Verdien´ dir deine Bürgerschaft im neuen Deutschland!
Jakob Augstein und die Münklers wissen, woher der Wind weht und wohin er wen bläst, in der "Debatte über Doppelpass: Wer sind wir ..." - Was ist da nur passiert?
Ganz einfach. Derzeit bricht, nach der bei uns schon wieder abgeebbten Flüchtlingswelle, jener „Migrantenflut“, wie es schon seit 2005/2006 sehr häufig im deutschen Pressewald zu lesen war, eine ganz neue Zeit an.
Selbst irgendwie Linke, besonders die zweifelnden und verzweifelten unter ihnen, werden dabei, langsam aber sicher, mürbe. Sie verlieren ihre Orientierung und tauschen Überzeugungen gegen konservative Thesen zum neuen Deutschtum ein. Die haften bestens, das Feld ist gut bestellt, als neue Kokarde an der immer schon nur verkappt- phrygischen Michelmütze. Die pflanzen sich direkt in Blut und Hirne der Öffentlichkeit: Schwarz, Rot, Gold.
Wir werden konservativer, so wie unsere Migranten
Woran liegt das? - Linksherum, lässt sich weder materiell noch ideell politisch was verkaufen, im Deutschland 2016/2017, nein, in ganz Europa.
Viele Bürger gehen rechts steil, die meisten aber, wollen ewig durch die ominöse Mitte. Für das angeschlagene (Selbst-)Bewusstsein - das materielle Sein existiert ja so reichlich wie nie, nur seine Verteilung mutet von Jahr zu Jahr bizarrer an - müssen wieder andere Bindewirkungen her. Daher steht nun eine geistig- moralische Wende an, die zugleich nationale Entschiedenheit signalisiert. In diesem Fall, durch eine neue Ansicht vom aktiven „Deutschtsein“ in der permanenten Assimilation.
In Wahrheit, ist das eine recht alte, nationalstaatliche Diskussion. In Deutschland wurde sie, als übles Wiegenlied, schon zur Grimm- Rumpelstilzchenzeit geflötet. Im späten 19. und dann im 20. Jahrhundert, ewig vor der ganzen „Hitlerei“, manifestierte sie sich entlang der hartnäckigen und brutalen Fragen an die deutschen Juden und ostjüdischen Zuwanderer. Schon damals, ging es dabei hinab bis zur Kleiderordnung und den Essgewohnheiten, hin zur Fantasie von der Germanisierungschirurgie und - Kosmetik, an Nasen, Lippen und Haaren, am Teint der Haut (Oskar Panizza, Der operierte Jud´) und hinauf zur Anforderung, nur dann ein Deutscher zu sein, wenn man sich durch geoffenbarte Bekenntnisse, Taten und Konversionen zeige. - Was verlangt also Deutschsein 21, die neue Alternative zum eher abstrakten Staatsbürger à la Bundesrepublik?
"Deutsch sein"
Assimilieren müssen sich demnach nicht nur die Menschen mit Migrationshintergrund, die sich angeblich allzu sehr in der „sozialen Hängematte“ der Gastfreundschaft und Nothilfe bequem gemacht haben, sondern alle jene nicht- deutschstämmigen, die immer noch nicht ausreichend assimiliert sind, aber unter Umständen schon seit Generationen im Staatsgebiet leben. Hinzu kommen jene Deutsche, die einen originäreren Stammbaum haben, aber die sechs Punkte der Münklers - es könnten ohne Schwierigkeiten, in einer etwas anderer Sprache aufgeschrieben, auch sechs Punkte der Sarrazins sein - partout und auf Dauer nicht erfüllen. Denn auch sie können zunehmend nicht mehr einfach und voraussetzungslos ins Ureigene assimiliert werden.
Hernach wäre Deutschland ein Land, bevölkert von Bürgern, die die neuen sechs Gebote der Schultafel aktiv, jeden Tag und zu jeder Stunde aufsagen und persönlich verteidigen können. Schließlich, so Jakob Augstein, hätten sich ja auch die stursten Germantowners und Pennsylvanian Dutch in den Vereinigten Staaten assimiliert. - Wer merkt es? Hier geht es derzeit im Eileschritt rückwärts, in die alte Nationalgeschichte. Gesellschaftlich, das wird immer klarer, ist also jederzeit eine ausgelebte H. G. Wells- Zeitreise möglich, in Deutschland, in Europa und in den USA.
Der neue Deutschtums- Begriff der Münklers, den uns Jakob Augstein vorstellt, unterscheidet sich zumindest vom Blut- und Boden- Germanismus alter Zeiten. Er ist also kein Abklatsch des vulgären Nationalismus. - Das ist wenigstens etwas Gutes, in diesen, deutlich eintrübenden Zeiten. - Aber der neu anempfohlene Ersatz hat auch klar erkennbare Tücken: Nun lautet die neue Grundbotschaft, man - auch Mann, Frau und Kind, die hier geboren sind und den Pass längst besitzen - müsse sich sein Deutschtum verdienen.
Anders ist, <<Deutschsein, schreiben die Münklers, solle kein Merkmal sein, "auf dem man sich ausruhen kann, weil man es qua Geburt bekommen hat und es einem nicht genommen werden kann. (...) Es handelt sich vielmehr um eine normativ angereicherte Identitätszuschreibung, die Anforderungen enthält, denen man sich stellen muss." >>, nicht auszudeuten.
Weniger akademisch: Wer die Anforderungen nicht erfüllt, kann weder Deutscher sein, noch Deutscher werden, selbst wenn er hier zur Welt kam und das derzeitige Recht auf seiner Seite weiß. Besonders hinterhältig, dass man - wer das dann entscheidet, bleibt selbstverständlich im Urgrund des dunklen nationalen Raunens - seine Staatsbürgerschaft auch wieder verlieren kann!
Ich fürchte, vor derlei Ansinnen der beiden Höchstgelehrten, rettet bald nur noch das Bundesverfassungsgericht und, viel wahrscheinlicher, die allgemeine Trägheit aller satten Gesellschaften, solange sie nicht gerade ausrasten. Das ist peinlich, aber es passt durchaus ins Bild eines schon länger anhaltenden, konservativen Rucks, in diesem, unserem Lande.
Deutschsein als Verdienst, das wäre nicht nur heute neu auf der nationalen Speisekarte, sondern auch im internationalen Vergleich einzig!
Die Wiederkehr des Staates als Nationalsubjekt
Herfried und Marina Münkler, müssten sich schon einmal zu der Frage äußern, wozu es auf der ganzen Erde Staaten gibt und ob diesen tatsächlich ein Selbstzweck zukommt, der es rechtfertigte, über die jeweilige Staatsbürgerschaft anders als durch den Zufall der Geburt und den Willen des Einzelnen zu entscheiden. Die Führungsspitzen und Eliten in Autokratien vertreten immer schon andere Konzepte, das ist historisch. Wenn man aber diese neuen Regeln ehrlich zu Ende denkt, bedeutete dies unbedingt, einen Zwang zur definierten Anpassung von Seiten des Staates aufzubauen, der weit über die Forderung nach Spracherwerb und Schulbesuch hinausgeht.
Der deutsche Doppelpass, neuerlicher Ausgangspunkt der ganzen Diskussionen um die Tümelei, war auch deswegen eingeführt worden, um der Verpflichtung eines humanen europäischen Staates nachzukommen, der aus seiner Vorgeschichte was gelernt hatte: Nämlich Flüchtlinge von der Willkür ihrer Herkunftsstaaten zu befreien, die nach eigenem Ermessen Staatsbürgerschaften aufkündigen oder aber umgekehrt, deren Auflösung verhindern und hintertreiben.
Der Pass, überhaupt ein Pass, sollte daher den Einzelnen und seine Nächsten absichern, jedoch nicht bedrängen und zwängen, im Gegensatz zu der immer noch weitverbreiteten Praxis, Menschen mit ihren Staatspapieren oder aber mit deren Fehlen zu schikanieren. Dies ist doch die einzige legitime Funktion eines solchen Dokuments, in einer Weltgesellschaft, mit einem Weltvölkerrecht. Hier aber, herrscht der Missstand, dass es nun, schon weit ins 21. Jahrhundert hinein fortgeschritten, wieder Displaced Persons in Zahlen gibt, wie einst nach dem Zweiten Weltkrieg.
Weiterhin verteilen sich global Not und Glück zumeist nach dem Zufall der Geburt und des Ortes. Gedanken dazu, dies gut zu finden, führen zur Aufrechterhaltung großer Ungerechtigkeiten und sie zwingen, neue Unfairness zu verordnen, weil sie vorgaukeln, Staaten hätten ein Eigenrecht und einen Eigenwert, über ihre Funktion hinaus, allen Bewohnern zu Lebenssicherheit und möglichst größtem Glück zu verhelfen.
"Multikulti" wird negativ besetzt
Jakob Augstein erkennt, dass Angela Merkel, wie es nun einmal ihre Art ist, zu den Sachen und Sachverhalten nichts oder nicht viel zu sagen weiß. Wer sich aber politisch erinnern kann und will, der weiß, dass für sie „Multikulti“ schon länger gescheitert ist. Es handelt sich dabei um einen Original- Wahlkampfspruch Angela Merkels, den andere Politiker aus der Mitte unserer Gesellschaft und die neue Rechte, viel regelmäßiger, absichtlicher und brutal ernsthafter vortragen. Er fand gnädige Aufnahme bei Herfried Münkler. - Wer wirkt da auf wen?
Mit kurzen und prägnanten Sätzen, wie z.B. , <<Aber das Festhalten an einer migrantischen Sonderidentität ist ihr Gegenteil.>>, wird eine Sichtweise wieder eingeführt, die davon lebt zu glauben, man wisse was das Identitäre am Deutschsein eigentlich ausmacht.
Historisch ist es aber eher so, dass keine große Nation, kein Staat, der längerfristig den Frieden im Inneren halten kann, ohne sehr unterschiedliche Identitäten, die hier nun als Sonderidentität markiert werden, auskommt. In dem identitären Einheitswunsch, einer eher sehr konservativen Aufassung über die historischen Zeitläufte hinweg, steckt immer auch der Antrieb, dem je Anderen besondere Erziehungsmaßnahmen angedeihen zu lassen.
Christoph Leusch
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