Der Streit mit Angela Merkel über die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze sei beendet, ließ CSU-Chef Horst Seehofer verlauten. Auch mit der SPD schien sich die Union geeinigt zu haben: Statt der sofortigen Zurückweisung sollen nun die „Transferzentren“ kommen. Wenige Tage später, bei der Vorstellung seines „Masterplans“, hält Seehofer wieder am Begriff Transitzentrum fest. Ein neues Grenzregime soll die Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Migration an der deutsch-österreichischen Grenze verbessern. Jene Asylbewerber sollen an der Einreise gehindert werden, für deren Verfahren andere EU-Staaten zuständig sind. Dafür sollen Transitzentren eingerichtet werden, aus denen Asylsuchende in die zuständigen Staaten oder nach Österreich zurückgewiesen würden. Ob nun Transit- oder Transferzentrum: Hier werden alte CSU-Konzepte aufgewärmt. Unabhängig von dem Namen bleiben aus rechtlicher Perspektive einige Fragen offen.
Doch zunächst zu dem, was feststeht: Die Einigung dreht sich um Asylsuchende, also Menschen, die an der deutsch-österreichischen Grenze zum Ausdruck bringen, dass sie in Deutschland Schutz vor Menschenrechtsverletzungen begehren. Sie können bereits in einem anderen EU-Staat registriert sein, wo ihr Asylverfahren noch läuft oder es bereits abgeschlossen ist. Nicht betroffen von der Regelung sind jedoch Menschen, die kein Asyl in Deutschland beantragen – egal, ob sie zur Einreise nach Deutschland berechtigt sind oder nicht. An der Grenze soll möglichst schnell festgestellt werden, welcher EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist, um die Betroffenen schnell und unkompliziert dorthin – oder notfalls nach Österreich – zu überstellen. Dieses Verfahren ist bereits geregelt, es ist das Dublin-Verfahren.
Was ist daran nun neu? Ein Asylverfahren im Transit gibt es in Deutschland bereits: das Flughafenverfahren. Asylsuchende, die auf dem Luftweg nach Deutschland kommen, dürfen nicht einreisen, wenn sie keine gültigen Ausweispapiere haben. Das Asylverfahren findet dann im Transit statt, wo die Betroffenen festgehalten werden. Nur wenn der Asylantrag nicht innerhalb von 48 Stunden abgelehnt wird, wird die Einreise gestattet. Sonst haben die Betroffenen drei Tage Zeit, um Klage zu erheben, über die innerhalb von 14 Tagen entschieden werden soll. Während dieser Zeit – und im Falle der Ablehnung bis zur Abschiebung – bleiben sie in Gewahrsam. Währenddessen haben die Asylsuchenden Rechte, die im Flughafenverfahren jedoch eingeschränkt werden: Die Fristen zur Einlegung von Rechtsmitteln sind stark verkürzt.
Doch kann man das Flughafenverfahren ohne Weiteres auf die Landgrenzen übertragen? Über die maßgeblichen rechtlichen Vorgaben – insbesondere die „Fiktion der Nichteinreise“ – wird heftig gestritten. Mit der Nichteinreisefiktion wird versucht, die Anwendbarkeit des deutschen Rechts von vornherein auszuhebeln – frei nach dem Motto: Im Transit kommt man auch ohne Grundgesetz aus. Doch das Grundgesetz bindet alle öffentliche Gewalt. Und öffentliche Gewalt wird zweifelsohne ausgeübt, wenn deutsche Behörden auf deutschem Hoheitsgebiet Entscheidungen treffen und etwa Grenzkontrollen durchführen.
Nur Richter nehmen Freiheit
Daran ändert der Schengener Grenzkodex nichts. Dort steht zwar, dass ein Drittstaatsangehöriger, dem die Einreise verweigert wurde, das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats rechtlich nicht betritt. Wie die Expertin für Flüchtlingsrecht Anna Lübbe auf verfassungsblog.de bereits 2016 erklärt hat, regelt der Schengener Grenzkodex jedoch nicht die Reichweite der deutschen Souveränität, sondern die konkreten Voraussetzungen der Weiterreise jenseits einer Kontrollstelle. Es bleibt dabei: Auch im Transferzentrum gilt das Grundgesetz.
Ob Transitzentren, Transferzentren, grenznahe Ankerzentren oder bundespolizeiliche Einrichtungen: Für die zentrale Frage, ob Asylsuchende während des Prüfverfahrens in geschlossenen Zentren festgehalten werden dürfen, ist der Name unerheblich. Laut Grundgesetz bedarf jede Freiheitsentziehung einer gesetzlichen Grundlage, die es für das Transferzentrum an der Binnengrenze derzeit nicht gibt. Bei jeder Freiheitsentziehung ist zudem eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach Festnahme in eigenem Gewahrsam halten. In jedem Fall muss die Freiheitsentziehung daher vom Richter bestätigt werden. Nicht erst nach 48 Stunden, sondern unverzüglich.
Manche Stimmen halten die Unterbringung in geschlossenen Zentren jedoch nicht für eine Freiheitsentziehung. Die Betroffenen könnten schließlich jederzeit in ihren Herkunftsstaat ausreisen. Schon faktisch trifft dies nicht zu, denn die bundespolizeilichen Einrichtungen, die als Transferzentren dienen sollen, halten wohl kaum die Hintertür nach Österreich stets unverschlossen. Auch rechtlich wurde diese Auffassung längst vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zurückgewiesen – hinsichtlich des Flughafenverfahrens schon 1996 und hinsichtlich der Transitzonen an der ungarisch-serbischen Grenze im März 2017.
Nach der EU-Asylverfahrensrichtlinie dürfen Asylbewerber nicht allein deshalb in Gewahrsam genommen werden, weil sie einen Antrag gestellt haben. Die Dublin-Verordnung erlaubt hingegen die Überstellungshaft, wenn sie verhältnismäßig ist und eine erhebliche Fluchtgefahr besteht. Die EU-Aufnahmerichtlinie erlaubt die Haft zudem, um über das Recht auf Einreise in das Hoheitsgebiet zu entscheiden – das ist das Transferzentrum. Auch dann muss die Haft aber verhältnismäßig sein. Minderjährige dürfen nur in Ausnahmefällen inhaftiert werden, dies gilt grundsätzlich auch für andere schutzbedürftige Personen: schwangere Frauen, kranke, alte und traumatisierte Menschen. Geschlossene Zentren kommen daher von vornherein nur für bestimmte Personen und nur in bestimmten Fällen in Betracht. Eine längere Haftdauer dürfte zudem unverhältnismäßig sein.
In jedem Fall, ob eingesperrt oder nicht, muss den Asylsuchenden Rechtsschutz gewährt werden, und zwar – im Geltungsbereich des Grundgesetzes – gegen jede behördliche Entscheidung, die in die Rechte der Betroffenen eingreift. Auch gegen die Entscheidung, nach der Dublin-Verordnung in einen anderen EU-Staat zurückgewiesen zu werden, müssen Asylsuchende Rechtsmittel einlegen können. Im Flughafenverfahren wird deshalb stets die Gelegenheit eingeräumt, mit einem Rechtsbeistand Verbindung aufzunehmen. Ob das bereits effektiven Rechtsschutz sicherstellt, ist zweifelhaft, weniger tut es erst recht nicht – auch nicht im Transferverfahren. Zurückgewiesen werden darf also erst, nachdem geprüft wurde, welcher EU-Staat für den Asylantrag zuständig ist – und nachdem ein möglicher Eilantrag des Asylsuchenden gegen diese Entscheidung vom Verwaltungsgericht geprüft wurde.
Deutschland ist oft zuständig
In vielen Fällen wird das Dublin-Verfahren übrigens ergeben, dass Deutschland für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist. Denn vorrangiges Kriterium der Dublin-Verordnung ist nicht die Ersteinreise, sondern die Anwesenheit von Familienangehörigen im Staat. Das Asylverfahren muss dann ohnehin vollständig in Deutschland durchgeführt werden. Wenn das Dublin-Verfahren allerdings ergibt, dass ein anderer EU-Staat zuständig ist, kann überstellt werden – allerdings nur in diesen Staat. Die Überstellung muss innerhalb bestimmter Fristen erfolgen, deren Erleichterung durch zwischenstaatliche Vereinbarungen ist möglich. In den wenigsten Fällen dürfte jedoch Österreich für das Asylverfahren zuständig sein, da dies meist nicht der Staat ist, in den die Betroffenen zuerst eingereist sind.
Das Vorhaben der Bundesregierung wird also nicht den Effekt erzielen, den die CSU anvisiert – eine schnelle, unkomplizierte Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze. Zu hoch sind die rechtlichen Hürden, die es bei der Ausgestaltung zu beachten gilt. Es zeigt sich jedoch: Was solche Grenzverfahren im Transit nicht nur für Asylsuchende, sondern auch für das Verständnis von Rechtsstaatlichkeit an sich bedeuten, ist einer freiheitlichen Staatsordnung unwürdig. Das muss sich der Bundestag vor Augen halten, wenn er bald über die Umsetzung der Einigung abstimmt.
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