Gleich am Eingang hängt ein Kruzifix, und daran hängt ein ans Kruzifix genagelter Frosch. Die Skulptur ist von dem (leider bereits verstorbenen) Martin Kippenberger, und sie heißt Was ist der Unterschied zwischen Casanova und Jesus. Der Gesichtsausdruck beim Nageln (1990). Ein Kunstwerk, fürwahr, das, stünde es zum Verkauf, einen hohen Preis erzielen könnte. Aber auch ein gefährdetes Kunstwerk. Als ich es betrachtete, war es noch unversehrt. Es mag gleichwohl Zeitgenossen geben, die sich angesichts der sensiblen Darstellung leidender Kreatur zum Handeln aufgerufen fühlen. Man nennt sie Bilderstürmer, Ikonoklasten, und sie sind die heimlichen Hauptdarsteller einer Ausstellung, die vordergründig für einen achtsamen Umgang mit Bildern plädiert, gleichzeitig aber genau den Bilderkrieg entfesselt, den sie angeblich verhindern möchte.
Iconoclash heißt die Schau im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie - und das meint in schöner Naivität den möglichst produktiven Zusammenstoß verschiedener Bildwelten und Zeichen (aus Religion, Kunst, Wissenschaft) und die damit einhergehende Verunsicherung des Publikums, das den Film im eigenen Kopf fortschreiben möge. Wenn es denn schreibt und nicht anderes tut. Denn die Ausstellung führt uns durch die Geschichte der Bilderkriege und zeigt, dass der Kampf um das Bild immer ein Clash verschiedener Kulturen war, die um angeblich heilige Güter stritten - und dass der protestantische Bilderstürmer der Reformation, der Heiligenbilder zerschlägt und die Kirchen des Gegners ausräumt, psychisch einem ganz ähnlichen Impuls folgt wie der aufgeregte Spießer von heute, der eine Stahlskulptur von Richard Serra beschmiert ("560.000 Mark für diese Scheiße"). Mit seinem Kommentar wird dieser Laie zwar Teil des Kunstwerks im öffentlichen Raum, aber im Grunde möchte er natürlich nur eines: vernichten.
Das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie und sein Leiter Peter Weibel lieben die Konfusion. Vor zwei Jahren zeigte Weibel mit dem Anagrammatischen Körper den Menschen als Ersatzteillager, operativ gedemütigtes Menschenfleisch in allen Varianten - um bei einer Podiums-Debatte mit seinem Hausphilosophen Peter Sloterdijk dann für die Segnungen der Gentechnologie zu werben, welche das "Humanum" überhaupt erst ermögliche. Jetzt zeigt Weibel, der sich mit einer ganzen Schar hochkarätiger Kuratoren umgeben hat und damit auf der sicheren Seite wähnt, systematische Querschnitte aus der Geschichte der Bilderstürmerei - und preist uns dann die neuen Medientechnologien als den Königsweg, der uns von verfestigten Bildern, von starren (ideologischen) Vorstellungen angeblich befreie.
Natürlich ist das naiv. Denn angesichts der täglichen manipulierten Bilderflut stellt sich eher die Frage des Abschaltens. Schlimmer als die Selbstbeflissenheit, mit der hier ein Medieninstitut Werbung in eigener Sache betreibt, ist aber die theoretische Sorglosigkeit, mit der höchst unterschiedliche Tatbestände in einen Topf geworfen werden. Denn die Ausstellung präsentiert ausgerechnet die Kunst der klassischen Moderne als Paradebeispiel der ikonoklastischen Geste: der Künstler verweigere die Darstellung, er führe nur Material, nur Handwerkszeug vor. In dieser Sichtweise sind dann ein Ready Made (sagen wir: ein Pissoir von Duchamp), Timm Ulrichs´ Selbstauslöschung durch Malerei oder Malewitschs Schwarzes Quadrat ebenso ein Symptom des Bildersturms wie die zerschossenen Buddhas von Bamyan, die durch die Truppen der Taliban verunstaltet wurden. Während jeder Gartenzwerg, den Herr Meier sich in die Zierbeete stellt, automatisch den Ritterschlag der Darstellungsbemühung erhält.
Mit Verlaub: eine Kunst, die an die Grenzen des Sagbaren stößt oder das Verschwinden des Individuums konstatiert, hat nichts zu tun mit jener ikonoklastischen Gebärde, die auf Mord und Totschlag zielt. Wenn Lucio Fontana seine leere Leinwand vaginal einritzt, dann ist das eine selbstreflexive, konstruierte Mitteilung. Wenn ein Ausstellungsbesucher Leinwände ritzt oder übermalt, dann ist das ein Akt der Fremdbestimmung, der Vergewaltigung. Wenn - ich nehme als Beispiel eine der beliebtesten bilderstürmerischen Inszenierungen der Gegenwart - arabische Studenten eine Scharon-Puppe verbrennen, dann meinen sie nicht diese Strohpuppe, sondern die reale Figur, derer sie noch nicht habhaft werden können, die sie aber gern beseitigen möchten. Samt Religion und Gesellschaftsordnung. Ikonoklasmus als Ersatzhandlung mit Ankündigungs-Charakter.
Indem die Ausstellung solche unterschiedlichen kulturellen Ebenen konsequent nebeneinander stellt, miteinander verwechselt und nivelliert, finden wir uns in jenem postmodernen Einerlei wieder, das Kurator Weibel so schätzt und in dem alle Katzen grau und ähnlich sind: Opfer und Täter, Künstler und Vandalen, Städteplaner und Bomberpiloten. Waren die Schleifung der Bastille oder die Haussmannisierung des alten Paris ikonoklastische Akte? Irgendwie schon. Ist der Sturz der Berliner Mauer oder eines Lenin-Denkmals ein Bildersturm? Zweifellos. Aber wohl auch mehr als das. Ist die Verwendung einer Reproduktion der Mona Lisa als Bügelbrett ein Ikonoklasmus (Daniel Spoerri hat so ein Objekt in der Ausstellung)? Sicher, sicher. Nur die größte ikonoklastische Geste der Gegenwart, die Zerstörung der New Yorker Twin Towers, kommt nicht vor. Der Übergang von der Bildzerstörung zur Menschenvernichtung ist als Aktualitätenkino nicht genehm.
Dabei passt der New Yorker Häusersturz (fast) perfekt in die Generalthese der ZKM-Kuratoren, die da heißt: wer Bilder zerstört, schafft gleich wieder neue - und diesem Paradigma kann man nicht entkommen. Von den antiken Plastiken, denen man die Gliedmaßen abschlug, blieben die Torsi. Von den Köpfen der Männer (im Skizzenbuch des Michael Wohlgemut von 1490), die den Gott der Christenheit geißelten, blieb nichts - besonders fromme Betrachter haben sie wegradiert und aus dem Bild eine Meta-Hinrichtungsstätte gemacht. Von den Bamyan-Buddhas bleiben die Medienbilder der zerschossenen Buddha-Köpfe. Von den Twin Towers bleiben die Medienbilder der Ruinen. Nur von den darin befindlichen Menschen bleibt nichts: sie sind verpufft.
Es macht nachdenklich, dass in den Katalogtexten ausgerechnet das mosaische Bilderverbot ("Du sollst dir kein Bild machen") als Grundübel und Ausgangspunkt der Bildvernichtung, der Zerstörung der Idole angegeben wird. Als habe die offenbar unerträgliche Gegenstandslosigkeit moderner Kunst, als habe Joseph Beuys´ "Hiermit trete ich aus der Kunst aus" da ihren Ursprung.
Tröstlicherweise muss man nur 40 Kilometer nach Süden fahren, nach Baden-Baden, um eine Ausstellung zu sehen, die Bilder als etwas Konstruiertes begreift und sie in ihrer (medien-)mythischen Funktion zu entschlüsseln sucht: Die Ausstellung heißt Prophets of Boom. Ausgangspunkt ist die berühmte Foto-Arbeit von Philippe Halsman, der das aufreizend lächelnde Gesicht der Marilyn Monroe in den Haarkranz und die Arbeiterjacke des Mao Tse Tung montierte - androgyner Reflex aus einer Zeit, als Parteikommunismus und Hollywood sich zu ergänzen schienen, jedenfalls für eine bestimmte Schicht westlicher Intellektueller. Indem Halsman das Unvereinbare zusammenzwingt, Sex und Disziplin, Schönheit und Dienstkutte, ironisiert er auch das Posenhafte eines Politstils, der sich mittlerweile überlebt hat. Die beliebige Verfügbar- und Verschränkbarkeit der Bilder ist geblieben: aus der Che-Guevara-Ikone ist ein T-Shirt-Aufdruck oder Poster geworden, der heute in jedes Kinderzimmer passt (das Kinderzimmer übt Dritte-Welt-Solidarität), die Gewalttat (von Cady Noland aufbereitet am ambivalenten Beispiel der Zeitungs-Erbin und Terroristin Patty Hearst) steigt in den Medien zum Pop-Phänomen auf, und der über ebay im Internet verkaufende Walter X zeigt Bill Gates, naked. Auch schön.
Der Bildersturm ist in dieser Ausstellung schon als sinnlos erkannt, weil es eine bildhafte Wahrheit nicht gibt, weil die Bilder sowieso ihr Eigenleben führen. Jedes Pressefoto, jeden Dokumentarfilm kann man bearbeiten, mit jedem Bild von irgendwo ein Massaker an einem anderen Ort behaupten (seit dem Kosovo-Krieg eine beliebte Übung), jedem Manager per Montage eine Sexaffäre andichten. Medienbilder, so sagt diese Ausstellung, rühren an das Unbewusste, sie machen uns zu Analphabeten, und die Kunst tut gut daran, diese Artefakte zu zerlegen und ironisch neu zusammenzusetzen.
Zurück im Karlsruher ZKM. Wieder auf Wahrheitssuche. Man wandelt zwischen mathematischen und chemischen Modellen, Lenin-Büsten, Stadtpanoramen. Bilder als Medium der Erkenntnis. Bilder als Machtmittel. Bilder als religiöse Verkündigung. Aber was hat die Sonographie eines Embryos, was hat die Diffusions-Nebelkammer zu tun mit dem leidenden Christus, einem Stalin-Denkmal oder der Berliner Mauer? Die Exponate belegen nur, dass die Wissenschaft eine andere Sprache spricht als die Religion und diese eine andere als die Politik. Sie befruchten sich nicht, sie haben miteinander nichts zu tun. Sie alle produzieren Bilder, die gestürzt, die abgelöst werden durch andere: ein neues, differenzierteres mathematisches Modell, ein neues Denkmal, ein neues, moderneres Gottesbild.
Vielleicht war der verborgene Gott in seiner utopischen Dimension doch eine intelligentere Erfindung als die Idolatrie, das blödsinnige Anbeten irgendwelcher wechselnder Figuren? Die ZKM-Kuratoren um Peter Weibel setzen auf den Film, der in jeder Sekunde Bilder durch neue ersetzt und dadurch Bewegung erzeugt, auf Absetzung des Starren, auf "Kaskaden neuer Bilder", die sich gegenseitig relativieren, mit denen man "arbeiten" möge, auf die neuen Medien, mit denen man einfärben, einfrieren, kippen, verlangsamen, beschleunigen kann, die schöne neue Welt der interaktiven Kunst und der Computerspiele. In diversen ZKM-Ausstellungen hat man schon besichtigen können, dass diese Bewegung nur eine scheinbare ist.
Bilder besetzen, wie die Politiker sagen, sie entwerten, neu bewerten, sie entwerfen lassen und für sich, für seine Interessen einsetzen: das ist der Bilderkrieg der Gegenwart. Das Bild ist mit den neuen Technologien verfügbarer, verführerischer denn je. Die ZKM-Ausstellung aber ist ein Irrgarten, ein Labyrinth der falschen Fährten: Sie verwischt den Unterschied zwischen der Bild-Verweigerung der Moderne und dem auf Menschenvernichtung zielenden Ikonoklasmus. Die Bücherverbrennungen der Nazis und Ausstellungen entarteter Kunst, Bilderstürze par excellence, kommen in Karlsruhe nicht vor.
Dafür steht am Eingang jener Roboter des kanadischen Künstlers Max Dean, eine Bildzerstörmaschine. Sie greift Fotos aus einer Kiste und steckt sie in den Reißwolf - wenn wir sie nicht durch Handauflegen, durch ein mit der Hand ausgelöstes Signal daran hindern. Welches Bild wir uns von uns machen, und ob wir es nicht doch lieber aufbewahren wollen, das, welch altmodische Botschaft dieser komplizierten Apparatur, entscheiden noch immer wir selbst.
Iconoclash - Jenseits der Bilderkriege in Wissenschaft, Religion und Kunst. Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, bis 4.August. Katalog 35,- EUR
Prophets of Boom. Werke aus der Sammlung Schürmann. Staatliche Kunsthalle Baden-Baden. Bis 16. Juni. Katalog 21,- EUR
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