Jahrestag

CoLyrik Jedes Jahr aufs Neue begegnet uns die närrische Jahreszeit mit all ihren Facetten und lenkt uns vom Alltag ab. Das Abenteuer Karneval lockt...

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Es gibt Menschen, die können mit der närrischen Jahreszeit nicht viel anfangen. Andere wiederum macht es großen Spaß. Sie mischen sich unter das närrische Volk und sind aktiv mit dabei, engagieren sich in Karnevalsvereinen. Ich wurde an einem Rosenmontag geboren. Irgendwie wurde mir bei der Geburt das närrische Gen injiziert. Deshalb schreibe ich auch gerne passende Worte, wenn mal wieder Fasching Hochkonjunktur hat. Neulich hatte ich Gelegenheit bei Lesungen folgenden Text vorzutragen. Beim Publikum kam der Text übrigens super gut an, lag wohl auch daran, dass ich stellenweise sang. :-)

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Viel Freude nun beim Lesen!

Corina Wagner

Bild: Quelle Wikipedia

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Jahrestag - Bald ist es wieder soweit: Altweiberfasching, Gumbiger Donnerstag!

Gundula Helau erzählt…

Hätte man mir vorher gesagt, was alles passieren würde, dann wäre ich damals zu Hause geblieben und hätte mir eine CD von Margit Sponheimer reingezogen, die eh die Fuck-Sager-Generation nicht mehr kennt. Ich hätte zwei oder drei Piccolöchen getrunken und aus den ollen Brockhaus-Bänden von Onkel Otto Konfetti geschnitzt. Anschließend hätte ich vielleicht noch ein Gedicht verfasst:

Zu Grün

Grün hinter den Ohren

Völlig unverfroren

Geküsst

Geherzt

Gescherzt

Viel zu grün

Nee, hab‘ ich nicht gemacht und viel zu viel in jener Nacht gelacht. Im Grunde meines Herzens bin ich eigentlich ein trauriger Mensch, so typisch schwermütig schüchtern mit einem Hang zum Melancholischen, falle nie nüchtern auf Menschen. Ich bin normalerweise grenzwertig zurückhaltend.

„Gell Du hascht mich gelle gern, gelle ich dich a“, dröhnt es seit diesem Tag stets leise in meinen Ohren, wenn ich daran denke. Echt pervers. Nachts ist es am Schlimmsten. Ob es mit diesem sehr seltenen Willy-Millowitsch-Tinnitus vergleichbar ist, kann ich nicht bestätigen, denn ich habe in einem Internetforum gelesen, dass die Betroffenen fast ausschließlich ununterbrochen - “Wir sind alle kleine Sünderlein“ - hören.

„Gell Du hascht mich gelle gern“ Hm! „Du mich auch!“, summe ich dann meistens exzessiv, weil ich mich an jenen irrwitzigen Donnerstagabend definitiv nicht erinnern möchte.

Ob mir ein Politiker als Gorilla oder Anstandswauwau begegnet ist? Keine Ahnung. Gedächtnislücken!

Ich lenke mich dann immer mit “An Tagen wie diesen…“ von den Toten Hosen ab. Volle Lautstärke! Und doch verfolgen mich die Bilder kontinuierlich im Schlaf. „Gell Du hascht mich gelle gern…“

Jammern auf hohem Niveau nutzt jetzt natürlich auch nichts mehr, wirkt aber irgendwie immer noch ernüchternd. Nach fünf Flaschen vom Rotkäppchen irgendwie auch nachvollziehbar. Dabei hatte ich vor fast einem Jahr eigentlich noch Glück. Es hätte tragischer enden können. Ich hätte auch an jenem vermeintlichen gumpigen Donnerstag Parteienmitglied der Spaß-Partei FDP werden können oder mit dem Pofalla von der Konkurrenz um die Häuser ziehen. Ähm, ja! Ich hätte auch mit einem gemalten Penis auf der Wange erwachen können. Keine Ahnung, was alles hätte passieren können…

Fuck - hätte ich nie und nimmer laut gesagt. Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, auch bei meiner neuen Erfindung: den Dieter-Hildebrandt-Gedenk-Scheibenwischer für Politiker-Limousinen mit integriertem Optimismus. Und doch wirkt es immer noch wie ein Trauma.

Wäre ich nur nicht auf dem Peter-Frankenfeld-Platz so doof gestolpert und ins Wanken geraten. So ein blödes Fettnäpfchen mit Sprachzentrum, das mitten im Weg lag, störte mich in meinen Bewegungen. Und warum musste ich mich von Ulknudel Holla, der kleinen Waldfee an diesem Tag überreden lassen, mir dieses doofe Meerjungfrauen-Kostüm in der Boutique Titanic zu kaufen? Mich aus lauter Jux und Dollerei drei Stunden später in dieses viel zu enge Mogelpackungsglitzergedöns mit Fischschwanz auf einer viel zu engen Herrentoilette einer Tagesstätte für betreute Väter zu zwängen, weil die Damentoilette bereits vollgekotzt war, um es für diese feucht fröhliche Veranstaltung des Sozialpädagogen-Vereins anzuziehen. Klar doch! Faschingsparty der Anonymen Alkoholiker.

Ich stolperte als kurzsichtige Nixe durchs nächtliche Vergnügen und stieß brutal mit einem älteren Herrn im Eddie Arent-Kostüm zusammen. Der stand sowas von blödherum. Wäre ich doch nur wie jedes Jahr auf dem heimischen Sofa sitzen geblieben und hätte mir noch eine CD reingezogen. Meinetwegen ein Hörspiel: Die Drei Fragezeichen! Dann wäre mir bestimmt nie dieser gestrandete Walin die Quere gekommen, der einen auf Heinz Erhardt machte. Typen gibt’s, kaum auszuhalten. Er faselte mir dann ziemlich obszön auch noch etwas vom Ei des Kolumbus ins Ohr. Angeblich war es nur ein alter Gag. Kann ja jeder behaupten! Ich rannte so schnell ich konnte in die Theo-Lingen-Straße, so gut es mit diesem Mogelpackungsglitzergedöns mit Fischschwanz möglich war. Doch dies war zuvor mit einem riesengroßen Menschauflauf verbunden.

Schließlich lag der gestrandete Wal eine kleine Ewigkeit auf dem Ende meines Meerjungfrauen-Kostüms. Der hatte vielleicht Nerven, sogar im Schritt. Dieses Gekreische alarmierte die Polizei. Ich sah vielleicht zerzaust aus, als der weiße Hai mir zu Hilfe kam. Er half mir quasi wieder auf die Flossen. Die Männer von der Feuerwehr waren definitiv zu spät vor Ort.

„Man ist für sein Leben selbst verantwortlich!“, klare Ansage von Dracula mit Migrationshintergrund, der mich kurze Zeit später verfolgte, als der weiße Hai immer noch mit Batman debattierte, ob man mich in diesem Zustand Huckepack nehmen könnte. Und als ich dann gefühlte zwei Stunden später wieder aus der kultigen Georg-Kreisler-Halle kam, mich ohne wenn und aber sofort von ihm in den Hals beißen ließ, wurde mir dermaßen komisch zu Mute, dass ich lauter weiße Tauben sah. Es fällt mir immer noch schwer, darüber zu berichten. Ich lief ich dann Richtung Verkehrsübungsplatz - hinter mir eine Horde Indianer und vor mir Nonnen oder Pinguine. Da habe ich einen kleinen Filmriss. OK. Ich kann mich aber noch genau danach erinnern, dass ich einen kleinen Stopp in der Loriot-Allee einlegte und mich Müller-Lüdenscheidt zu einem Schaumbadeinlud. Ich lehnte dankend ab, da ich ja eigentlich immer noch in dem etwas lädierten Mogelpackungsglitzergedöns mit Fischschwanz steckte, ließ ihn stehen und stolperte einige Bäume weiter.

Dort begegnete mir der böse Wolf mit den sieben Geißlein. Die waren total schräg drauf, hatten eine Kamera dabei und drehten eine Doku über Altweiberfasching. Erst dann nahm das ganze Elend seinen Lauf, weil sie mich bis zur Harald-Juhnke-Gasse begleiteten, also eher schleppten. Fuck!

© Corina Wagner, Januar 2013/14

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Geschrieben von

Corina Wagner

Wer das Wort Alphabet buchstabieren kann, ist noch kein/e Autor/in. (C.W.)

Corina Wagner