Robert Farle kommt jetzt öfter mit Videobotschaften. Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Magdeburger Landtag sitzt da vor dem blauen Banner der Partei in einer schwarzen Bierfahrerweste. Was er sagt, ist nicht nett. Die, die er angeht, sind nicht Altparteien, das System oder die da oben. Es sind AfD-Abgeordnete, die „ihr Mandat missbrauchen, ohne die Politik der AfD für die Rettung Deutschlands voranzubringen“. Gemeint sind die drei Abgeordneten, die kürzlich die Fraktion verlassen haben.
Eine Schwund von 25 auf 22 Fraktionsmitglieder ist Anlass genug für die AfD Sachsen-Anhalt, derzeit noch mehr dreckige Wäsche zu waschen, als sie in den 13 Monaten ihrer Parlamentszugehörigkeit sowieso gewaschen hat. Es geht um Putzigkeiten wie den Vorwurf, eine Abgeordnete habe beim Friseur gesessen, während sich die Kollegen im Plenum „mit den anderen Parteien herumgeschlagen“ hätten, wie Farle sagt. Es geht um Vorwürfe an den Landes- und Fraktionschef André Poggenburg, die Partei zu „säubern“. Es geht um zwielichtiges Fraktionspersonal aus Burschenschaftskreisen. Es geht sogar um den Vorwurf sexueller Nötigung.
Abdankung in sieben Minuten
In Sachsen-Anhalt holte die AfD aus dem Stand ein Viertel der Stimmen. Sie wurde zweitstärkste Kraft nach der CDU – und verbreitete Angst und Schrecken vor Trittbrettsiegern. Mit 25 Abgeordneten zog sie in den Landtag ein, 15 direkt gewählt. In keinem der 13 Länderparlamente, die sie bislang erobert hat, ist die AfD so stark. Wie sie sich hier präsentiert, sagt etwas aus darüber, was man ab Herbst im Bundestag erwarten kann. In Magdeburg liefert die AfD Popkorn-Kino: Grusel, Sex, Politspektakel.
Spannend ist gerade, ob noch mehr Fraktionsmitglieder stiften gehen. Poggenburg, der sich vergangene Woche zu einer Erklärung genötigt sah, sprach von „fehlendem Teamgeist“ der Abtrünnigen, von „persönlichen Befindlichkeiten und Zwistigkeiten von Abgeordneten untereinander“. Deshalb frage er sich schon, ob die Austrittswelle „tatsächlich einen Verlust darstellt“. André Poggenburg, 42, ist ein Mann mit großen Ambitionen. Nach dem Erdrutschsieg vor einem Jahr hätte es der Unternehmer aus Zeitz in die A-Riege der AfD-Provokateure bringen können. Doch an Björn Höcke und Alexander Gauland, die er offenkundig bewundert, kam er nie vorbei. Poggenburg gilt unter Beobachtern als Glücksritter, der nachquasselt, was ihm gewinnbringend erscheint. Der sei wirklich keiner, „der glaubhaft irgendeine Idee verkörpert“, meint Linken-Urgestein und Landtagsvizepräsident Wulf Gallert.
Immerhin kommt Poggenburg als Oppositionsführer in Sachsen-Anhalt ein erhebliches politisches Gewicht zu – wäre da nicht so viel Feuerwehrarbeit zu erledigen. Im April 2016 etwa wurde sein Fraktionsmitglied Daniel Rausch zum Landtagsvizepräsidenten gewählt. Der Metallbauer aus Staßfurt war der erste AfD-Politiker bundesweit in diesem Amt. Gleich bei der ersten Plenarsitzung, die er leiten musste, stellte er Überforderung fest und trat ab. Nach nur sieben Minuten Sitzung.
Dann kam die Affäre um den AfD-Abgeordneten Matthias Büttner. Eine Fraktionsmitarbeiterin, die entlassen worden war, warf dem 34-Jährigen vor, er habe sie vergewaltigen wollen, bei einer Dienstreise in einem Erfurter Hotel. Der Vorwurf konnte bis jetzt nicht geklärt werden. Vor dem Arbeitsgericht unterlag die Frau – sie hatte laut Urteil eine Note im Bewerbungszeugnis frisiert, die Entlassung sei rechtens.
Die heterogene Fraktion auf eine Linie zu trimmen, gelingt Poggenburg längst nicht mehr. Stattdessen umgibt er sich mit Rechtsintellektuellen aus dem Umfeld des Verlegers Götz Kubitschek, der auf dem Rittergut Schnellroda im Saalekreis seinen Kleinverlag betreibt. Mitglieder anderer Fraktionen staunen regelmäßig, wer so alles an den AfD-Tischen in der Landtagskantine sitzt. Seit einem halben Jahr etwa sind es immer wechselnde Leute aus dem Burschenschaftsmilieu, die aus ganz Deutschland nach Magdeburg strömen.
Auch für Mandatstouristen war Sachsen-Anhalt vor der Landtagswahl 2016 höchst attraktiv. Die Prognosen für die AfD stiegen von Woche zu Woche, die Aussichten auf Posten und Jobs waren gut. So pilgerte auch Hans-Thomas Tillschneider nach Magdeburg. Der 39-jährige Islamwissenschaftler mit rumänisch-deutschen Wurzeln war Dozent an der Uni Bayreuth, Einpeitscher bei Pegida-Demos in Dresden und rutschte auf Listenplatz 10 in den Landtag von Magdeburg. Viele sehen in Tillschneider den Chefideologen des Landesverbands, der die intellektuelle Tiefenschärfe einbringt, an der es Poggenburg empfindlich gebricht.
Solche Personalien sind für die AfD auch problematisch. Auf dem tendenziell rechtsextremen Ticket zu reiten, hat über die Monate geholfen, weiter stattzufinden. Aber es kostet Sympathien in der Kundschaft, die zwar irgendwie wütend ist, sich aber nicht braun anschmuddeln lassen will. Das zeigt sich auch in den Umfragen, die die AfD in Sachsen-Anhalt derzeit weit unter 20 Prozent sehen. Nur 15 Prozent bei der Bundestagswahl wären eine herbe Niederlage nach 25 Prozent bei der Landtagswahl 2016. Droht der AfD das Schicksal der rechtsextremen DVU, die 1998 in den Landtag einzog und sich dann selbst zerfleischte? Auch bei der AfD ist der Aderlass nicht klein. Bereits ein Dutzend ihrer Parlamentarier quer übers Land hat sich schon wieder anders entschieden. Sie haben sich zurückgezogen oder die Fraktion gewechselt.
Nicht umsonst begründen die drei nun ausgetretenen Fraktionsmitglieder ihren Schritt mit einer zunehmenden „Rechtslastigkeit“. Jens Diederichs, Justizbeamter aus Eisleben, der mal bei der SED war, später bei der SPD, dann eben bei der AfD, erklärt seinen Austritt aus Fraktion und Partei mit den Worten: „Das konnte ja keiner ahnen, dass sich das mal so entwickelt.“ Inzwischen verhandelt er mit der CDU-Fraktion.
Kandidaten gestrichen
Gottfried Backhaus, der 59-jährige ehemalige Orgelbauer und Fahrschullehrer, beklagt eine „Kirchenfeindlichkeit“ in der Partei. Poggenburg hatte ihn als religionspolitischen Sprecher abgesetzt. Die 28-jährige Sarah Sauermann, die Frau mit den Friseurbesuchen, Architektin aus Bitterfeld-Wolfen, gibt an, sie könne die Zustände in der Fraktion „nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren“. Poggenburg indes spricht von einer Intrige gegen den Landesvorstand. Was ihn veranlasst hat, drei bereits gewählte Direktkandidaten für die Bundestagswahl auszutauschen.
Kandidaten von Wahllisten zu streichen ist nichts Neues in der AfD. Gerade erst musste sich die Chefin der Bundespartei, Frauke Petry, vor dem sächsischen Wahlprüfungsausschuss verantworten. Petry hatte vor der Landtagswahl in Sachsen 2014 einen missliebigen Listenkandidaten ersetzen lassen. Das Verfahren hing zweieinhalb Jahre in der Schwebe und hätte bedeuten können, dass neu gewählt werden muss. Einen Aufstand gegen sich hat sie gerade abgewendet. Sie hat ihre administrative Macht als Landeschefin ausgenutzt, um einen Kreisparteitag zu verschieben, der für sie wohl das Aus als Direktkandidatin bedeutet hätte. Ihre parteiinternen Gegner hat sie damit elegant ausgebremst.
Sachsen-Anhalts AfD will sich ihre Kandidaten nun genauer ansehen. Es gelte, „Karrierismus und Opportunismus auszuschließen“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer Robert Farle. Karrieristen und Opportunisten – das sind bei der AfD immer nur die anderen.
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