"Der Zeitpunkt für meine Ausstellung in Berlin könnte nicht besser sein. Ich lebe in New York nur einen Block von der Evakuierungszone entfernt. Wir hatten die ganz Woche keinen Strom, keine Heizung. Aufgewachsen bin ich an der Küste in Belle Harbor im Stadtteil Queens, dem Ort, der jetzt die größte Zerstörung durch Sandy erfahren hat.
Als Kind habe ich mich sehr für die Natur und die Jahreszeiten interessiert. Ich las ein Buch ums andere mit Titeln wie Herbst in den Vereinigten Staaten. Um die Jahreszeiten abzubilden, musste ich in Farbe fotografieren, auch wenn das damals karrieretechnisch Selbstmord bedeutete. In den ersten Jahren musste ich lernen, das Vokabular der Farben zu verstehen. Aus heutiger Perspektive ist das schwer zu verstehen, aber damals
tehen, aber damals betrat ich Neuland: Was war zu bunt, wie erreicht man in Farbe den gleichen Abstraktionsgrad wie in schwarz-weiß, das einen automatisch in eine andere Welt entführt? Ein Farbfoto sieht erstmal realistisch aus. Aber Kunst sollte uns aus der gewohnten Realität entführen. Der Trick ist: Ein Farbfotograf muss mit seiner Palette umgehen, wie ein Maler es tut.Schrecklich schönMit dieser Erkenntnis bin ich Ende der siebziger Jahre drei Jahre lang in einem VW-Bus durch die USA gereist. Wie jeder US-Amerikaner hatte auch ich diesen Traum. Ich wollte mit den Jahreszeiten durch das ganze Land reisen. Ich liebe den Herbst, also brach ich Anfang September in Maine auf und folgte dem Herbst nach Süden, um ihn hundertmal auf seinem Höhepunkt erleben zu können. Amerika jedoch hatte sich damals stark verändert: Autobahnen, Fast-Food-Ketten, Holiday Inns. Meine Vorstellung von den kleinen Städten existierte so nicht mehr. Und so habe ich versucht, diese neue Landschaft interessant und schön zu finden. Ein künstliches Wellenbad kam mir damals so kurios vor. Es gibt diesen Begriff bei Yeats: ‚a terrible beauty’. Es war gleichzeitig grauenvoll und schön. Der Fotograf Robert Adams hat geschrieben: ‚Wir müssen die Landschaft akzeptieren, wie sie ist, oder wir entfremden uns von ihr.’ Daher müssten wir uns mit ihr versöhnen. Ich stimme ihm nicht ganz zu. Manchmal muss man sich beschweren und wütend sein. Auf einigen meiner Bilder sind die Auswirkungen von Naturkatastrophen zu sehen: einer Flut, eines Tornados. Mir geht es nicht darum, fürchterliche Dinge zu zeigen, sondern darum, dass wir Menschen immer noch Teil der Natur sind.Vielleicht wandte ich mich daher dem Thema Utopie zu: Ich wollte Menschen finden, die in Einklang mit der Natur leben. Mit neun Jahren war für mich Thoreau ein Held, aber damit stand ich sehr alleine da. Die meisten Utopien sind grandios gescheitert. Aber das bedeutet nicht, dass sie sinnlos waren. Wir sollten alternative Kommunen nicht danach beurteilen, wie lange sie überleben. Wichtig sind die Ideen, die aus ihnen hervorgehen. Gemeinschaftliches und nachhaltiges Wohnen zum Beispiel. 2005 reiste ich zur Weltklimakonferenz nach Montreal. Davor war ich naiv, was das Thema Klimawandel betraf, wie die meisten US-Amerikaner. Wir sind alle einer Gehirnwäsche unterzogen worden und wagen es nicht mal, das Wort auszusprechen. Im Wahlkampf fand das Thema nicht statt. Ich lebe fünf Blocks von der Stelle entfernt, an der das World Trade Centre stand. Was ich in Montreal zu hören bekam, hat mich mehr geängstigt als 9/11.Der Klimawandel existiertIch war mit der Frage nach Montreal gereist, ob der Klimawandel existiert. Alle anderen fuhren mit der Frage dahin, ob er noch umkehrbar ist. Wir haben das Zeitalter erreicht, in dem man mit einem Schild herumlaufen kann, auf dem ‚Das Ende ist nahe’ steht, ohne in eine Anstalt gesteckt zu werden. Das Problem des Klimawandels ist: Er ist unsichtbar.Ob ich ein Naturschützer bin? Ja, ich würde es gerne sein. Ich möchte ein politischer Künstler sein. Aber wenn man Fotos macht, die nur wütend sind, erreicht man niemanden. Wenn man etwas bewegen möchte, darf man nicht vergessen, auch Künstler zu sein. Vieles läuft entsetzlich falsch in den USA. Und vieles läuft kolossal richtig. Beides stimmt. Das macht sie als Gegenstand der Fotografie so interessant. Bevor mein heute dreieinhalbjähriger Sohn geboren war, galt meine große Liebe einem Kartoffelacker in Massachussetts. Ich kannte ihn seit 50 Jahren und habe ihn ein Jahr lang fotografiert. Der Klimawandel wird auch ihn verändern. Irgendwann werden dort Palmen wachsen. Ich kann nur sagen: Verlieben Sie sich in einen Kartoffelacker, und sie werden ein glücklicher Mensch.Ich persönlich möchte nicht fotografiert werden. Gefühlt bin ich immer noch der junge Mann, der in einem VW-Bus Sonnenblumenkerne kauend quer durch die USA gefahren ist. Aktuelle Fotos zerstören meine Illusion."