Unterwegs zu sich selbst

Spanien Auf dem Podemos-Konvent gewinnt Parteichef Pablo Iglesias an nahezu allen Fronten
Ausgabe 07/2017
Pablo Iglesias (links) im Schulterschluss mit Carlos Monedero, einem der Gründer von Podemos
Pablo Iglesias (links) im Schulterschluss mit Carlos Monedero, einem der Gründer von Podemos

Foto: Agencia EFE/Imago

Unidad, Unidad, Unidad! – die Botschaft der Basis auf dem Parteitag von Podemos „Vistalegre II“ am Wochenende in Madrid ist unmissverständlich. Nach Monaten der internen Zerwürfnisse wünschen sich viele den Schulterschluss. Die Partei soll nicht länger ein Potenzial gefährden, das es ihr erlaubt hat, drei Jahre nach der Gründung zur drittstärksten Kraft im Parlament aufzusteigen (71 Sitze) und fünf Millionen Wähler zu haben. Vor „Vistalegre II“ haben sich die beiden Flügel um Parteichef Pablo Iglesias und den Chefstrategen Íñigo Errejón teils heftig attackiert. Die Pablistas plädierten für mehr Mobilisierung auf der Straße und eine stärkere Hinwendung zum unteren Drittel der Gesellschaft. Die Errejonistas wollten an populistischen Catch-All-Botschaften festhalten, um das Etikett „linksradikal“ und damit marginal zu meiden. Oft geriet die Richtungsdebatte zur Schlammschlacht, ausgetragen in Statements, Artikeln, Interviews, Twitter- und Facebookposts. Podemos-Gründer Luis Alegre etwa beschuldigte Parteichef Iglesias, einer „neuen Clique“ verfallen zu sein, von der die Partei in den Untergang geführt werde. Nicht weniger hart, diesmal aber gegen Errejón gewandt, artikulierte sich Podemos-Grande Juan Carlos Monedero. Ein Tag vor dem Parteitag sagte er auf die Frage, was sich denn bei Podemos ändern müsse, um langfristig zur Regierungsalternative aufzusteigen: „Zuallererst, dass sich die Nummer zwei (Errejón) von den Medien nicht als Rammbock instrumentalisieren lässt, um die Nummer eins (Iglesias) zu schwächen. Das raubt uns alle Energien. Stell dir vor, in Bolivien wäre Álvaro García Linera (der Vizepräsident) derjenige, der Evo Morales schwächt. Das geschieht nirgendwo, außer bei uns.“

So begann der Parteitag mit mehr symbolischer als faktischer Relevanz. Das Votum über die strategischen wie organisatorischen Dokumente, das Parteikomitee und den Generalsekretär lief via Online-Verfahren schon seit einer Woche. 450.000 Eingeschriebene (letztlich haben gut 155.000 abgestimmt) waren aufgerufen, sich zwischen verschiedenen Listen zu entscheiden. Im Kern standen drei zur Wahl: Neben den Großströmungen der Pablistas und Errejonistas noch die Anticapitalistas (antikapitalistische Linke), angeführt von der Andalusierin Teresa Rodríguez und dem EU-Parlamentarier Miguel Urbán. Jede Gruppierung stellt sich die Zukunft von Podemos anders vor. Die Pablistas wollen, dass allein dem Generalsekretär das Recht zusteht, Online-Referenden einzuberufen. Die Errejonistas setzen auf eine stärkere Präsenz der Regionen in der Parteiführung. Die Anticapitalistas verlangen, dass soziale Bewegungen ab sofort mehr zu sagen haben und Podemos entbürokratisiert wird.

Beatles oder Stones?

Wie gut diese Prioritäten ankamen? Wohl die wenigsten Delegierten lasen einige hundert Seiten Dokumente oder machten sich mit jedem Anwärter auf einen der 62 Plätze im Exekutivkomitee vertraut. Auch die Podemos-Alphamänner schienen nicht sonderlich bemüht, ihr Programm zu vermitteln. Wie man sich entschied, war letztlich eine Sache grundsätzlicher Übereinstimmung mit den Kernbotschaften von Iglesias, Errejón oder den Anticapitalistas – oder schlicht eine Frage der Sympathie.

Errejón oder Iglesias? Die Fragefloskel ist für Podemos so natürlich geworden wie anderswo: Beatles oder Stones? Tatsächlich hat der Kongress etwas von einem Konzert, einem Ereignis der Emotionen und des gemeinsamen Erlebens. Ins Vistalegre, sonst eine Stierkampfarena, sind aus ganz Spanien etwa 8.000 Parteiaktivisten gekommen, stolz die Banner der jeweiligen Círculos (Basisgruppen) schwenkend. Gleichwohl gibt es Kritik am Setting eines solchen Parteitages, wie sie Raúl, ein altgedienter Gewerkschafter, formuliert: „Warum konnten alle Eingeschriebenen abstimmen und nicht allein die richtigen Aktivisten? Es ist unverständlich, dass Leute, die bei Podemos lieber zuschauen, als mitzumachen, genauso viel zu sagen haben wie all jene, die sich Tag für Tag an der Basis abrackern.“

Dabei hat dieses Treffen gar nicht den Zweck, Kampfabstimmungen und Konfrontationen zu fördern. Im Gegenteil: „Vistalegre II“ dient als Einheitsbalsam. Im Rush kurzer, kaum zehnminütiger Statements werden nicht so sehr die jeweiligen Dokumente vorgestellt, sondern eher Slogans verkündet, die wieder zusammenschweißen sollen – die Führung mit der Basis, ebenso das Führungspersonal selbst. Als Heilmittel hilft die Erinnerung an das, was bereits erreicht ist: die Erschütterung des Zweiparteien-Systems, die Eroberung der großen Rathäuser, der Status eines Oppositionsführers im Parlament. Auch die Polemik gegenüber den Konservativen des Partido Popular (PP) sorgt für Eintracht. So sagt der angeblich moderate Errejón: „Der Volkspartei täte mehr Bescheidenheit gut. Sie sollten darauf achten, dass sie ihren nächsten Parteitag nicht hinter Gittern abhalten!“ Und es helfen die Gesten: Wie Monedero die Menge anfeuert, Podemos-Gründerin Bescansa salutiert – wie gejubelt wird, als sich Errejón und Iglesias umarmen, nachdem am Sonntagvormittag das Wahlergebnis verkündet ist.

Brücken oder Barrieren?

Pablo Iglesias gewinnt an allen Fronten. Seine Wiederwahl als Generalsekretär ist ein Triumph, den alle Fraktionen tragen. Wer hat schon damit gerechnet, dass sich auch Iglesias’ Strategiepapiere zur parteiinternen Organisation und zum politischen Kurs derart klar durchsetzen. Mit bis zu 60 Prozent Zustimmung. Auch im Exekutivkomitee gehen von 62 Mandaten 37 an die Iglesias-Liste, 23 an die Errejóns und zwei an die Anticapitalistas. Íñigo Errejóns Kalkül ist nicht aufgegangen: Pablo Iglesias als Parteichef halten, aber auf die eigene Linie verpflichten. Ob dies ein subtiles Manöver gewesen wäre, um Iglesias zu stürzen und selbst die Parteispitze zu erklimmen – die Frage hat sich erübrigt. Künftig bedienen die Pablistas die Schalthebel der Macht, während Errejón und seine Leute an Einfluss verlieren, Amtseinbußen inklusive.

Am Sonntagnachmittag leeren sich im Vistalegre die Ränge, nur vereinzelte Gruppen und Personen bleiben noch, darunter Sandra, die über den Durchmarsch von Iglesias nachdenkt: „Wir müssen bei den 45 Millionen Spaniern ansetzen, uns nicht in irreale Visionen flüchten. Wir müssen Brücken zu den normalen Menschen bauen, die auf halbem Weg zwischen Podemos und den anderen Parteien stehen, wenn es nicht bei fünf Millionen Wählern bleiben soll. Deshalb sollten wir besonders die ansprechen, die resigniert haben.“

Sandra ist fast die Letzte in ihrer Reihe. Dabei ist der Parteitag noch gar nicht zu Ende. Zwar sind die entscheidenden Fragen zum Führungspersonal geklärt. Doch nun treten der Reihe nach Initiativen aus der Zivilgesellschaft und den sozialen Bewegungen ans Rednerpult, um ihre Forderungen zu präsentieren. Etwa Telearbeiter, die für einen Streik Beistand suchen. Auch Projekte der Partei zur Hilfe für Graswurzelinitiativen werden vorgestellt. Das ist genau jenes Engagement von unten, wie es Pablo Iglesias ins Zentrum der „zweiten Phase“ von Podemos rücken will, die nun beginnen soll. Freilich wirken die Appelle der Aktivisten an eine halb leere Arena wie eine böses Omen, was die Zukunft verheißen könnte. Wer eine Bewegung von unten möchte, der muss ihr Geltungschancen bieten – das gilt für eine Führung, die gern mit sich selbst befasst ist, und das gilt für eine Basis, die gelegentlich zum Personenkult tendiert.

Trotz aller Einheitsschwüre ging bei „Vistalegre II“ ein Gespenst um: die Millionen Spanier, die mit der Partei bisher nichts anfangen konnten. Dazu jene, die Podemos gewählt haben, nun aber enttäuscht abzufallen drohen. Es wäre an der Zeit, dass die Selbstbeschäftigung ein Ende nimmt und die Partei sich wieder ihren gewonnenen wie noch zu gewinnenden Wählern zuwendet. Bescheiden, lernbereit und offen. „Podemos ist anders als die anderen, aber es muss reifen“, meint eine Delegierte, die erzählt, in einer Bäckerei zu arbeiten.

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Geschrieben von

Conrad Lluis Martell | conrad lluis

Forscht zur Bewegung der indignados (Empörte) und ihren Auswirkungen auf Spaniens Politik und Gesellschaft, lebt in Barcelona, liebt den Bergport.

conrad lluis

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