Das Bild, das mir nach den Attentaten vom 11.September am stärksten in Erinnerung blieb, ist nicht das in den Turm rasende Flugzeug, es sind nicht die in sich zusammenstürzenden Wolkenkratzer und die atompilzartige Staub- und Brandwolke, die danach über New York schwebte. Es sind vielmehr die Bilder aus Jerusalem und Nablus, die die Freudentänze palästinensischer Männer, Frauen und Kinder zeigten. Ich glaube, dass ihre Freude echt war und dass der New Yorker Anschlag ein kollektives Bedürfnis artikulierte.
Auch wenn Yassir Arafat die Verbreitung eines Großteils der Bilder später untersagte und in einem bigotten Show-Act vor laufenden Kameras Blut spendete, so scheint mir doch: sie freuen sich heimlich weiter (und nicht nur in Nablus), während sie offiziell Betroffenheit demonstrieren.
Die New Yorker Attentate stellen einen Zivilisationsbruch ohne Beispiel dar. Sie haben nicht die Systematik der Massenerschießungen, die die Nazis gegen Ende des Krieges in den KZs veranstalteten, aber sie versuchen, neben dem Bildersturm, der Vernichtung der babylonischen Türme soviel Menschenmaterial mitzunehmen wie irgend möglich.
Es sei in Erinnerung gerufen: New York ist die größte jüdische Stadt der Welt. In Israel gehören arabische Selbstmordattentäter, die Pizzerien oder Bushaltestellen nebst zugehörigem Humanum in die Luft sprengen, seit einigen Monaten zum Alltag. Die Entführer der Passagiermaschinen arbeiteten nur mit größerem Effekt, wenngleich immer noch mit einfachstem Material: Teppichschneider, Messer und der Besuch einer Sportflugzeugschule deuten nicht gerade auf High Technology und großes Know-How.
Das wichtigste Equipment der Täter waren vielmehr ihre religiösen und ideologischen Überzeugungen. Auffälligerweise werden diese momentan eher in entschuldigender Absicht thematisiert. Ich kann mich nicht erinnern, dass nach den Anschlägen der RAF in den siebziger Jahren die bundesdeutsche Presse den Sozialismus "an sich" für eine feine Sache gehalten hätte, um die RAF-Leute dann als ein paar fanatische Verirrte abzuurteilen. Damals wurde vielmehr ein inniger Konnex zwischen sozialistischer Ideologie und mörderischer Tat angenommen.
Im Falle der New Yorker Massenmörder aber überbieten sich die bundesdeutschen Medien in Lobpreisungen des "friedlichen Islam", als habe es den Giftgas-Liebhaber Saddam Hussein und den Ayatollah Chomeini nie gegeben. Die Fatwa gegen den Schriftsteller Salman Rushdie, die diesen zu einer jahrelangen Isolationshaft zwang, scheint dem Gedächtnis längst entfallen. Und auch die Intellektuellen, besorgt um ihr naiv besungenes deutsches Multikulti-Projekt, warnen vor der vorschnellen Verurteilung fremder Kulturen, statt an diese wenigstens versuchsweise die Maßeinheiten von Aufklärung und Human Rights anzulegen.
Verständlich ist: niemand von uns möchte sich als Rassist oder Ethnozentrist beschimpfen lassen oder gar die islamistischen Kommandos des in Köln einsitzenden Herrn Kaplan auf dem Hals haben. Trotzdem sollte man in Ruhe überlegen, ob die kapitalistische Ratio (immerhin Ratio), die zugegebenermaßen die dritte Welt (auch) verwüstet, uns letztlich nicht sympathischer ist als die dort herrschenden religiösen Wahnvorstellungen. Ob der Broker, der im World Trade Center sein Büro hatte, uns fatalerweise nicht doch näher steht als der Kamikaze-Flieger, der angeblich die Interessen der Entwicklungsländer vertritt. Nach dem 11.September lässt sich hier keine postmoderne Haltung mehr einnehmen.
Es macht auch wenig Sinn, die New Yorker Katastrophe aus überlegener Warte als Globalisierungs-Phänomen zu deuten (und damit herunterzuspielen), wie Hans Magnus Enzensberger das getan hat. Er hält den Terrorismus für eine "pathologische Kopie" des politischen Gegners - schon sind wir ganz gemütlich unter uns, in der Weltinnenpolitik. Zu beängstigend ist ihm der Gedanke, dass der Attentäter tatsächlich aus einer fremden Welt kommen könnte, die sich nur oberflächlich den kapitalen Gegebenheiten anpasst.
Dies genau aber ist der Fall. Wir haben uns daran gewöhnt, religiöse Systeme nicht ernst zu nehmen, weil Katholizismus und Protestantismus bei uns intellektuell und ökonomisch keine Rolle mehr spielen. Sie sind in Europa zu folkloristischen Veranstaltungen degeneriert, die man an Ostern und Weihnachten wie Blumenschmuck benutzt und ansonsten wenig beachtet. Der Kirchenbesuch liegt bei zehn Prozent der zahlenden Mitglieder, und der Priestermangel der katholischen Kirche zeigt, dass der Verein demnächst kein Personal mehr hat.
Im Islam, auf den sich die Fundamentalisten berufen, ist das ganz anders. Er bietet sich nicht nur als Projektions- und Entlastungssystem für die Armen, Entrechteten und Beleidigten an, er verfügt auch über die rabiate aggressive Kraft, die dem Christentum zur Zeit der Kreuzzüge und der Inquisition eigen war. Eine Trennung von Kirche und Staat ist in den allermeisten islamischen Staaten nicht zu erkennen. Und der Islam führt heute jenen Heiligen Krieg, den das Christentum spätestens in der französischen Revolution verloren hat. Bedauerlicherweise hieß eine damals beliebte Parole "Die Priester an die Laterne", was heute keinen guten Klang mehr hat. Sie zeigt aber, welche gesellschaftliche Anstrengung notwendig war, um eine (bis heute unabgeschlossene) Säkularisierung und Emanzipation von sadistischen Dogmen einzuleiten.
Religiöse Macht-Systeme sind inkompatibel mit Demokratie. Sie transportieren einen Absolutheitsanspruch, der auf gewaltsame Unterwerfung zielt - Unterwerfung der Gläubigen unter einen Gott, eine Führerfigur, eine Institution sowie Unterwerfung konkurrierender geistiger Systeme unter die eigene Anschauung. Ohne diese Ansprüche gibt das religiöse System sich selbst auf. Die friedliche Koexistenz ist ihm fremd. Im zahnlos gewordenen Christentum sind diese Haltungen weitgehend sublimiert, damit die Institution Kirche auch unter säkularen gesellschaftlichen Bedingungen fortbestehen kann. Aber: irrationalisiert sich die Gesellschaft, so werden auch die Kirchen in faschismusfreundliche Haltungen zurückfallen: das Reichskonkordat ist immer noch in Kraft.
Während das Judentum mit eher utopisch-philosophischen Heilserwartungen arbeitet, sieht es im Islam ganz anders aus. Man schlage den Koran an irgendeiner beliebigen Stelle auf: Man wird kaum eine Seite finden, auf der nicht von den Ungläubigen die Rede wäre und von den Strafen, mit denen sie zu belegen sind. Die Texte aber sind stets widersprüchlich: der Selbstmordattentäter findet hier die ihm genehmen Passagen ebenso wie der Tübinger Prediger Hans Küng, der mit genau diesem Schriftgut sein Weltethos begründet. Ergo: die Texte sind eher sekundär, entscheidend ist die institutionelle Wirklichkeit, in der sie interpretiert werden. Die sieht nicht gut aus. Man muss gar nicht die massenpsychotischen Szenen aus Mekka oder auch Lourdes (!) beschwören, die alljährliche islamische Massenpanik oder die kollektive Extase der christlichen Wundergläubigen, es genügt der Verweis auf die zentrale charismatische Figur, die die Erlaubnis zur Enthemmung gibt: der politische Führer, Papst oder Ayatollah (respektive das Zentralkomitee) muss nur sein Plazet geben, schon stehen wir bereit, die wahre Lehre durchzusetzen - gegen den Mammon und die babylonische Unzucht, gegen Juden und andere Ungläubige, in New York oder anderswo.
In Westeuropa sind religiöser Wahn und Rechtsradikalismus durch politische Systeme abgefedert, die zwar ebenfalls ein starkes Legitimationsdefizit haben, aber immerhin ein Minimum an Rechtssicherheit und zivilisatorischer Kontrolle bieten. In Nordafrika und im Nahen Osten fehlt das völlig. Es ist naiv, die moderne (technologische) Überformung dieser Gesellschaften für bare Münze zu nehmen: es regiert das paranoide Bewusstsein. Die vor Freude über den Massenmord tanzenden Palästinenser, die puppenverbrennenden Pakistani sind wahrscheinlich weitaus repräsentativer für die Stimmung in der Bevölkerung als Arafats Beschwichtigungsgesten oder die diplomatischen Formeln von Mubarak, der mit amerikanischem Geld an der Macht gehalten wird.
Der Palästina-Konflikt scheint die Folie zu sein, auf der die New Yorker Ereignisse am besten verstehbar werden. Ich will nicht die Wirren der israelischen Staatsgründung rekapitulieren, die Palästinenser haben ebenso ein Recht auf ihren Staat wie die Israelis ein Recht auf ein Refugium nach dem Holocaust. Ich will nur die Kampftechniken vergleichen: während die israelische Armee definierte militärische Ziele und Bewaffnete angreift, arbeiten die Palästinenser mit Heckenschützen und lassen Kinder Steine werfen. Das Mittel der Steinigung ist alttestamentarisch: Lynchjustiz. Der Mord an Zivilisten aus dem Hinterhalt ist unsäglich feige. Das Schaffen infantiler Märtyrer barbarisch. Und der Selbstmord-Attentäter, der in der zweiten Intifada nun auch aus politischen Gründen in Mode kommt, weiß sich an der Schwelle zum Paradies, seine Familie bekommt 5000 Dollar Prämie und von der Autonomiebehörde eine Rente.
Das Verhältnis zum eigenen Leben ist der entscheidende Unterschied zwischen westlichen und östlichen Gesellschaften. Während bei uns das Leben kostbar ist und man sich eher aus Melancholie und höchst individuell umbringt, hat der islamistische Selbstmörder höhere Ziele und höhere Leichenquoten im Sinn: sein Leben gilt ihm nichts. Es ist nur ein Übergangsstadium.
Das kann uns anderen, denen kein freundliches Jenseits winkt, nicht gleichgültig sein. Der modische, aber masochistische Kulturrelativismus wird uns nicht weiterhelfen. Natürlich gibt es sanftere Spielarten des Islam, natürlich sind die im Westen lebenden Muslime zum großen Teil offen für andere Ideen. Aber eine Religion, die die Hälfte ihrer Mitglieder unter den Schador zwingt und per Fatwa Kopfprämien auslobt, ist nicht friedlich zu nennen. Das mögen die tun, die ein Interesse daran haben. Sie mögen sich aber, um die politische Dimension dieser falschen Toleranz kurz zu skizzieren, beispielsweise die deutsche Bischofskonferenz als das Gremium vorstellen, das über Währungspolitik, Frauenrechte und Investitionsprogramme entscheidet. Das ist so lächerlich wie Rudolf Scharping, der nun bald wieder - grundgesetzwidrig - den Kriegsminister mimen darf. Aber immerhin muss der es demnächst noch auf irgendeine Landesliste schaffen.
Weder die Frauenbewegung noch die Intellektuellen haben sich bisher dezidiert gegen die politischen Implikationen des Islam, gegen seinen ziemlich christlichen Antijudaismus zur Wehr gesetzt. Sieht man sich dagegen die Argumente an, die - noch vor der ersten Militäraktion -gegen die Vereinigten Staaten vorgebracht werden, so scheint es unterhalb der Texte eine geheime Zustimmung zu den New Yorker Attentaten zu geben. Das Phänomen ist unter dem Titel "Identifikation mit dem Aggressor" bereits bekannt. Es ist der alte antikapitalistische Reflex, der dort durchschlägt. Erbschaft der Nachkriegszeit.
Kleine Reminiszenz aus dem ethnologischen Feld: ich bin selten für meine unverschuldete Zugehörigkeit zur deutschen Nation gelobt worden. Diese wenigen, sich dann aber häufenden Lobpreisungen fanden stets in arabischen Ländern statt, in denen man deutschen Fleiß, aber auch einen gewissen Adolf Hitler und die Chemikalie Zykon B sehr schätzt. Man kam dort gar nicht auf den Gedanken, dass man, rein theoretisch, auch einen deutschen Juden vor sich haben könnte. Seitdem betrachte ich den Palästina-Konflikt mit anderen Augen: die patriarchale Selbstüberhebung, die seltsame islamische Unfähigkeit zum Kompromiss, die ich erlebte, haben mich misstrauisch werden lassen. Die Palästinenser, so steht zu vermuten, lieben die Koexistenz nicht. Sie wollen, dass Israel von der Landkarte verschwindet.
Das wird nicht funktionieren. Auch werden die USA schwerlich um eine Antwort auf das New Yorker Horrorszenario herumkommen. Aber natürlich muss man, wie es unsere den Krieg durchaus schätzenden grünen Grünen fordern, "besonnen" reagieren. Eine Möglichkeit wäre es, den Gegner intellektuell zu bekämpfen: mit den Mitteln der Aufklärung (und konsequentem Laizismus an deutschen Schulen zum Beispiel: kein Schador, aber auch kein Kruzifix). Von den Grünen aber hört man nur das windelweiche pro-islamische und viertelchristliche Kauderwelsch Kuhnscher Fabrikation. Vielen Dank!
So wird der Irrationalismus weiter fröhliche Weihnachten feiern. Und der Wahn greift um sich: das quasi-religiöse Vokabular, mit dem George Bush seinen "Kampf des Guten gegen das Böse" eingeläutet hat, signalisiert in all seiner Sprachlosigkeit, dass auch in Washington das vernünftige Denken demnächst abhanden kommen könnte. Das wäre schade. Denn der Islam ist nicht "das Böse". Er ist einfach ein religiöses Machtkartell. Man muss es verweltlichen.
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