Alben gibt es in der Jukebox nicht

Porträt Clara Drechsler hat „Spex“ mitgegründet und überträgt heute Pop-Romane ins Deutsche. Aktuell hat sie Tom Wolfs "Sound" übersetzt

Anfang des Sommers erschien in den USA der Debütroman des 29-jährigen Musikjournalisten Tom Wolf, der eine eher gewöhnliche Junge-schmeißt-Uni-hin-kehrt-in-seine-Heimatstadt-zurück-lernt-Mädchen-kennen-und-gerät-in-allerhand-Schwierigkeiten-Geschichte in einer wirklich neuen Form erzählt: Sound ist wie eine HipHop-Platte konzipiert, die Dialoge sind als Partitur notiert, in die Gedanken und Erinnerungen des Erzählers als dritte und vierte Stimme eingeschrieben sind. Wie laut oder tief gesprochen wird, lässt sich daran ablesen, wie groß, fett und in welcher Schriftart der Text gesetzt ist. Läuft in einer Bar ein Baseball-Spiel, tut sich eine Extra-Zeile für die Ansagen des Moderators auf. Gegen Ende des zweiten Teils – hier B-Seite – setzt der Autor die Nadel immer häufiger zurück, in eine der Rillen, wo die Sache mit Vera und Cincy eben erst anzufangen schien. In die „Sie lächelte: ‚Ich meld mich bald.‘“-Rille oder auch in die SMS-Rille: „Klar. Seh d Do.“

Kann man solch einen Roman ins Deutsche übersetzen? Clara Drechsler und Harald Hellmann haben es getan. Drechsler, die 1980 das Magazin Spex mitgründete, und Hellmann, früher ebenfalls Spex-Autor, haben zuvor Nick Hornby, Bret Easton Ellis, Douglas Coupland, Miranda July und Irvine Welsh ins Deutsche übertragen. Dass ein Verlag seine sogenannten Pop-Autoren von ehemaligen Pop-Journalisten übersetzen lässt, liegt nahe. Umgekehrt ergibt das auch Sinn: War das, was Spex damals machte – Popdiskurse über Musik und neue Bewegungen in der piefigen BRD zu führen – am Ende nicht eine Übersetzungsleistung?

Haferplätzchenschnaps

Um mit Clara Drechsler darüber zu sprechen, muss man nach Köln, wo Spex 1980 mit dem Untertitel Musik zur Zeit gegründet wurde. Drechsler und Hellmann gehören zu den wenigen, die in einer Stadt geblieben sind, die außer der Kulturministerin keiner mehr als Pop-Metropole nennen würde. In einem schön verlebten Altbau im Stadtteil Nippes legen sie derzeit auf zwei Stockwerken ihre Wohnungen zusammen. Dementsprechend viele Bücher und Zeitschriften lagern in den meisten Zimmern, und dementsprechend schwer ist es, einen bestimmten Titel zu finden – etwa die Spex-Ausgabe vom Juni 1987, in der Clara Drechslers als legendär gehandeltes Interview mit der Metal-Band Slayer abgedruckt ist.

Den Roman, der als Nächstes übersetzt wird – Stone Arabia von Dana Spottia –, zieht Drechsler in einem Balanceakt unter einem Stapel auf ihrem Schreibtisch hervor. Nicht übersetzbare Bücher, sagt sie, gibt es nicht. Nur dürfe man nicht erwarten, dass die Anmutung dieselbe bleibt. Was heißt das für Tom Wolf? „Man stelle sich ein amerikanisches HipHop-Stück vor, ein schöner Flow, eine sonore Stimme mit einem tiefen Bass. Der Sound verbreitet ein ganz anderes Gefühl, wenn das ein 27-jähriger Hamburger rappt. Das eine mag vom anderen inspiriert sein, aber es klingt anders. Schon weil die Wörter im Deutschen weniger süffig ineinanderfließen.“

Seit 1986 übersetzen sie und Hellmann gemeinsam. Helge Malchow, damals noch Lektor bei Kiepenheuer & Witsch (heute Chef und graue Eminenz, wie Drechsler sagt), hatte ihr ein Buch mit Artikeln der New Musical Express-Journalistin Julie Burchill gegeben. „Ein unglaubliches Gemetzel“, sagt Drechsler, „wir mussten uns so vieles mühsam erklären. Das ist mit dieser alten Rowohlt-Übersetzung vergleichbar“, sie zeigt auf eine Ausgabe von John Cheevers Die lieben Wapshots von 1962, „gemacht von einem, der niemals in Amerika war. In diesem Buch kommt ein ‚shore‘ vor, ein Vergnügungs-Pier wie in Sound. Hier ist es mit ‚Gestade‘ übersetzt. Ich liebe dieses Wort, das erste Mal habe ich es in einer Übersetzung der Odyssee gelesen. Aber mit ‚shore‘, wie es hier gemeint ist, hat das nichts zu tun. Ähnlich haben wir damals Julie Burchill übersetzt.“

Das Schwierige an Sound, sagt Drechsler, sei nicht die eigentümliche Form gewesen, sondern „der ganze Segelkram“. Cincy arbeitet auf einer kleinen Werft in seiner Heimatstadt New Jersey. „Man findet zwar heute alles im Internet, aber da muss man jemanden kennen, der segelt. Der sagt dir: ‚Den Begriff gibt es, aber das sagt kein Mensch so.‘“ Der schlimmste Fehler, der ihnen als Übersetzer passiert ist? „Wir haben einmal ‚digestive‘, was Haferplätzchen bedeutet, mit Verdauungsschnaps übersetzt. Da ist es schön, wenn man einen guten Lektor hat.“ Wie lange man übersetzt und was auch immer, sagt Drechsler, die Probleme bleiben dieselben: Witze und Anspielungen und Dinge, die es hier noch nicht gibt.

Devo

Womit wir bei Spex wären, der Zeitschrift, die dafür sorgte, dass endlich anders über Pop gesprochen wurde. „Es gab damals ein bestimmtes Erscheinungsbild der Rebellion. Und dann gab es Pop, der war für Pussys. All das wollten wir aufbrechen. Es ging darum, etwas Neues reinzulassen. Ein Beispiel waren Neil Young und Devo. Vermeintlich gibt es keine Berührungspunkte zwischen dem Mann, der Harvest aufgenommen hat, und Devo. Aber Hey Hey My My zusammen, das hat funktioniert, weil sie jeweils über ihr eigenes Feld hinaussehen konnten.“

Den Pop-Diskurs habe es eh nie gegeben, sondern einander ablösende Diskurse. Zur Beschleunigung hat Spex beigetragen. Titel wie The Kids are not alright oder die Ausrufung eines Phänomens wie „Girlism“ erfassten auch gesellschaftliche Entwicklungen. Als sich 199o alle Medien über die damals schon als unpolitisch geltenden Schüler mokierten, die in Diesel-Jeans und Chevignon-Jacken gegen den Golfkrieg demonstrierten, ging ein Spex-Autor hin und schaute sich an, was diese Kinder auf die Straße trieb.

So emanzipiert die Themen waren, die seinerzeit in Spex verhandelt wurden – am Anfang war Clara Drechsler dort die einzige Frau. „Alles hat sich damals in der Kneipe abgespielt. Und es gab nicht viele Frauen, die jede Nacht so lange mit den Jungs Bier tranken und Musik hörten.“ Eine ihrer Kneipenbekanntschaften war Gerald Hündgen, auch Spex-Gründer, laut Drechsler der wichtigste. In einer Kneipe namens Muckefuck legte Hündgen, wenn er die Theke machte, zu später Stunde auf: „Punkrock, Rockabilly, Soul, alles, was es an interessanter, anderer Musik gab, die sonst nirgends lief“. „Alles, was ich über Musik weiß“, sagt Drechsler, „habe ich mir gewissermaßen durch Osmose angeeignet.“

Behauptungsposen

Drechsler blieb bis 1995 bei Spex, nach 15 Jahren hatte sie das Gefühl, sich auf einer freien, breiten Straße zu bewegen. Das gute Schreiben über Pop mutierte zum Uni-Fach: „Und dann kommen mit schöner Regelmäßigkeit Dinge wie: Wir müssen mal wieder etwas behaupten. Eine subtile, dreimal um die Ecke gedachte Behauptung, die uns von den anderen abhebt. Dabei fällt unter den Tisch, dass etwas zu behaupten nur dann Spaß macht, wenn man wirklich etwas zu behaupten hat. Irgendwann ist es sonst dasselbe, als wenn man in einer Werbeagentur arbeiten würde.“

Wenn ihr in dieser Zeit so etwas wie ein fast perfekter Text gelungen ist, sagt Drechsler, dann dieser Slayer-Text, der unerwartet aus einer spontanen Begeisterung heraus entstand, „vielleicht gerade weil ich nicht allzu viel Ahnung von dieser Sorte Musik hatte.“

Ein wenig Ahnungslosigkeit, erzählt sie am Ende, konnte sie übrigens auch bei Tom Wolf feststellen. In Sound gibt es einen Freund von Cincy, der wie der Autor Tom heißt und dessen Ehrgeiz darin besteht, alle „Alben“, so steht es in der englischen Fassung, einer örtlichen Jukebox gegen Alben mit Coverversionen einzutauschen, die er selbst eingespielt hat, ohne dass jemand den Unterschied bemerkt. Auf dem Weg zur Erfüllung dieses Traums verschleißt er diverse Hintergrund-Bands, denn allen außer Tom geht es gehörig auf den Keks, für das richtige Gefühl in möglichst originalgetreuen Outfits einspielen zu müssen. Alben aber, erkannte Drechsler, gibt es in einer Jukebox nicht.

Also: E-Mail an den Autor, er könne doch nicht wirklich Alben meinen. Doch, doch. Da ging Drechsler auf, dass es noch ein klassisches Übersetzungsproblem gibt: Wenn einer von Dingen schreibt, die es nicht mehr gibt. „Mir wurde klar, dass der Mann mit HipHop aufgewachsen ist und vermutlich nie in seinem Leben eine 7-Inch gesehen hat“.

Sie hat „Alben“ dann einfach mit „Platten“ übersetzt.

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