Gehen wir am besten gleich hinunter in den Unterstock. In einem abgedunkelten Raum des Kunstmuseums tuttgar sehen wir die Video-Installation, das Video-Triptychon, das Bill Viola 1992 für die Andachts-Kapelle des Musée des Beaux Arts in Nantes gebaut hat: auf drei Schirmen drei fast halbstündige Filmsequenzen.
Auf dem linken Flügel dieses Altars erlebt man das existentielle Schauspiel einer Geburt: körperlichen Schmerz, Schreie, Anstrengung, Angst – und dann das verschrumpelte Etwas, dessen Leben gerade beginnt. Auf dem mittleren Bildschirm treibt ein männlicher Körper zeitlupenhaft im Wasser, scheinbar richtungslos, vielen verschiedenen Strömungen ausgesetzt. Auf dem rechten Monitor sehen wir das Sterben einer greisen Frau, der Mutter des Künstlers, ein langsames, müdes, grauenvolles Verlöschen.
Drei Bilder - mehrere Geschichten
Über diese Szene wird es in Stuttgart sicher Diskussionen geben, und doch macht Violas Arbeit deutlich, was zeitgenössische Künstler am Triptychon so fasziniert: Es geht nicht nur darum, eine religiös konnotierte, sakrale Bildformel in die Gegenwart zu übersetzen und zu verweltlichen, zu profanisieren. Es hat auch damit zu tun, daß man mit drei Bildern eben mehrere Geschichten erzählen kann, unter Umständen einen Tag, den Wechsel der Jahreszeiten, einen ganzen Lebenslauf, die Menschheitsgeschichte - also eine Zeitebene.
Der Bezug zu biblischen Themen ist bei Viola kaum übersehbar: Was anderes ist die Kreißsaal-Szene als ein ins Krankenhaus übertragenes Krippenbild, was die Sterbe-Sequenz anderes als eine Kreuzigung im Altersheim?
Was das Triptychon in der Moderne - so der Ausstellungstitel - mit dem alten Bildtypus verbindet, ist das Leid, das Leiden der Menschheit als absolut beherrschendes Thema. Wo in den sakralen Bildern Christi Passion nachvollzogen wird, da erzählt das grandiose Großstadt-Triptychon des Otto Dix von Kriegskrüppeln und Bettlern nach dem Ersten Weltkrieg, von bleichen Huren und amüsierwilligen Neureichen, ein böser, karikaturistisch zugespitzter Berliner Totentanz – die gesamte Ausstellung wurde um dieses paradigmatische Werk herumgruppiert.
Das Leiden der Menschheit
Der DDR-Künstler Willi Sitte nahm sich Rubens‘ Höllensturz als Vorbild für eine (allerdings etwas propagandistische) Abrechnung mit dem Vietnamkrieg. Und Robert Longo präsentiert uns eine abgründig geschwärzte Mitteltafel und läßt in den beiden Außenbildern Flugzeuge vor der New Yorker Skyline fliegen: ganz automatisch stellt sich das Szenario des 11. September her. Man mag sich bei Longo fragen, ob das ein Triptychon ist oder nicht ein einziges, geschickt auf drei Bildflächen verteiltes Thema. Kann schon sein – obwohl Longo natürlich bewußt mit der Trinitäts- und Passionsgeschichte spielt.
Manche Künstler bieten drei Bilder aber nur als Reihung, als Serie: Isa Genzkens zu immenser Größe aufgeblasene Schädel-Röntgenbilder etwa sind einfach drei gnadenlos sezierende Selbstportraits einer Trinkerin. Man kann auch, wie Katharina Sieverding, das eigene Röntgenfoto (eine zeitlang war Röntgen offenbar schwer in Mode) auf drei schön gerahmte Riesenformate splitten und es dann solange bearbeiten, bis eine obskure Schädel-Landschaft übrig bleibt. Björn Melhus gibt das Zentrum programmatisch gleich ganz auf und bietet drei völlig identische Video-Bilder, auch hier Selbstportraits, die Politiker-Statements zum Irakkrieg nachstammeln; eine Mischung aus Kabarett und CNN-Persiflage.
Da, wo es wirklich genutzt wird, bietet das Triptychon formal eine klare Struktur, es lenkt den Blick des Betrachters auf einen Fokus, um den herum Ergänzungen, Widersprüche, Nebenbeigeschichten (oder überhaupt erst das Entscheidende) aufgebaut werden können. Das macht die – gegen die männliche Dominanz Sturm laufende - Niki de Saint Phalle mit ihrem güldenen, mit Fledermaus, Kruzifix und Pistolen bestückten Kitsch-Altar ebenso wie Jonathan Meese mit seinen überladenen, labyrinthischen Comics, in denen dann die „Staatsgottheit“ am Kreuze hängt. Das Triptychon kann also durchaus Ordnungsfaktor sein im Chaos der Moderne. Es kann aber auch ad libitum variiert werden: offene und geschlossene Form gleichzeitig.
Die Stuttgarter Ausstellung versammelt einige Ikonen des 20. Jahrhunderts - allein der Blick von der Galerie, bei dem man Triptychen von Dix, Beckmann und Francis Bacon gleichzeitig betrachten kann, ist den Eintritt wert. Beckmann verarbeitet mythische Stoffe, „die Argonauten“, zu monumental-plastischen Figuren; Bacon setzt seine geschundenen, verdrehten Leiber in völlig leere Räume und benutzt die Flügel seiner Altäre als Spiegelungen eines einzigen Bildes – Selbstbeobachtungen, Selbstkasteiungen. Oder auch: der andere, der mich selbst ständig beobachtet.
Die Ausstellung wartet nebenbei auch mit vielen unbekannten Werken auf. Von Hard Edge und meditativer Farbfeldmalerei bis zu den neuen Wilden kann man alles sehen. Diese Vielfalt ist es, die die Schau so einzigartig macht. Tolles Thema, tolle Exponate, tolle Ausstellung. Hingehen – hier kann man im Schnelldurchgang Kunstgeschichte lernen.
Drei. Das Triptychon in der ModerneKunstmuseum Stuttgart, noch bis zum 14. Juni
Katalog, Hatje Cantz, 39,80
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