„Ich leite nur zu“

Interview Die Crowd hat Rocko Schamonis neues Album finanziert, mit Orchester glamifiziert er nun vernachlässigte Popsongs. Probleme machen ihm die Liedermacher aus dem Osten
Ausgabe 21/2015

der Freitag: Herr Schamoni, Sie haben angekündigt, mit einem Orchester vergessene Lieder auferstehen zu lassen und dafür 42.000 Euro gekriegt. Braucht man für erfolgreiches Crowdfunding ein Heilsversprechen?

Rocko Schamoni: Einfach nur eine Popplatte aufzunehmen, zielt für mein Gefühl eigentlich zu tief, deshalb bin ich froh, dass es dennoch geklappt hat. Wir hätten das Geld niemals von einer Plattenfirma bekommen, weil die Majors das nicht ausgeben wollen und die Indies es nicht mehr können. Ich finde, Crowdfunding sollte Projekten vorbehalten bleiben, die größer sind als der persönliche Wunsch eines Einzelnen. Man kann das nicht ständig und ohne Ende zu allem machen.

Sie haben den Crowdfundern Gastauftritte in Ihrem Chor, Ehrenplätze bei Auftritten und signierte Linolschnitte aus Ihrer Studienzeit an der Kunsthochschule in Hamburg angeboten. Ist es nicht wahnsinnig anstrengend, das alles einzulösen?

Der Verantwortungsdruck nervt enorm. Abgesehen davon, dass ich diesen Spendern total dankbar bin, stehe ich vor der unmöglichen Aufgabe, 620 Leute bedienen zu müssen. Ein Viertel des Geldes geht allein in die Belohnungen.

Ernsthaft, 10.000 Euro?

Allein der Versand kostet 3.000 Euro. Für die Theaterkarten haben wir 2.500 Euro ausgegeben, die T-Shirts, CDs und Buttons, die wir extra pressen lassen, sind da noch nicht eingerechnet.

War Ihnen das vorher klar?

Null. Darüber habe ich nicht nachgedacht. Abgesehen von der Arbeit, die ich unbezahlt machen muss. Ich kann mir ja nicht 5.000 Euro in die Tasche stecken, weil ich tagelang Linoldrucke mache und Pakete packe. Da lauern unbedachte Effekte, auf die man vorbereitet sein sollte.

Bernadette La Hengst hat ihre nächste Platte ähnlich finanziert. Die Crowdfunder dürfen backstage mit ihr abhängen und im Video mitspielen. Muss man als Künstler heute seine Privatsphäre veräußern, um Musik noch finanzieren zu können?

Wir haben keine Erfahrung mit Crowdfunding, also erfinden wir eine Technik. In fünf Jahren macht das vielleicht keiner mehr so. Oder alle machen es nur noch so. Ich habe Leute zum Mitsingen ins Studio eingeladen, das war super, keine Belastung. In Wien gab es ein privates Abendessen vor der Show, da breche ich mir keinen ab. Aber wenn ich noch ein Meet & Greet verabredet hätte, würde es eng werden. Eine Band wie Kiss verdient heute horrende Summen mit Special Cards: Backstagebesuche, Abendessen, Kreuzfahrten mit der Band. Man versucht noch aus den letzten Winkeln einen Cent rauszuholen, das ist dann die komplette Veräußerung des Privatspaces von Künstlern. Finde ich persönlich schrecklich, würde ich nie machen. Aber ich musste für dieses Projekt auch ausprobieren, was man so aushält.

Zur Person

Rocko Schamoni, 49, ist Musiker, Romanautor, Schauspieler, Clubbetreiber und lebt in Hamburg. Mit Studio Braun machte er Telefonscherze, Theater und schließlich auch einen Film (Fraktus, 2012). Das Album Die Vergessenen von Rocko Schamoni & Mirage erscheint am 22. Mai

Was macht ein Orchester mit Liedern?

Es steht für eine Art von Glamifizierung. Was kostet die Welt von F.S.K. ist eher klein und sperrig produziert, was natürlich auch seine Unverwechselbarkeit ausmacht. Bei mir klingt es teuer und wahrscheinlich auch etwas biederer, es ist dennoch der gleiche Song und der gleiche Text. Auf diesem Umweg versuche ich den Song Leuten näherzubringen, die mit dem Aufbruch von Hörgewohnheiten Probleme haben. Natürlich will ich aber, dass sie am Ende das Original hören. Ich bin nur eine Zuleitung zu der eigentlichen Grundidee. Es ist ein Versuch, über Glattheit und Glam auf etwas anderes hinzuweisen.

Der Gestus der leuchtenden Showtreppe. Oder ist das nur meine Projektion?

Nein, das ist genauso stumpf gedacht, wie Sie sich das vorstellen.

Einige Lieder, etwa „Das Zelt“ von Jeans Team, sind noch keine zehn Jahre alt.

Andersherum: Ich habe enorm viel Musik gehört, aus dem Osten und Westen, Norden, Süden und aus allen Zeiten. Und ich habe festgestellt, dass die Geschichte deutschsprachiger Popmusik erst 1970 anfängt. Die französischsprachige, englischsprachige und italienischsprachige Popmusik beginnt viele Jahrzehnte davor. Der Nationalsozialismus hat bei uns alles zerstört, was an Tradition da war. Wir haben also maximal ein Drittel des Schatzes, von dem andere zehren können.

Der Osten fehlt auf dem Album.

Sie vergessen Manfred Krug. Ich habe mir vieles andere angehört, aber ich habe Probleme mit dem Songwriting im Osten. Weniger mit den Texten. Ich kann vieles nicht entschlüsseln, was da transportiert wird, das ist natürlich sehr interessant. Ich mag nur den Ostenliedermacherkompositionsduktus nicht so.

Was meinen Sie damit?

Es gibt da speziell einen Künstler, Gerhard Gundermann. Er gilt als der Bruce Springsteen des Ostens. Gundermann war Baggerfahrer, Arbeitertexter und hat ganz sperrige Arbeiterchansons gesungen. Er war aber auch Spitzel, dafür ist er verurteilt worden, gleichzeitig kam er in den Knast, weil er seine widerborstige Position als Arbeitersänger nicht aufgeben wollte. Eine ambivalente, sonderbare Figur mit teilweise echt guten Texten. Aber ich kann mit diesen liedermacherartigen Kompositionen nicht umgehen. Wohingegen Manfred Krug mit dem Fischer-Orchester blütenklaren Pop gemacht hat. Der klingt zeitgleich wie Curtis Mayfield 1974, was in Westdeutschland keiner geschafft hat.

Zwei Lieder auf dem Album sind neu und von Ihnen. Der eine heißt „Angela“. Wie schafft man es, nicht zu lachen, wenn man singt: „Dein Busen ist ein Friedhof für Orden“?

Ich persönlich finde den Satz treffend. Der Song hätte genauso gut Gerhard oder Joschka heißen können. Man sieht solche Leute in der Öffentlichkeit und stellt Versteinerungseffekte fest. Angela Merkel ist sicher das größte Klischee in Europa für das Verschwinden der menschlichen Persönlichkeit hinter einer Statue. Ist das eine Idee von mehreren oder ein Wunsch von allen? Keiner weiß mehr, was dahintersteht. Ich finde, der Satz bringt auf den Punkt, was ich meine. Nach dem fünften Mal muss ich nicht mehr lachen.

Welche Ihrer Songs wurden zu Unrecht vergessen?

Erfolgreich waren viele nicht, weil es keine Singles oder Videos gab. Die deutsche Radiolandschaft ist extrem feige. Es gibt Songs, die sind komplett umsonst geschrieben worden und zwei Wochen nach der Veröffentlichung untergegangen. Das hätte ich mir anders gewünscht.

Ist Radio denn noch wichtig?

Das Radio hat eine Verantwortung, der es nicht gerecht wird. Null Komma null. Zumindest das in Norddeutschland. Ich nehme jetzt mal das Freie Sender Kombinat und Byte FM da raus, aber die werden ja auch kaum gehört.

Streamen die Leute nicht ohnehin alles im Internet?

Ich rede von den normalen Leuten, die im Auto, bei der Arbeit oder in der Werkstatt Radio hören. Man sollte eine Qualitätsquote einführen. Einmal pro Stunde einen sonderbaren, schrägen, zerbrochenen, strangen Song – das muss der Radiohörer ertragen können. Warum wird den Leuten nicht etwas Interessantes in die Hirne gepflanzt, damit sie aufwachen und sich freuen, dass es diese sonderbare, anregende Kunst gibt. Dieses permanente Einseifen mit Glattheit ist ein Verbrechen. Dagegen sollte man etwas tun.

Und warum tut keiner was?

Das hat viel mit dem Netz zu tun. Wir haben uns alle auf unsere Plattformen verkrochen und bedienen uns selber. Das ist ein Fehler. Wir als Künstler können bei den Öffentlich-Rechtlichen einfordern, gebt uns den Platz, den ihr uns schuldig seid.

Ihre andere Baustelle ist der Golden Pudel Club in Hamburg, dessen Miteigentümer Sie sind. Im Herbst wird das Gebäude wegen eines Rechtsstreits versteigert. Die Angst geht um, ein Investor könnte zuschlagen. Wäre Crowdfunding da keine Lösung?

Dafür sind die Summen zu hoch.

Es gibt Fälle, in denen mehrere Millionen zusammenkamen.

Was wäre die Payback-Methode? Wenn wir den Leuten über die Jahre 800.000 Euro in Bier zurückzahlen müssen, können wir die Kneipe trotzdem sofort dichtmachen. Zu Konzerten einladen geht auch nicht, weil der Laden ja so, wie er jetzt funktioniert, gerade so funktioniert. Da könnten wir uns das Geld gleich von der Bank holen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler studierte Germanistik, Amerikanistik und Theaterwissenschaften in Mainz und arbeitete nebenbei als Autorin für Spex. Das Magazin für Popkultur. Im Anschluss führte sie das Journalismusstudium an der Hamburg Media School zum Freitag, wo sie ab 2010 als Onlineredakteurin arbeitete. 2012 wechselte sie ins Kulturressort, das sie seit 2018 leitet. Sie beschäftigt sich insbesondere mit Kunst und den damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten.

Christine Käppeler

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