Methode Reisswolf

CoLyrik Gibt es eine Verschlussakte, die den Niedergang des Euros bis ins Detail beschreibt? Könnte Frau Schwund tatsächlich? Sind es Träumereien?

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Die EZB-Akte

Ein verheerendes Gewitter braute sich am Himmel zusammen. Unwetterwarnungen gab es schon seit etlichen Stunden, die keiner mehr für zwingend notwendig hielt. Alle Wetterfrösche zogen sich ihre angeknackste Leiter über den Kopf und kauerten in ihrem Einmachglas, um ihr grausames Ende abzuwarten. Die feine Gesellschaft, diejenigen, die nicht nur Goldbarren im Trocknen hatten, zählten grinsend ihre Wertanlagen, als der erste Sturm über Europa zog. Kein Wunder! Sie hatten gute Kontakte zur EZB. Frau A. Schwund übersah zukunftsorientiert gekonnt jede Einschränkung, die die Deutschen in eine tiefe Depression treiben könnten. Sie glaubte zwar insgeheim dem europäisch formulierten Wischiwaschi-Geschwätz von gestern nicht mehr, sogar bis ins Abzocker-Detail, aber dies interessierte weder Bulle noch Bär.

Deutsche sind ganz und gar nicht alle so doof, wie andere Schwätzer aus dem Ausland meinen. Ein Gesichtsausdruck beschreibt nicht alles. Den Verlust ihrer Identität hatte Schwund gut vorbereitet. Sie würde wie der Euro sich nicht nur halbieren, sondern dermaßen verkleinern, dass zum Schluss ein Hauch von Nichts übrig bleiben würde. Sie war nie magersüchtig und doch gelang ihr dieser Zaubertrick. Die verbal gut ausgerüstete Spezialagentin vom EPZ (Europäischer Pappnasen Zirkus) hatte alles im Griff, dachte man lange. Sie lud die EZBler in ihr Passivzelt ein. Drahtseil-Akte liegen nicht jedem. Den Niedergang Deutschlands prophezeite man im Ausland mit Halbwahrheiten, denn die Kaufkraftminderung erfolgte nach dem Dominostein-Prinzip. Jeder sah diese kommen, wie die Verwüstungen, die sich anbahnten. Draußen rauschten die Blätter zum Abgewöhnen schön. Angeheuerte Angstmacher zogen mit der Eurofahne seit einer Stunde bereits durch alle sechzehn Hauptstädte. Diese Aktionen hatte man im verträumten Deutschland nicht erwartet. Schwere vernichtende Unwetter schon. Wie das Tief Mario. Es kam urplötzlich aus dem Nichts und sollte dringend erwarteten Regen bringen. Regen gleich Segen. Von Hagel wollte niemand etwas wissen. Die Angstmacher trotzten bislang jedem Unwetter und schrien nun wie Irre. Mit fiesen Regressionsvisagen schrien sie den Untergang herbei und diese massiven Urschreie gingen durch Mark und Bein. Peinlich berührt waren nur wenige. Wie immer die Politiker und dann die Banker. Wer jetzt nicht zitternd in einer Ecke kauerte, war taub und blind. Frau Schwund setzte gezielt noch einmal ein Meeting in ihrer sturmerprobten Manege an. Danach würde sie die Verschlussakte vernichten. Sie agierte heute Abend noch einmal als politisch versierte Animationstrainerin mit den blauäugigen Verantwortlichen und dabei zeigte die gelernte Raubtier-Dompteuse geschmuggelte Goldzähne, um ihnen zu zeigen, wie man uneingeschränkt gegen Beschränkungen im europäischen Sinne Zaubertricks vorführen könne. Illusionen sind schließlich die halbe Miete für eine neue Altersabsicherung im Exil …

In jenem Moment schlug der Blitz dermaßen heftig ein, dass Angie laut aufschrie: „Ihr Schweine!“ und stürzte dabei aus ihrem Feldbett, knallte mit dem Kopf auf einer Kiste mit geschreddeten Euroscheinen. Sie rieb sich den Sand aus den Augen und glaubte zunächst, dass der Zirkusboss sie mit K.0.-Tropfen handlungsunfähig gemacht und im Niemandsland in einem Vergnügungslager abgeschoben hätte. Da, wo man mit einer anderen Währung bezahlt. Das schrille Klingeln der Weckfunktion ihres Handys holte sie in die banale Realität wieder zurück. „Liebling aufstehen!“, flüsterte ihr Liebster zärtlich. Angstschweiß hatte sie benetzt und traumatisiert. Nach einer kleinen Ewigkeit stellte sie fröhlich fest, das vorerst alles noch wie immer ist: Dem europäischen Himmel sei Dank! Puh! Glück gehabt! Die Sonne blinzelt ins Fenster und begrüßt sie heimtückisch schön. Sie hat einen Mann an ihrer Seite, der ihr zärtlich das Frühstück ans Bett bringt und doch gibt es einen kleinen Haken laut Handy-Auskunft: Zwei Stunden später könnte es gewaltig regnen …

© Corina Wagner, September 2012

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Geschrieben von

Corina Wagner

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