„Hin zu Hoppla“

Im Gespräch Frank Spilker, Sänger der Hamburger Band Die Sterne, über die Rückkehr des Spirits der 90er
Ausgabe 35/2014

Der Freitag: Herr Spilker, die Goldenen Zitronen haben auf ihrem jüngsten Album mit den Songs „Essohäuser“ und „Der Investor“ direkt auf die Hamburger Stadtpolitik Bezug genommen. Ihr Gentrifizierungssong heißt nun „Innenstadt Illusionen“. Kommt man als Musiker an dem Thema in Hamburg nicht mehr vorbei?

Frank Spilker: Man kommt als Mensch nicht mehr daran vorbei. Die Goldenen Zitronen nehmen ja ganz konkrete Beispiele für besonders böse Investments. Ich habe versucht, das Thema von einer anderen Seite anzugehen und eine Art von Angst zu beschreiben, die herankriecht. Wie fühlt sich Gentrifizierung an, wenn man sie erst als Modethema abtut und dann merkt, dass man sich beruflich strategisch etwas überlegen muss, um die Wohnung noch bezahlen zu können. Dieser Übergang vom abstrakten politischen Thema hin zu „Hoppla, ich bin ja direkt betroffen“, hat mich mehr interessiert, als zu analysieren, wer schuld ist.

„Drei Akkorde lang würden wir sie besiegen“, lautet eine Zeile Ihres neuen Albums. Hat sich dieses große Versprechen des Pop nicht abgenutzt, seit Sie 1992 sangen „Fickt das System“?

Die Frage ist, ob es darum geht, dass man es einlösen könnte. Geht es um die realistische Vorstellung einer irgendwie gearteten Revolution – oder erst einmal nur um die Formulierung einer Sehnsucht? Ich würde sagen: Solange es diese Sehnsucht gibt, bleibt das Versprechen gültig.

„Drei Akkorde lang“ heißt ja erst einmal für den Moment.

Das ist natürlich eine sehr romantische Idee. Ich habe mich da wieder einmal ein bisschen bei Serge Gainsbourg bedient, in diesem Fall bei La Javanaise. Ein super Chanson übrigens, nicht nur kitschig, sondern mit Schmerz unterfüttert. Dort gibt es die Zeile: „Wir lieben uns für die Dauer dieses Liedes.“ Was Popmusik stark macht, ist genau diese Zeitdimension.

Die „Spex“ zeigt Jochen Distelmeyer auf ihrem aktuellen Cover. Anlass sind 20 Jahre seit der Veröffentlichung des Blumfeld-Albums „L’État et Moi“. Die Überschrift zum Artikel lautet: „Der Apfelmann ist wieder da!“ Bereuen Sie es, dass Sie nie weg waren, um mit Getöse wiederkommen zu können?

Was Blumfeld machen, ist ja der älteste Trick der Musikgeschichte: Auflösung ankündigen, auflösen und sich dann reinszenieren. Das scheint immer noch zu funktionieren. Lustig finde ich an dem Spex-Cover, dass Blumfeld draufsteht, aber nur der Sänger Jochen Distelmeyer zu sehen ist. Das sagt ja auch etwas aus. Ich hätte eher eine neue Band wie Trümmer aufs Cover genommen.

Auf Ihrem Album singen Musiker diverser neuer Hamburger Bands mit. Deren eigene Bands heißen Zucker, Der Bürgermeister der Nacht und Schnipo Schranke. Wo kommen die plötzlich alle her?

Das habe ich mich auch gefragt. Wenn man einmal in das Nest sticht, lernt man die alle kennen. Es gibt eine junge Generation von Musikern, die sich um das Label Euphorie gruppieren, zu denen die eben genannten, Trümmer und noch ein paar andere gehören. Wobei Euphorie nicht wirklich ein Plattenlabel ist, sondern eher ein Zusammenschluss. Sie organisieren zum Beispiel Partys und Konzerte im Golden Pudel Club in Hamburg. Ganz ähnlich also wie unser Label L’Age D’Or es in den 90ern gemacht hat.

„Trümmer“ beziehungsweise „Trrmmer“ und „Zucker“ sind beides auch die Titel von Sterne-Songs, die sich auf Ihrem Album „Posen“ aus dem Jahr 1996 befinden. Ein Zufall?

Zucker haben mir neulich erzählt, der Name sei von einem längeren Wortspiel übrig geblieben. Zufall also. Trümmer sagen das auch. Ob das glaubwürdig ist? Ich weiß es nicht.

Was machen diese neuen Bands anders als die Bands der sogenannten Hamburger Schule in den 90ern?

Bislang fällt mir kaum etwas auf. Die mögen uns und unsere Sounds. Das hört man der Musik an. Sie müssen sich offensichtlich von meiner Generation nicht so abgrenzen wie andere, die nur zehn Jahre jünger sind. Das ist vielleicht der ganz normale 20-jährige Zyklus des Recycelns.

Was ist mit der Generation dazwischen, ist von der nichts geblieben?

Das ist sicher keine Lost Generation. Die haben sich ein anderes Feld gesucht, mit nicht deutschsprachigen Texten und dann auch rein elektronischer Musik, wie etwa Hendrik Weber mit Pantha du Prince. Musikalisch gibt es auch jetzt eine große Bandbreite, wichtig ist aber die Bereitschaft zu kommunizieren. Da sind wir wieder bei einem Begriff wie Diskurspop. Worum geht es eigentlich, was will man formulieren, welche Form von Protest oder Protestkultur? Dass man darüber redet, ist mit der Szene von 1991 vergleichbar.

Georg Seeßlen hat zusammen mit Markus Metz ein neues Buch über den Kunstmarkt geschrieben. Vieles von dem, was sie dort schreiben, scheint mir auch auf Musik zuzutreffen. Am Ende des Buchs findet sich ein Manifest. Dort heißt es: „Es geht nicht darum, politische Kunst zu machen, sondern Kunst politisch und politisch Kunst.“

Das gilt für die Musik genauso. Wenn jemand sagt: „Sie machen politische Texte“, sage ich grundsätzlich Nein. Ich behaupte, es gibt so etwas nicht. Es gibt nur die Möglichkeit der Zustimmung und der Kritik. Wenn man keine Kritik äußert, ist das eine unausgesprochene Zustimmung. Da hört das Gespräch dann oft schon auf, und die Leute sind beleidigt.

Ein Unterschied ist, dass im Kunstmarkt unheimlich viel Geld zirkuliert. Das kann man über die Musikbranche nicht gerade sagen.

Anders als im Kunstmarkt versucht man in der Musikbranche, wenig Geld von vielen einzuholen, anstatt viel Geld von wenigen. Natürlich auch, weil es in der Musik kein Original gibt, das man kaufen könnte.

Ihr Album kann man in drei unterschiedlichen Versionen kaufen. Die CD kostet 14,90 Euro, das Vinyl geringfügig mehr und dann gibt es eine Sonderedition für 38,90.

Verschiedene Editionen sind eine recht neue Entwicklung, seit man festgestellt hat, dass man von Spotify-Plays nicht leben kann. Das machen jetzt alle.

Im Fall von David Bowie fand ich es etwas fies, zuerst die normale und dann ein halbes Jahr später eine Deluxe-Version zu veröffentlichen. Der Fan will natürlich sofort das Album haben, aber dann auch die Extras.

Es gibt eine unsichtbare Grenze, die man klären muss. Das gilt auch für Eintrittskarten zu Konzerten. Natürlich kann man Sitzplätze und Logen anbieten, das schadet keinem. Aber wenn der Platz vorne im Moshpit budgetiert wird, der den Fans gehört, ist so eine Grenze erreicht. Auch für mich als Musiker. Die Vorstellung, ich stehe oben auf der Bühne und vor mir steht der Teil des Publikums, der das meiste Geld bezahlt hat, fände ich echt komisch.

Sie haben vergangenes Jahr einen Roman veröffentlicht. Der Protagonist ist ein Grafikdesigner, dessen Büro Tropical Design schon bessere Tage gesehen hat. Er sagt einmal, er und seine Kollegen hätten nie das Talent gehabt, aufzumachen, als das Geld vor der Tür stand. Teilen sie dieses Problem mit ihm?

Das Problem ist eher, dass gar kein Geld vor der Tür steht. Aber die Szene, die ich im Buch beschreibe, ist natürlich mein Biotop hier in Hamburg.

Gut. Aber in den 90ern, als Sie bei Sony veröffentlicht haben, war das doch sicher anders.

Im Vergleich zu heute waren die 90er ein goldenes Zeitalter für Musik. Aber was den Leuten schwer vermittelbar ist, wenn man medial sehr präsent war: Wir haben auch mit 80.000 verkauften Alben nicht so viel Geld verdient, dass wir dadurch reich geworden wären. Das meiste ist für die Videos draufgegangen.

Eike Bohlken von Blumfeld spricht in der „Spex“ von der Angst, in ein unappetitliches Berufsjugendlichentum abzudriften. Kennen Sie die auch?

Nein. Ich glaube, das ist eine Spießerangst: Eigentlich müsste ich etwas Richtiges machen. Get a real job. Aber es geht vielmehr darum, womit man sich inhaltlich befasst. Man sollte als Musiker nicht versuchen, die 20-Jährigen zu imitieren. Dann kann man in Würde altern. Das ist auch eine Frage der Themen.

Flucht in die Flucht Die Sterne Staatsakt / Rough Trade 2014

Frank Spilker, 48, ist seit den frühen 90ern Sänger und Songschreiber der Band Die Sterne. Er zählt neben Dirk von Lowtzow (Tocotronic) und Jochen Distelmeyer (Blumfeld) zu den wichtigsten Köpfen der sogenannten Hamburger Schule. Flucht in die Flucht ist das zehnte Album der Band

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Das Gespräch führte Christine Käppeler
Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler studierte Germanistik, Amerikanistik und Theaterwissenschaften in Mainz und arbeitete nebenbei als Autorin für Spex. Das Magazin für Popkultur. Im Anschluss führte sie das Journalismusstudium an der Hamburg Media School zum Freitag, wo sie ab 2010 als Onlineredakteurin arbeitete. 2012 wechselte sie ins Kulturressort, das sie seit 2018 leitet. Sie beschäftigt sich insbesondere mit Kunst und den damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten.

Christine Käppeler

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden