Der Schriftsteller Raymond Chandler ist vor Jahren mit der erkenntnistheoretisch brisanten Aussage aufgefallen, nichts sei so leer wie ein leeres Schwimmbecken. Der Fotograf Ed Ruscha könnte dagegenhalten: noch leerer sei ein leerer Parkplatz. 34 solcher gänzlich unbenutzten Parkflächen hat Ruscha im politisch bewegten Jahr 1967 aufgenommen, meist aus dem Flugzeug heraus und wahrscheinlich zu sehr früher Morgenstunde. Eines der auch metaphorisch stärksten Bilder ist die Aufnahme jenes Autoabstellplatzes, der zu den Universal Studios in Hollywood gehört: Sanft streckt sich die riesige, von weißen Verkehrsschraffuren überwölbte Asphaltfläche über einen Hügel; links sieht man ein paar Wegspuren in den Fels, rechts die verschiedenen, wahrscheinlich durch Sprengarbeiten freigelegten Erdschichten am Rande der Parkfläche; am oberen Bildrand führt halbschräg der Highway vorbei.
An diesem Kunstwerk ist vieles zu lernen über Bildaufteilung und Perspektive, über die Funktion von Hell und Dunkel und über das Graphische und Zeichenhafte in der Fotografie. Fast wichtiger aber ist, dass dieses Bild, das aus einer ganz neutralen, formalen Ästhetik heraus gemacht ist, den Blick öffnet für das Soziale: nämlich für den Umgang der amerikanischen Gesellschaft mit der Landschaft, die planiert und dienstbar gemacht wird, und für die Biographien der Menschen, die tagsüber auf diesem Parkplatz ihre Autos abstellen. Denn die Leere der Fläche schafft ja Raum für Gedanken: Woher, aus welchen miefigen oder neureichen Gegenden kommen die Angestellten und Freelancer, die dort parken und gleich dem Hollywood-Filmgeschäft nachgehen werden? Sind es kleine Techniker, Sekretärinnen, Effekt-Spezialisten, Drehbuchschreiber, Lohnbuchhalter? Was haben sie am Abend zuvor gemacht? Was tun ihre Familien, während sie arbeiten?
Das ist seltsam: dass jemand, der sich dem Politischen scheinbar verweigert, der völlig unbeeindruckt von Vietnam-Demonstrationen und Uni-Sit-ins Parkplätze, Wohnblocks und Tankstellen fotografiert, skurrile Monumente der amerikanischen Alltagskultur, dass der mit diesen menschenleeren Bildern Gesellschaftsdiagnosen stellt. Ruscha zeigt die ungeheure Fremdheit, die die Dinge bekommen, wenn man sie von Nahem anschaut oder aus einer ungewohnten Perspektive, die Bedrohung im vertrauten Betrieb: Gleich wird der Parkplatz sich füllen mit Menschen und Geschwätz, aber noch ist er leer, und der Fotograf ist allein - die Grundsituation jeder Kunst, die Außenseiterposition.
Der 1937 geborene Ed Ruscha ist eigentlich Maler und Zeichner, und nebenbei fotografierte er in jungen Jahren auch mal eine Kiste mit Nägeln und, frontal, den zusammengestauchten, gefalteten Papierwulst einer Tageszeitung oder den Kühlergrill eines Ford Plymouth, weil ihn das Skulpturale dieser Gegenstände anzog. Die Fotos wiederum waren Vorlagen für Zeichnungen oder Ölbilder: Seltsam beziehungslos liegen dann Zirkel, Bleistifte, Pinsel und Deckweißtuben als Elemente einer Schulausrüstung in den Bildern herum. Das war Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre, am Horizont dämmerten bereits die Vorzeichen der Pop-Art herauf, die später in der zur Ikone erhobenen Suppendose das Wesen der amerikanischen Gesellschaft ausmachen sollte.
Wirklich zu fotografieren begann Ed Ruscha dann auf einer Europareise 1961. Diese Bilder sind in der wunderbaren Züricher Ausstellung in Silbergelatineabzügen weitreichend dokumentiert. Ruscha fotografierte seltsame Dinge: Bürgersteige in Madrid, Schweinsköpfe in irischen Metzgerläden, Schaufenster von Tabakläden in Amsterdam, aufgeklappte Kühlschränke und das Klingelschild des Grashoppers Club in Zürich, Art-Deco-Eingangstüren in Cannes, "Metropolitain"-Schilder in Paris, drei Frauen in Venedig, französische Autos in Vorder- und Seitenansicht, Soldatenfriedhöfe und einsam in der Landschaft stehende Häuser in Griechenland. Schon diese Aufreihung zeigt: es ging hier nicht darum, etwas über das betreffende Land zu recherchieren, sondern formale, oft geometrische Muster so zu verdichten, dass im nüchternen fotografischen Konstatieren - scheinbar unbeabsichtigt - das Bizarre all dieser Wirklichkeiten sichtbar wurde. Daraus aber ergibt sich - hintenrum - dann doch noch ein sozialer Bezug: Die Verlorenheit der Figuren in der griechischen Hitze ist eine andere als die im Schweizer Wohlstand oder im irischen Regen.
Ruscha hat dann immer mehr konzeptuell gearbeitet. Zwar kommen uns manche seiner Perspektiven fotogeschichtlich bekannt vor: die von weit oben, von einem Turm aus gesehenen ameisenhaften Menschenschatten in Rothenburg ob der Tauber sind offensichtliche Stankowski-Zitate. Aber je mehr Ruscha in Serien zu denken und zu arbeiten beginnt, und das tut er ab 1963 vor allem mit Motiven des amerikanischen Alltags, desto mehr kommt das gewollt Unfertige und an graphischen Details Orientierte seiner Arbeit zum Vorschein. Der Zyklus "26 Gasoline Stations" zeigt nicht nur die architektonische Variationsbreite, in der in den USA ein simpler kleiner Industriebau wie eine Tankstelle immer neu erfunden wird. Sie zeigt auch die Benzolstation als mythischen Ort, als Umschlagplatz im ewigen Road Movie des amerikanischen Chaos - von der in klausner-hafter Einöde stehenden kleinen Betonschale bis zur gigantischen Großstadttanke, die spinnennetzartig umgeben, umflirrt ist von Kabeln, Elektroleitungen und Telegrafendrähten. Wenn man dann die parallel gefertigten Skizzen und Zeichnungen sieht, wird einmal mehr klar: Ruscha geht immer von einer rein visuellen Idee aus, der Rest ergibt sich.
Gerade deshalb, absurderweise, haben die Serien sozialdokumentarischen Wert. Die "Los Angeles Appartements", potthässliche Zweckbauten, die Ruscha 1965 sammelte, erinnern uns an jene Scheinmodernität, die die privaten Rückzugsräume von Großstadtbewohnern möglichst platzsparend und neutral übereinanderstapelt. Den Gegenpol dazu bilden die "Swimmingpools" der Reichen: Phantasien der Oberschicht vom Sosein und Wohlsein, verwaiste Orte des Luxus, weil die Eigner offenbar wenig Zeit zum Schwimmen haben.
Ein Verdienst der Züricher Ausstellung, die von einem großzügigen Katalog begleitet wird, besteht in ihrem Understatement: Auf Tischen liegen die kleinen, billig gemachten, unscheinbaren Hefte aus, in denen Ruscha seine Serien zunächst publizierte - die Dinger sind heute wahrscheinlich Raritäten und ein Vermögen wert; in Zürich kann das Publikum sie einfach benutzen. In langen flachen Glaskästen sind zudem Ruschas fotografische Rekonstruktionen ganzer Straßenzüge hingefältelt: Man vertiefe sich einmal in "Every Building on the Sunset Strip" - das ist nicht nur ein ethnologisches Dokument der skurrilen amerikanischen Balance aus Chaos und Planung, sondern auch eine Studie über die Geometrisierung des Stadtraums.
Sehr nüchtern aufbereitet ist auch die Ausstellung; man hat allerdings ein wenig das Gefühl, sich in einem Treppenhaus zu befinden, in das zufällig auch ein paar Fotos gehängt wurden - der an sich große Raum im Neubau des Züricher Kunsthauses wird dominiert von Säulen und Treppen. Dafür bieten die Züricher in einem Seitenkabinett eine wunderbare Nebenbei-Ausstellung mit Giacometti-Gipsen, die den Arbeits- und Prozess-Charakter von Kunst ebenso betont wie die Ruscha-Schau. Giacometti (die wichtigsten Teile des Werks lagern sowieso in Zürich) hat seine Plastiken in mehreren Schritten gefertigt: Zunächst modellierte er sie in Ton - der auch nach der Arbeit ständig feucht gehalten werden muss (sonst zerspringt er). Deshalb formte Giacometti von diesem Entwurf stets ein Negativ, eine Matritze ab, aus der dann ein haltbarer Gipsabguss hergestellt wurde. In den zwanziger und dreißiger Jahren, in seiner surrealistischen Phase, beließ es Giacometti oft bei diesen Gipsversionen - oder ließ von einem Kunsttischler Holzversionen anfertigen. Erst später begann er, aus den Gipsen Bronzeabgüsse herzustellen, also das, was heute als das genuine Giacometti-Werk gilt.
Die in Zürich ausgestellten Gipse sind nach langem Streit zwischen dem französischen Staat und den Erben endlich wieder frei. Sie decken alle Werkphasen ab und lassen Giacomettis plastische Ideen in einem etwas anderen Licht erscheinen: luftiger, zerbrechlicher, heller, schwebender. Von den realistischen Anfangsarbeiten über die kubistische und surrealistische Phase kann man noch einmal Giacomettis Weg in die reduzierte Menschenfigur und in die Großplastik verfolgen - und man begreift, wie viele geduldige Arbeitsschritte und immer neue Anläufe für die großen Stehenden und Gehenden notwendig waren.
Zwei künstlerische Positionen also, die sich ergänzen: Der eine, der sich immer wieder neu dem Individuum annäherte, es umkreiste und nie festhalten konnte oder wollte; der andere, der das Soziale provozierend nur als optischen Effekt begriff. Ed Ruschas grandiose Serie unbewohnter Parkplätze im Morgenlicht ist eine wunderbare, traurige Allegorie für das psychische Vakuum, aber auch für die ungenutzten Möglichkeiten der westlichen Industriegesellschaften.
Ed Ruscha, Photographer. Kunsthaus Zürich, bis 13. August. Katalog: Steidl, Göttingen 2006, 30 EUR
Alberto Giacometti. Die Originalgipse. Kunsthaus Zürich, bis 30. Juli.
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