Sie hat es nur einmal erwähnt. Ihr Ex-Mann habe manchmal sein »Recht« mit Nachdruck durchgesetzt. Oder sagte sie: »mit Gewalt«? Sie ist meine Freundin. Alles, was ich außerdem noch über sie sagen könnte, müßte gelogen sein. Nichts dürfte stimmen, denn sie will auf keinen Fall erkannt werden. Könnte man sie identifizieren, würde sie mir das nicht verzeihen. So funktioniert das Tabu.
Jede dritte, vierte oder fünfte Frau in Deutschland soll in ihrer Partnerschaft Gewalt erleiden. Die Dunkelziffer ist hoch, das Schweigen in den meisten Fällen unüberwindbar. Die Männer, das sind kriminelle Täter, haltlose Alkoholiker und seriöse Bürger, zivilisierte Denker - Männer jeder Art und jeden Alters.
en Alters. Manche erschrecken, weil sie hart zugefaßt haben. Viele finden es eigentlich nicht so wild, was ihnen da »passiert« ist: Hand ausgerutscht, Kavaliersdelikt. Er ist eben ein starker Mann, und er hat sie gewarnt. Sie weiß doch, daß sie das nicht sagen und jenes nicht tun soll, sonst rastet er aus. Naturgewollt sozusagen. Irgendwie schuldlos.Nach vielen Jahren Frauenbewegung, Aufklärung, freierer Erziehung als bei früheren Generationen ist es immer noch so: Ein Mann, der gewalttätig wird, kann eher mit Verständnis rechnen als eine Frau, die zuschlägt. Eine Mörderin wird härter bestraft als ein Mörder. Heute noch gilt für viele: Es sind doch immer beide schuld, Geschlagene und Schläger. Es gibt Gründe für einen Mann, seine Partnerin zu prügeln. Und Entschuldigungen. Im März erschien ein Berliner Boulevardblatt mit der Schlagzeile: »Sie verbot ihm alles: Rauchen, Fernsehen. Und meckerte den ganzen Tag. Frei! Der Berliner, der seine Frau erstach.« Er durfte nicht einmal fernsehen. Da mußte er sie ja töten. Sie hatte es wohl nicht anders verdient. Wie behandelte man im Mittelalter Hexen?In gemilderter Form (»Es sind immer zwei an einem Konflikt beteiligt.«) glaubt auch Martin Dubberke an die verteilte Schuld. Der Theologe arbeitet bei der Initiative Mannege mit Männern, die prügeln und endlich damit aufhören wollen oder müssen. Er sagt: »Wir arbeiten mit dem Mann, gegen die Gewalt.«73 potentielle Klienten riefen 1998 bei Mannege an und erkundigten sich, wie es denn abliefe, wenn sie kämen. 66 erschienen dann auch zu Gesprächen. 66, in einer Großstadt wie Berlin. Die Hälfte von ihnen hatten keine Wahl. Eine Einrichtung der Justiz zwang sie zu einer Beratung oder Therapie. Sie standen vor ihrem Prozeß, das Urteil enthielt die entsprechende Auflage, oder sie waren schon im Strafvollzug und Vollzugslockerungen hingen von der Beratung ab.Die anderen waren »Selbstmelder«, wie es bei Mannege heißt. Aber auch sie erscheinen meist nicht wirklich freiwillig, sondern stehen unter dem sozialen Druck der Partnerin, die mit Trennung droht. Verläßt sie den Täter dann endgültig, läßt er sich möglicherweise nicht länger beraten. Der Einsicht, daß die Konflikte sich in der nächsten Partnerschaft ähnlich wiederholen werden, wenn er nichts tut, verweigern sich viele. Vor drei Jahren brach noch die Hälfte der Klienten die Beratung ab, vergangenes Jahr waren es nur noch 15 Prozent. So mißt sich Erfolg.Die Informations- und Beratungsstelle für Männer entstand 1987, gegründet von einer Gruppe von Männern, die das überkommene patriarchale Verhältnis nicht mehr so weiterleben wollten, wie sie es kannten. Nach dem Fall der Mauer zog das Projekt ins Haus der Demokratie, jetzt konnte man neue Räume in Berlin-Mitte beziehen. Die neun Mitarbeiter wollen Männer in ihrer »positiven Männlichkeit und Väterlichkeit«, in einer gleichberechtigten Partnerschaft bestärken. Sie beraten in Situationen wie Einsamkeit oder Scheidung, bieten Väterarbeit und Informationen zum Thema Sorgerecht an.Wer zur Beratung kommt, unterschreibt eine Vereinbarung über Einzelgespräche und anschließende Gruppenabende. Er erklärt sich zu einer Spende bereit, denn »was nichts kostet, gilt Männern nichts«, wissen die Mitarbeiter. Außerdem braucht die Einrichtung das Geld. Der Vertrag soll Verbindlichkeit herstellen. Er nennt die Ursache für das Hiersein des Einzelnen beim Namen: »mein gewalttätiges Verhalten«. Verniedlichung des Geschehenen wird von Anfang an vermieden. Der Vertrag legt auch fest, daß der Klient einen Brief von Mannege an die mißhandelte Partnerin mitnimmt, damit sie informiert ist: Er war in der Beratung. Er geht möglicherweise wieder hin. Aber das bedeutet nicht, daß sie sich sicher fühlen kann. Das Schreiben erläutert ihr den Kreislauf der Gewalt, vom Erschrecken über die Reue, die schleichende Entlastung im Alltag, das gemeinsame Schweigen bis zum nächsten ungelösten Konflikt und zum nächsten »Auslöser«. So beginnt die mühevolle Arbeit, um den Männern ein neues Verhalten zu Frauen (oft auch Kindern) zu ermöglichen. Warum sie es nicht allein geschafft haben, soziale Kompetenz zu entwickeln, ist auch für den erfahrenen Berater schwer zu erklären. Mehr als ein Drittel der Männer, die zu Mannege kommen, lebt von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe. »Aber das allein«, fügt Dubberke hinzu, »ist keine Erklärung.« Er nennt die weitverbreiteten inneren Glaubenssätze von Männern als eine Ursache für ihr Verhalten. Verstaubte, primitive Sätze, die sich hartnäckig halten: Eine Frau darf nicht erfolgreicher sein und nicht mehr verdienen als der Mann. Sie muß für ihn da sein. Sie muß erzogen werden. Das Essen hat auf dem Tisch zu stehen, wenn er nach Hause kommt.Werte, die sich aus kirchlichem Denken ableiten, haben sich verfestigt, meint der Theologe. Mit ihnen lebt es sich einfacher, wird Mann marktfähig. Gerade bei jüngeren Männern ist die Tendenz zum konservativen Bild von Männlichkeit zu beobachten. Andererseits entstehen in vielen Bundesländern Interventionsprojekte gegen häusliche Gewalt. Das Thema wird weniger verdrängt als noch vor ein paar Jahren. Der Bedarf an Beratung und Gruppenarbeit wird immerhin schon wahrgenommen, daher kommt Dubberkes Zuversicht. Unübersehbar ist das Argument: Die Folgen männlicher Gewalt werden teurer als die Arbeit, die zum Beispiel Mannege leistet.Die Enttabuisierung wirkt janusköpfig. Die Öffentlichkeit entwickelt zunehmend Neugier auf gewalttätige Männer, oft werden die Mitarbeiter von Mannege gefragt, ob sie einen Schläger als Gesprächspartner für Daily Talks vermitteln könnten. Sie sehen darin reißerische Lust und Voyeurismus, lehnen solche Kontakte ab - obwohl Mannege Öffentlichkeit braucht, damit mehr Männer den Mut finden, sich der schmerzhaften Auseinandersetzung zu stellen.
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