich die Grünen anderswo mehr gewünscht, und ich erwarte von den Grünen in NRW auch, dass sie nach Paris bei der Kohle deutlicher Position beziehen.
In NRW geht es bei Kohle und Stahl eben um die Existenz.
Nein, auch NRW hängt nicht mehr an der Kohle. Es wird immer behauptet, dass die Kohle deutschlandweit 100.000 Arbeitsplätze bringt. Das ist nicht der Fall. Es sind nur noch circa 20.000 Menschen in Tagebau und Kraftwerken beschäftigt. Man hat im Übrigen auch beim Steinkohlebergbau gesehen, dass man einen Strukturwandel gestalten kann – wenn man rechtzeitig damit anfängt. Das ist ja auch mein größter Vorwurf an die Landesregierungen: Wer sich jetzt nicht dran macht, den Ausstieg zu planen, sondern die Augen davor verschließt, der provoziert einen Bruch, der für niemanden gut ist. Ganze Regionen und ihre Bürger werden fahrlässig unabsehbaren sozialen Folgen ausgesetzt.
Was wäre Ihre Alternative zu den Kohlearbeitsplätzen?
In Brandenburg gibt es die Metallindustrie, die Chemie, aber vor allem die erneuerbaren Energien und den Tourismus. Zudem muss man die alten DDR-Tagebaue sowieso sanieren, da gibt es viel aufzuräumen. Brandenburgs Strukturwandel hat im Übrigen mit der Kohle nicht so viel zu tun. Das Grundproblem besteht in der Betriebsnachfolge für rund 7.500 kleine und mittelständische Unternehmen. In den nächsten 20 Jahren fehlen in der Lausitz nicht Arbeitsplätze, sondern Beschäftigte.
Wie sähe Ihr neues Leitbild für diese Region aus?
Mein Leitbild wäre, die Forschung, den Tourismus und erneuerbare Energien auszubauen. Das sind die Stärken der Region.
Wer will schon Windräder vor dem Ferienhaus stehen haben.
Man baut ja die Windräder nicht in den Spreewald. Man hatte den Leuten versprochen, dass aus den aufgelassenen Tagebauen eine neue kleine Ostsee entsteht. In Wahrheit hat man jetzt bei den gefluteten Tagebaulöchern überall Betreten-verboten-Schilder. Solche Flächen wären ideal, um Windparks oder Fotovoltaik anzusiedeln.
Man kann gar kein Wasser in die ausgebeuteten Tagebaue gießen?
Doch, aber dabei entstehen keine Seen, sondern verseuchte Landschaften.
Was passiert da?
In den durch den Tagebau aufgerissenen Böden oxidiert die Eisen-Schwefel-Verbindung Pyrit. Kommt Wasser hinzu, bilden sich Eisenhydroxid und Sulfate. In Naturgewässern führt das zur Verockerung und zu erhöhter Sulfatkonzentration. Diese Post-Kohle-Schäden gefährden den Tourismus der Region – und das Trinkwasser Berlins. In Briesen, dem letzten Wasserwerk vor der Stadt, wurde bereits mehrfach der Grenzwert für Sulfat erreicht.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.