Körper, Zeichen, Bühnenbilder

Vom Freischwinger zum Beton Retrospektive auf den Designer und Architekten Marcel Breuer in Weil am Rhein

Marcel Breuer muss schon ein kleines Genie gewesen sein. Als 18-Jähriger kommt der gebürtige Ungar 1920 ans Bauhaus, macht eine Ausbildung in der Möbeltischlerei und entwirft 1925 die ersten Stahlrohrmöbel, den Wassily-Sessel und den Freischwinger. Erfindungen, die millionenfach kopiert und variiert worden sind, Klassiker der Design-Geschichte. Da es am Bauhaus keine Architekturklasse gibt, studiert er das autodidaktisch, emigriert als Jude nach Amerika und tritt dort in den fünfziger bis siebziger Jahren mit Bauten hervor, die man eher als voluminöse, massige, ungeheuer reflektierte Skulpturen bezeichnen muss, egal, ob das nun Universitäts-Hörsäle, Museen, Kaufhäuser oder Sakralbauten sind.

Breuers Gebäude besitzen eine Qualität, die man in den postmodernen Protzbauten des neuen Berlin oft vergeblich sucht: ihre äußere Form, ihre Silhouette haben tatsächlich etwas mit dem zu tun, was drinnen passiert. Konstruiert der Atheist Breuer eine Kirche, etwa St. Francis de Sales in Michigan, so werden ganz einfache, archaisch anmutende Formen mit höchster Ingenieurbaukunst verbunden, so dass sich etwa die Außenwände seitwärts neigen und jeder tragenden Funktion entbunden sind. Und das ist keine Spielerei: es ist eine Startrampe zum Himmel, wahlweise auch eine merkwürdig gewundene, zur Seite gestoßene Grabplatte, als sei Christus tatsächlich gerade auferstanden.

Baut Breuer ein Museum, zum Beispiel das Whitney Museum of Modern Art in New York, dann grenzt er es mit Brandmauern scharf ab gegen die umliegenden nichtmusealen Gebäude, versieht es mit einem unter der Straße liegenden Skulpturengarten, über den wiederum eine Brücke zum Entrée führt. Und er lässt aus dem sorgfältig nach außen abgeschirmten, klug den wenigen Raum nutzenden Betonklotz einige strukturierende, pyramidale Fensterelemente erkerartig in die Straße hineinragen, die wie ein Prisma ein genau kalkuliertes Licht in die zur meditativen Kunstbetrachtung vorgesehenen Räume einlassen.

Dass die Form der Funktion zu folgen hat, diese alte Bauhaus-Formel vermag man ja nur noch nostalgisch zu flüstern angesichts des Berliner Regierungsbauwahns - bei dem sich immer wieder neu die Frage erhebt, ob die drinnen erbrachten geistigen Leistungen der protzigen architektonischen Umhüllung angemessen sind oder ob der kühle, postmoderne, turbokapitale Fassaden-Prunk nicht nur eine in der Statik gut durchgerechnete, mit allerlei Details herumkaspernde und dadurch ablenkende Verkleidung für politisches Analphabetentum darstellt. Die Bauten folgen keiner genaueren Funktion, sondern nur dem Spreebogen. Das sieht schön aus, aber wer das Innen mit dem Außen in Bezug setzt, sieht eher die Leere des höheren Politmanagements, eine Art geistigen Sparzwang. Das ist der gemeinsame Nenner, auf den sich Gerhard Schröder und der ursprüngliche Bauherr Helmut Kohl bringen lassen.

Der Klassiker Marcel Breuer ist, verglichen mit Berlin, wohltuend bescheiden. Auffallend sein Interesse für Werkstoffe. Er erspürt, welche Formen, welche Möglichkeiten sich in einer Materie verbergen, im Holz, Stahlrohr, Aluminium und Sperrholz, die er fürs Möbeldesign nutzt, oder später sogar im enorm formbaren Beton, der Grundmasse, oder im aufgerauhten Stein oder im Granit, die er als Außenverkleidungen in der Architektur einsetzt. So schreibt sich seine Planung stets vom kleinen Format in ein größeres fort, scheinbar anstrengungslos.

Dies ist auch der Ansatz des Ausstellungskurators Matthias Remmele, der dem Besucher nicht nur die in Bau und Design wiederkehrenden Motive Breuers vorführt, die liegenden Rechtecke, die horizontalen Bänder, das Prinzip der Aus- und Einstülpung, sondern der eben zeigen will, wie sich da etwas aus einem Kern, aus einem Stoff heraus entwickelt.

Die mit präzisen Texten argumentierende Schau nimmt in der (von Dieter Thiel entworfenen) Ausstellungs-Architektur Breuers Formensprache auf, alles ist leicht und luftig, auf Scheiben und Rechtecken präsentiert. Zunächst die Massivholzmöbel, stoffbespannten Freischwinger, Beistell- und Schreibmaschinentischchen, viel genutzte Gebrauchsgegenstände, die noch in den fünfziger und sechziger Jahren der Bundesrepublik zum üblichen Formenvokabular von Arztpraxen, Büros und Mittelstandswohnzimmern gehörten.

Dann die in den Grundrissen höchst unterschiedlichen Einfamilienhäuser, einmal labyrinthisch verschachtelt, ein andermal langgezogen am Abhang hin, dann wieder mit einer zwei Stockwerke hohen Wohnhalle als Zentrum, an das sich die übrigen Räume anschließen.

Meisterstück dieser Schau aber ist die große Architektur: Das Whitney-Museum, die wie ein fetter Kubus der Wissenschaften im Raum stehende Bibliothek von Atlanta, das aus Kristallformen heraus entwickelte Nonnenkloster von St. Mary in North Dakota - Bauwerke, die mit Grundrissen, Fotos, wunderbaren Modellen und unaufdringlich die Perspektiven wechselnden Bildschirm-Animationen präsentiert werden. Hier wird Breuers Meisterschaft, das Körperhafte von Bauten zu betonen und Innenräume wie Bühnenbilder zu inszenieren, ganz unaufdringlich und leicht dargeboten. So lernt man viel und merkt es gar nicht: man sieht Breuers Trick, immer wieder mit Aussparungen, Ausschnitten, Schneisen die (Kaufhaus-)Fassaden aufzulockern oder durch Waben oder Gerippe Schattenspiele zu ermöglichen. Seine Methode, aus einer einzigen Grundidee einen Bau zu entwickeln. Sein Bedürfnis, Bauwerke wie Zeichen wirken zu lassen, vor allem in den Sakralbauten. Die schweren, die klobigen, die massigen Formen der Uni- und Verwaltungsgebäude. Die fast wie menschliche Extremitäten in den Raum hinausragenden Ausbuchtungen der Wohnhäuser.

Breuer hat meist in Amerika, einige Male aber auch in Europa gebaut: Die UNESCO-Zentrale in Paris, die er in den fünfziger Jahren mit dem Statik-Tüftler Pierre Luigi Nervi entwarf, oder das streng funktionalistische Kloster Baldegg in der Schweiz, zwischen 1968 und 1972 entstanden. Breuers beeindruckendster, auf der Welt wohl einmaliger Bau ist jene St.Francis-Kirche in Michigan aus den sechziger Jahren. Die eine Außenwand der Kirche, eine riesige Fläche, ragt wie eine leicht schräggestellte und in der Fläche verzogene Grabplatte keilartig in die Landschaft hinein, was durch eine besondere Technik mit hyperbolischen Scheiben ermöglicht wird. Der Bau wirkt leicht und schwer zugleich, massiver Beton, der zu schweben scheint. Auch der sakrale Innenraum kombiniert höhlenartige, archaische, kultische Formen mit moderner, arenaartiger, geometrisch spielender Gestaltung.

Dies ist eine Meisterschaft, die man sich wenigstens in der Ausstellung ansehen sollte. Nach Amerika kommt man ja eher selten. Nach Weil am Rhein vielleicht schon.

Vitra-Design-Museum Weil am Rhein (bei Basel). Bis 25. April 2004. www.design-museum.de


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