Inventur der alten Wildheit

Selbstvergewisserung Das Kunstmuseum Basel zoomt sich zurück in die achtziger Jahre - und noch viel weiter weg in die Wildheit: zu Willem de Kooning

Die achtziger Jahre, sie wirken so fern. Diese seltsamen Frisuren! Diese Friedensmarschierer und Disco-Kids, diese Öko-Bewegten und Michael-Jackson-Fans! Eine Rückblende auf die Kunst der achtziger Jahre fördert allerdings Erstaunliches zutage: in diesem Jahrzehnt zwischen Nachrüstungsdebatte und Zusammenbruch der realsozialistischen Staaten hat sich vieles etabliert, das heute noch Bestand hat.

Eine Ausstellung kann das natürlich nur auszugsweise zeigen. Der von Philip Kaiser kuratierte Parcours im Basler Museum für Gegenwartskunst schafft es durch schiere Vielfalt, den ungeheuren Clash vorzuführen, der damals stattfand. Zunächst: seit den achtziger Jahren gibt es einen veritablen Kunstmarkt auch für Gegenwartskunst mit Preislisten und Rankings und neuen Stars. Minimal Art, Konzeptkunst und Pop Art werden zu subtilen Strategien, die sich in einer zunehmend von Massenmedien dominierten Gesellschaft neu zu orten versuchen. Schließlich: es gibt ein neues Selbstbewusstsein europäischer Künstler gegenüber Amerika. Auf einmal wird auch Joseph Beuys in den USA wahrgenommen, und die verpönte Figuration findet über die Neuen Wilden auf einmal neue Beachtung - Berliner Szene-Künstler wie Rainer Fetting sind über Nacht in New York gefragt. Und: die Satire hält wieder Einzug in den Kunstbetrieb.

Die Basler Ausstellung zeigt das sehr schön - etwa mit Albert Oehlens Etüde Morgenlicht fällt in den Führerbunker, mit Georg Herolds aus Dachlatten zusammengebautem Dürerhasen oder mit Werner Büttners Badenden Russen, ein lakonisches Ölgemälde, das schon 1982 den Zusammenbruch der Sowjetunion sarkastisch vorwegnahm.

Die Neuen Wilden bilden eines der Zentren dieser Schau - die uns unmissverständlich zeigt, welches die langfristig wirksamen Figuren sind. Martin Kippenberger zeigt sich selbst als Bourgeois auf einem Stuhl stehend - und mit seiner (daraus folgenden) selbstironischen "Nieder mit der Bourgeoisie"-Attitüde ist er in der Kunst-Szene ungleich einflussreicher gewesen als der zwar erfolgreiche, aber oft eben nur platte amerikanische Selbstinszenierer und -zitierer Jeff Koons, der den Kitsch zu einer Art Religion machte. In Basel wird Koons fairerweise mit einer sehr schönen frühen Arbeit gezeigt: Hoover-Staubsauger unter Plexiglas, sprich: das Kunstobjekt als Warenfetisch, inszeniert mit Neon-Röhren, die von Dan Flavin, und Plastik-Kuben, die von Donald Judd stammen könnten.

Das Problem ist natürlich, dass in dieser Schau so viele Trends, Stile und Protagonisten vorgeführt werden, dass man leicht den Überblick verliert. Die Archaismen und rituellen Installationen des Joseph Beuys, von dem das hier reich bestückte Basel die Feuerstätte vorzeigen kann, haben rein gar nichts zu tun mit den genderbewegten Arbeiten der Rosemarie Trockel oder den Bildverweigerungs-Strategien der Sherrie Levine, die historische Südstaaten-Fotos von Walker Evans noch einmal abfotografiert. Andererseits hat vieles von dem, was hier so offensiv auseinanderstrebt, sich inzwischen als eigenständige Disziplin etabliert: die Tendenz zum Beispiel, als Künstler den städtischen Raum zu bespielen - hier vorgeführt an Diaprojektionen, mit denen Krzysztof Wodiczko (übrigens der einzige vertretene Ostblock-Künstler) öffentliche Gebäude uminterpretierte. Oder die Neigung, eine kollektive Autorschaft anzugeben - hier gezeigt von Tim Rollins und "Group Material", die mit einer "Aids"-Zeitleiste der Aids-Toten gedenken oder mit schwarzen Kindern (auf Workshops) Bilder zum amerikanischen Rassismus fertigen.

Wie kann man noch Bilder machen in einer von Massenmedien präformierten Gesellschaft? Das ist die Hauptfrage der Ausstellung. Sie wird beantwortet einerseits durch Bild-Negation: der gesamte Hauptsaal wird bespielt durch eine Vielzahl gerahmter schwarzer Rechtecke - nicht schwarzer Quadrate! - von Allan McCullum. Also: das Bild als Bild-Surrogat, als Nichts. Dann gibt es die tänzerischen Gesten und Posen des Robert Longo und, noch konsequenter, Cindy Shermans fotografische Selbstinszenierungen, die nur noch Nachstellungen filmischer Stereotypen sind. Daneben dann die großformatigen Portraits des Thomas Ruff, in denen man jeden Gesichts-Pickel sieht, und die Leuchtkästen des Jeff Wall, der Menschen ins Schaufenster stellt.

Das sind Künstler, die wortführend geblieben sind. Man könnte nun mäkelnd aufführen, was alles fehlt - allein: diese Ausstellung hat ein großes Anregungspotential auch für heutige Künstler. Und wenn man ein paar Schritte zurücktritt, steigen ganz unerwartete Erkenntnisse auf - die nahende Implosion des Ostblocks hatte nämlich ihren Vorschein ausgerechnet in der westlichen Kunst: als Explosion neuer Bildstrategien.

Im großen Basler Kunstmuseum, dem das Museum für Gegenwartskunst angegliedert ist, treibt man die Recherche noch ein paar Schritte weiter zurück und zeigt, da man die Neuen Wilden nun schon kennt, noch einen weiteren, allerdings ungleich bedeutenderen Outsider, und zwar nur in seiner wüstesten Phase: Willem de Kooning.

De Kooning ist in Europa im Grunde unentdeckt. Eine einzige große Ausstellung zum Spätwerk (in Bonn) in den neunziger Jahren, das war´s. Möglicherweise war es zu fremd, was de Kooning machte, vielleicht war der Abstrakte Expressionismus hierzulande auch unter dem Namen Jackson Pollock abgehakt. De Kooning, gebürtiger Holländer, der 1926, mit 22 Jahren, als blinder Passagier in die USA auswanderte, hat ein exzessives Leben geführt: Malerei, Alkohol, Frauen. Zum Teil hat er, voller Selbstzweifel, monate- und jahrelang an einzelnen Werken herumgearbeitet: über 18 Monate brauchte er in den fünfziger Jahren für Woman I; die einzelnen Werkphasen und Übermalungen sind dokumentiert. Dann aber konnte er es auch einfach laufen lassen - eine solche glückhafte, rauschhafte Phase, unter starker Alkoholstimulanz, findet sich in den Jahren 1975 und 1977, als in kurzer Zeit zahlreiche Großformate entstanden.

Bernhard Mendes Bürgi, der Direktor des Kunstmuseums Basel, veranstaltet nun nicht eine beliebige Rückschau auf de Kooning, sondern hat eine präzise Werkphase ausgewählt: 1960 bis 1980. Es handelt sich um die Zeit, als de Kooning, eine feste Größe des amerikanischen Kunstbetriebs schon damals, sich aus dem New Yorker Großstadtleben verabschiedet und aufs Land, nach Long Island zieht. Das mag mit der in Mode kommenden Pop Art zusammenhängen, die de Kooning verabscheute, es mag aber auch eine innere, altersbedingte Notwendigkeit gewesen sein - de Kooning ist 1960 schon 56 Jahre alt, und viele glauben, sein Zenit sei bereits überschritten. Aber der kommt erst noch.

Der Rückzug nach Long Island, in die Natur, bezeichnet eine zunehmende Verdrängung der Figuration durch die Abstraktion und des Themas der Frau, der Erotik durch die Landschaft. Und doch spielt das alles ineinander: die ersten abstrakten, großformatigen Landschaftsbilder um 1960 haben noch eine pastorale Klarheit, wunderbare Farbkompositionen in Blau und Gelb, bisweilen Orange, lichtdurchflutete Stimmungen - diese Bilder sind noch in New York gemalt, aus der Erinnerung heraus. Als de Kooning endgültig umzieht nach Long Island, gibt es auf einmal die viel bewegteren, wilderen Menschenstudien, in denen ein Frauenkörper in den Farborgien verschwindet oder, Two Figures in a Landscape, sich Körperfragmente aus den Farbstrudeln herausschälen, je nach Sichtweise. Landschaft und Person werden eins, Landschaft wird in pure malerische Empfindung übersetzt.

Nach einer längeren Phase, in der de Kooning da draußen vor der Stadt mit Zeichnung, Druck und Skulptur experimentiert und sich mit der menschlichen Figur beschäftigt, drängt dann Mitte der siebziger Jahre etwas aus ihm heraus: 1975 zwanzig Großformate in sechs Monaten, 1977 dreißig Großformate, pulsierende, wüste, zum Teil grellfarbige Mal-Orgien, in denen hochkomplexe Strukturen einfach so herauszuschießen scheinen, eine Klimax in diesem Werk, wo Erfahrung und Intuition sich auf einmal aufs Tollste verschränken. Hier werden nicht Empfindungen, Natur- oder Landschaftserlebnisse in abstrakte Malerei übersetzt, sondern hier wird der Akt des Malens als solcher vorgezeigt: Natur und, vor allem, Erotik, gestische Aktion, das alles ist präsent auf der Leinwand, als Farbhandeln mit breitem Strich und konvulsivischen Linien.

Man muss sich vorstellen, dass hier ein 70-Jähriger in der Einsamkeit jeden Tag hinausging ans Meer auf der Suche nach der wahren, ekstatischen Empfindung, ein exzessiver Mensch. Seine Farbgebirge und Materialschlachten sind der Höhepunkt des Werks, und sicher ist es auch die Angst vor dem Tod, die da überall durchbricht und sich noch einmal in verzweifelte Lebenslust verwandelt.

Dies ist in dieser opulenten, strotzenden Ausstellung wunderbar zu verfolgen und wird behutsam flankiert mit wichtigen Zeitgenossen de Koonings, Franz Kline, Clifford Still und Sam Francis einerseits, andererseits Picasso und Giacometti. Im letzten Saal sieht man, wie Ende der achtziger Jahre de Koonings Bildtektonik sich wieder beruhigt, geradliniger wird, die Farben werden schlierenhaft und bänderartig aufgetragen, nicht mehr als wuselnde, neutönende Schichtungen. Der Anfall, der Schaffensrausch ist vorüber, ein von der Ehefrau angeordneter Alkoholentzug beginnt. Und das Alter.

Flashback - eine Revision der Kunst der 80iger Jahre. Basel, Museum für Gegenwartskunst, bis 12. Februar 2006.

de Kooning - Paintings 1960-1980. Kunstmuseum Basel, bis 22. Januar 2006.


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