Die reine Referenz

Tierwelt Jaume Collet-Serra hat in „The Shallows“ den Horror des „Weißen Hais“ wiederverfilmt. Das Ergebnis ähnelt letztlich einem Porno ohne Sex
Ausgabe 34/2016

Vieles an The Shallows – Gefahr aus der Tiefe ist so klar und nah, dass man es kaum glauben kann. Das Wasser an der mexikanischen Bucht, wo der Film die längste Zeit spielt, changiert zwischen grün, blau und durchsichtig schimmernd, wie man es sich nicht grüner, blauer und durchsichtiger wünschen kann. Irgendwo zwischen Karibik- und australischer Great-Barrier-Reef-Wasserfarbe fallen dann die Wellen – mal hoch, mal etwas tiefer – so ins Bild, dass einem ganz milde zumute wär, wenn am Anfang nicht dieser gehoben-vulgäre Mittelklasse-Gesangs-Techno-Sound wäre, den kein Surfer braucht und der Film am wenigsten.

Aber dieser Nerv hält nur kurz. Einerseits, weil die Musik in den Hintergrund tritt, und andererseits, weil der große, böse weiße Hai, als man ihn endlich einmal von oben im tollen Wasser erblickt, viel echter, besser und grauer aussieht als in Steven Spielbergs Film Jaws (deutsch: Der weiße Hai) von 1975. Spätestens dieser Moment ist verwirrend, weil mit den schönen, kurzen Bildern vom Hai von oben der Grund verschwindet, der mich überhaupt ins Kino geführt hat. Denn ich war gekommen mit der Absicht, einem weiteren Hai-Verunglimpfungsfilm den Kampf zu erklären, um die Ehre der Haie zu retten.

Dazu besteht nach The Shallows aber nicht der geringste Anlass, weil die große Gefahr zwar von einem Hai verkörpert wird, mit Haien aber absolut nichts zu tun hat. Das könnte jedes Lebewesen übernehmen. Der Hai ist hier reine Referenz, hinter der sich nichts als Referenz selbst verbirgt. Der Hai im Film ist bloß eine Metapher, die mit wirklichen Haien so wenig zu tun hat wie die Haare mit der Suppe. Und irgendwie staunt man, wie es Regisseur Jaume Collet-Serra gelungen ist, mit seinem Oberflächenspiel den Hai als Hai im Hai als Gefahren-Metapher zum Verschwinden zu bringen. Bis einem Paris Hilton einfällt, der es gelungen war, in ihrem Porno den masturbatorischen Effekt beim Zuschauer zum Verschwinden zu bringen.

Man schaut bei The Shallows – Gefahr aus der Tiefe einen Porno ohne Sex. Einen Film, in dem einem mehr als die Hälfte der Bilder einfach zu nah dran sind, ohne dass es für diese Nähe einen Grund gäbe außer dem, das fast alle diese Nahaufnahmen von einem toten Wal, von einer riesigen Wunde im Bein der Hauptdarstellerin Nancy (sehr gut gespielt von Blake Lively) oder einer am Flügel verletzten Möwe – dass alle diese Bilder besser aussehen würden, wären sie von etwas weiter weg aufgenommen worden.

Dabei erfüllt der Thriller seine selbstgestellten Aufgaben vollkommen. Man erschrickt während des Films, verfällt in Angst und fiebert mit Nancy im Kampf gegen das aus der Spur gelaufene böse Tier, wie man es von Horrorfilmen kennt und erwartet. Während man Spielberg zu Recht vorgeworfen hat, mit seinem weißen Hai ein Bild von Haien in die Welt zu setzen, das dem Image der Tiere geschadet hat (und immer noch schadet), bleibt bei Collet-Serra nichts am Hai hängen.

Bei Spielberg war der Strand allerdings auch noch voll; bevölkert von spielenden Kindern, Jugendlichen und anderen Badenden. Das ist der Strand in The Shallows nicht mehr. Das Personal, das hier auftaucht, ist überschaubar: ein kleiner Junge mit Fußball und vermutlich seinem Vater, zwei Surfer mit schickem Geländewagen und ein alter, etwas dicklicher Betrunkener mit einer halbvollen Schnapsflasche.

Und ein Freund von Nancy, der den Anfang macht. Er bringt die Medizinstudentin durch den ziemlich grünen Wald an die Bucht, an der sie – Nancys Mutter ist gerade gestorben – beim Surfen wieder zu sich kommen will. Die Bucht bleibt namenlos, und der familiäre Hintergrund wird telefonisch in einem Gespräch mit der kleineren Schwester und dem Vater, die in Galveston, Texas leben, kurz abschließend geklärt.

Danach beginnt das Spiel auf dem Wasser. Außer Nancy gibt es dort nur zwei weitere Surfer, und der Film kostet diese Konstellation von zwei Männern und einer Frau aus allen Perspektiven aus. Wie man aus neueren psychologischen Studien weiß, ist diese Konstellation die von männlichen Pornozuschauern bevorzugte – mehrere Männer und eine Frau erzeugen bei Männern die größte Erregung. Nur vollzieht sich das Spiel in The Shallows, wie gesagt, ganz ohne Sex; nicht der Ansatz eines Flirts wird angedeutet. Die beiden Männer sind mit sich genauso zufrieden wie Nancy mit sich. Einen Mangel, der Begehren auslösen könnte, gibt es nicht, dazu sind die Bilder zu schön.

Erst als die beiden Surfer das Wasser verlassen und ohne weiteren Blick auf Nancy im Jeep davonfahren, kommt das Grauen. Der Angriff erfolgt gemein von unten, reißt das Surfbrett in zwei Teile und fügt Nancy klaffende Wunden am Oberschenkel zu. Auf diese kann sie aber nicht achten beim Versuch, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Kurzfristig bietet ein in der Bucht schwimmender Walkadaver Halt, den der Film so klinisch entwirft, dass man laut „Fehler“ rufen möchte: Schwimmende Walkadaver stinken über Kilometer entsetzlich, aber Nancy rümpft die Nase nicht.

Max Weber im Bett

Der Wal ist nämlich genauso wenig ein toter Wal wie der Hai ein Hai, er ist auch nur Referenz, auf Herman Melvilles Moby Dick. Eine Referenz, die noch einmal bemüht wird, als Nancy bemerkt, dass der sie wütend verfolgende Hai Reste eines Harpunenpfeils im Körper trägt wie Melvilles weißer Wal. Nancy muss jedenfalls auf die Dauer vom Walkadaver weg, weil der Hai ihn andauernd attackiert.

Und was dann folgt, hätte, wenn die Kamera etwas Abstand halten würde, tatsächlich zu einem Meisterwerk im Kampf Nancys gegen die Elemente werden können: Der Felsen, auf den sie sich rettet, wird nur von einer verletzten Möwe und ein paar Krebsen bewohnt, die in den Nahaufnahmen merkwürdig seelenlos erscheinen und nicht als die Individuen, die sie sind.

So erfährt man nur, dass Krebse, lebend und roh gegessen, selbst wenn man Hunger hat, so schlecht schmecken, dass man sie wieder ausspucken muss. Und: dass sich Diebstahl nicht lohnt. Denn der betrunken am Strand torkelnde Mexikaner hat, von Nancy angerufen, nichts Besseres zu tun, als ihr Geld und Handy aus ihrem Rucksack zu stehlen. Dabei ist er dann auch noch so blöd, die Reste des Surfbretts aus dem Wasser holen zu wollen, obwohl er doch von der „Haie“ schreienden Nancy eindringlich gewarnt wird.

Dem Mann bekommt das gar nicht; er wird als fast geteilter toter Körper an den Strand gespült. Die Angst um ihn ist in diesen Momenten schon verflogen: Betrunken, dick und arm, das macht die Sympathieverteilung früh klar, kommt hier keiner durch. Nüchtern, aber stetig läuft der Film mit dem von Sonne und Salzwasser malträtierten Körper auf seine Essenz der klinischen Oberflächen hinaus.

Für das Überleben braucht man Individuen und ihre Familien. Sie sind es, die garantieren, dass die Elemente besiegt werden können. Was in den peinlichen Schlussbildern am Strand von Galveston, Texas, in denen Nancy, zur Ärztin geworden, mit ihrer kleinen Schwester und verheilten Narben am Bein surfen geht, zum Monument erstarrt. Darin liegt der wirkliche Horror von Jaume Callet-Serras Film, dessen ästhetischer Schlüssel in einem Kapitel von Paul B. Preciados gerade auf Deutsch erschienenem Buch Testo-Junkie – Sex, Drogen und Biopolitik in der Ära der Pharmapornografie zu finden ist. „Paris Hilton im Bett mit Max Weber“ ist der Abschnitt überschrieben, in dem Preciado den pornografischen Kern von Webers protestantischer Ethik erkennt – in Paris Hiltons Ästhetik.

Info

The Shallows – Gefahr aus der Tiefe Jaume Collet-Serra USA 2016, 86 Minuten

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