Es gibt einen Witz, der besagt, dass Kricket erfunden wurde, um den Menschen eine Idee der Ewigkeit zu geben. Das trifft es ziemlich gut. Das Spiel ist - zugegeben - nicht leicht verständlich, aber es kann wahnsinnig spannend sein, wenn es auf hohem Niveau gespielt wird. Und es kann unglaublich entspannend wirken, wenn man auf niedrigerem Level zusieht und dabei ein Bierchen in der Sonne trinkt. Kurzum: man kann ewig hingucken.
Beim Kricket hat das jeweilige Team der Schläger, »Batsmen« genannt, das gegen die »Bowler« und ihre Mannschaft im Feld antritt, relativ viel Gelegenheit zum Trinken, weil alle warten müssen, bis sie der Reihe nach dran sind. Die Bowler versuchen währenddessen, die jeweils zwei Batsmen mit gemeinen Bällen anzubowlen und die sogenannten »Stumps« zu treffen, vor denen die Batsmen stehen, und die sie schützen müssen.
Das wirklich Sensationelle beim Kricket ist aber, dass man nicht nur verlieren kann, wenn alle Batsmen rausgebowlt sind, sondern auch, wenn es anfängt zu regnen. Wahrhaft göttliche Vorsehung also lenkt das Spiel und führte zu einigen Ausscheidungen bei der diesjährigen Kricket-Weltmeisterschaft in Südafrika. Es gab dramatische Rücktritte in England, eine offene Entschuldigung der Pakistani an ihre Fans, weil sie so schlecht waren, und enttäuschte Südafrikaner, die so sehr gehofft hatten, die übermächtigen Australier zu schlagen.
Aber die Männer vom fünften Kontinent sind einfach gut, zumal sie auch ohne zwei ihrer besten Bowler - einen fast bowler und einen spin bowler - alles geschlagen haben. Der fast bowler Jason Gillespie, dessen Spezialität schnelle Bälle sind, ist verletzt, und beim spin bowler Shane Warne, der die Bälle genial andreht, fand sich Tage vor dem Turnier eine verbotene Substanz im Urin ...
Warne, Superstar im Heimatland und Ausnahmekricketer, war gerade auf dem Weg, seinen Namen in die Sportgeschichtsbücher eintragen zu lassen: als der zweite Mann im Kricket, der 500 »Test Wickets« bowlt. (Das sind jene Teile, die auf den Stangen liegen, die der Batsmen verteidigen muss; fallen sie, ist er raus). Im Moment steht Warne bei 491.
Wie es wohl ist, das Gefühl, an der Schwelle zum Rekord zu stehen und kurz vorher zu stolpern? Warne nahm vor dem WM-Turnier in Südafrika eben jene Substanz, die auch Ben Johnson bei seinem Revisionsverfahren 1999 zum Verhängnis wurde, ein Diuretikum, das Anabolika und andere Leistungsförderer im Körper vertuschen kann. Seine Mutter habe ihm die Tablette als Entwässerungshilfe gegeben, damit er sein Doppelkinn los wird, sagte Warne aus. Der Sportler, der das Spin-Bowlen zu neuen Höhen getragen hat, ist dem guten Leben zugeneigt und hatte in der Vergangenheit oft mit teilweise erheblichem Übergewicht zu kämpfen. Er feiert eben gern und möchte trotzdem für die Fernsehkameras, die ihn auf Schritt und Tritt verfolgen, gut aussehen. Zudem sein Gewicht ein ständiges Medien-Thema war. Ist er nun wirklich das Opfer öffentlichen Drucks und der eigenen Eitelkeit? Ein langsamer Spin-Bowler wie Warne dürfte nicht viel davon haben, Mittel zur Steigerung seiner Leistung zu nehmen. Ob er wirklich etwas genommen hat, um nach einer Schulterverletzung im Dezember noch auf den Weltmeisterschaftszug aufspringen zu können, ist aufgrund des verschleiernd wirkenden Diuretikums nicht zu beweisen. Warne selbst jedenfalls sieht sich als Opfer der Anti-Doping-Hysterie. Mit seiner einjährigen Sperre von jeglichem Kricket hat er noch Glück, denn die fällige zweijährige Sperre hätte mit Sicherheit das Ende der Karriere des 33-Jährigen bedeutet.
Die australische Kricket-Mannschaft, die in Südafrika ihren Weltmeistertitel verteidigt, kann mit dem Verlust leben: Ungeschlagen zog sie nach der Vorrunde in die Super-Sechs ein, zwei Bowler sicherten sich durch außergewöhnliche Leistungen einen Platz in der ewigen Bestenliste: Glen McGrath und Andy Bichel. Ob Warne seinen Rekord erreicht hätte? Wahrscheinlich hätte er während der WM die ihm fehlenden neun Wickets bowlen können, aber sicher sein kann er sich nicht.
Johann Mühlegg hat seine Goldmedaillen, und Ben Johnson weiß, dass er 1988 der schnellste Mann der Welt war. Shane Warne wird nie wissen, wie viele Batsmen er in Südafrika zum Pavillon geschickt hätte. Wahrscheinlich musste er in den vergangenen zwei Wochen, die nach seiner Aussage die härtesten seines Lebens waren, so viel wie noch nie über sich nachdenken. Bleibt zu hoffen, dass er etwas gelernt hat. Alle Kricketfans wollen, dass er den Rekord nach seiner Sperre bricht. Er wird hoffentlich der höchste Wickettaker in der Geschichte des Test Kricket werden. Mit seinen Leistungen verdient er es. Bei Shane Warne weiß man jedoch nie, ob er die Substanz dazu hat. Vielleicht fehlt ihm ja gerade der Kampf mit sich selbst noch zum wahren Champion.
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