Das Erbe einer Pionierin

FRAUENFORSCHUNG Annette Kuhns Lehrstuhl wird eingespart. Gelingt es, mit Drittmittel-Finanzierung zumindest weiter zu forschen?

Historisch oder frauenpolitisch Interessierte kennen die bunten Bände aus den achtziger Jahren: "Frauenmacht in der Geschichte", "Frauen im Mittelalter", "Frauen im Faschismus". Der Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte an der Universität Bonn war schon vor zwanzig Jahren ein Zentrum für den frauenspezifischen Blick auf die Geschichte. Um die Professorin Annette Kuhn bildete sich ein großer Kreis von Forschenden, Lehrenden, Schreibenden und Lernenden. Sie wollten die deutsche Geschichtswissenschaft, aber auch die anderer Länder, systematisch von patriarchalischen Schlacken befreien.

Mit der Emeritierung von Annette Kuhn im vergangenen Jahr schien damit abrupt Schluss zu sein. Der Lehrstuhl wird nicht mehr besetzt. Wie immer in solchen Fällen sind es natürlich rein formale Gründe, die zu einer solchen Entscheidung führen. Kuhns Lehrstuhl gehört zur Pädagogischen Fakultät, die im Rahmen der Rationalisierung und Schwerpunktbildung in der nordrhein-westfälischen Hochschullandschaft in Bonn stillgelegt wird: Alle aus der ehemaligen Pädagogischen Hochschule stammenden Stellen haben den berühmten "kw"-Vermerk. Damit sind nicht nur ein renommiertes Stück Frauenforschung und das Lebenswerk der engagierten Annette Kuhn in Gefahr, sondern auch ein Stück Wissenschaftspolitik der achtziger Jahre wird in Bonn zu den Akten gelegt: Als die damalige nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Anke Brunn ein "Netzwerk Frauenforschung" zu institutionalisieren begann, wurde 1986 als erster Knoten in diesem Netz der Bonner Lehrstuhl eingerichtet beziehungsweise umgewidmet in "Lehrgebiet Frauengeschichte". Mit der Ausnahme von Karin Hausen in Berlin war Annette Kuhn jahrelang die einzige Lehrstuhl-Inhaberin mit geschlechtsspezifischem Forschungsansatz in der deutschen Historiker-Zunft.

Das war ein ständiger Stachel im Fleisch der insgesamt konservativen "Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität". 1992 schlossen ihre Zunftkollegen die Ordinaria Kuhn vom Prüfungsamt aus. Anstoß hatte erregt, dass Kuhn ihrem Wissenschaftsverständnis und ihrem Auftrag gemäß den Prüflingen im Fach Geschichte die Geschlechterfrage nicht ersparte. Eine modernere Auffassung des Fachs, soziale Fragestellungen, die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, oder eben die Geschlechterforschung sind bei den übrigen Bonner Historikern weitgehend unbekannt und unbeliebt. Erst Jahre später sprach es sich offensichtlich bei ihnen herum, dass sie sich damit von andernorts weitgehend akzeptierten Wissenschaftskriterien abschotteten: 1996 durfte Annette Kuhn wieder prüfen. Bei ihrer Emeritierung im Juni 1999 hielt der Rektor der Uni Bonn eine liebenswürdige und engagierte Rede.

Der Kuhn-Lehrstuhl wird dennoch gestrichen. Ein Hintertürchen, das die jetzige nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Gabriele Behler offengelassen hatte, hat die Uni Bonn nicht genutzt. Behler war bereit, grundsätzlich an einem Lehrstuhl für Frauenforschung in Bonn festzuhalten. Er hätte im Fachbereich Psychologie errichtet werden können; es hätte aber auch ein neuer Lehrstuhl für historische Frauenforschung sein können. Die Universität konnte sich nicht entscheiden. Der Vorschlag ging im Kompetenzgerangel der Fachgebiete unter.

Kuhn und ihre Mitstreiterinnen suchen jetzt nach einer anderen Lösung. Ein von Drittmitteln unterhaltenes Institut "an" der Universität Bonn soll die dortige Tradition der historischen Frauenforschung fortsetzen. Erste Gelder sind gesichert: Das Bundesbildungsministerium bewilligt rund eine halbe Million Mark für ein Internet-Projekt "Deutsche Nachkriegsgeschichte aus Frauensicht". Die Uni Bonn stellt freundlicherweise die Netzanschlüsse und ein paar Räume zur Verfügung und ist bereit, die einkommenden Drittmittel zu verwalten. Annette Kuhn und ihre Mitarbeiterinnen hoffen, dass weitere Projektmittel fliessen werden. Die Aussichten sind nicht schlecht. Kuhn und Mitstreiterinnen haben ein großes Renomee. Aus ihrem Umfeld sind in letzter Zeit drei Projekte hervorgegangen, die weit über die Universitätsgrenzen hinaus bekannt wurden, unter anderem die Ausstellungen "100 Jahre Frauenstudium", "Frauenalltag im Nationalsozialismus" und die im Bonner Frauenmuseum erfolgreiche Ausstellung "Politeia" - ein Blick auf die deutsche Nachkriegszeit aus der Sicht der Betroffenen. "Politeia" gastiert zur Zeit in Berlin.

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