Tod und Geburt

IM KINO Heide Breitels Dokumentarfilm "Leben" berührt die Menschenwürde

Sterben heißt leben im Elisabeth Hospiz", sagt die Off-Stimme, während die Kamera über den sommerlich gestimmten Garten und die Fassade des Gästehauses mit den gelben Balkonen und den Sonnenschirmen schwenkt. Hier leben Menschen mit Krebs im Finalstadium. Ihre Lebenserwartung beträgt Wochen oder Monate und nur wenige stabilisieren sich und bekommen eine zweite Chance wie Jakob, den das Leben im Hospiz verändert hat.

Den Menschen nicht dem Rhythmus der Film-Schnitte unterzuordnen, hat große Bedeutung für die Arbeit der Berliner Filmemacherin Heide Breitel. Die gelernte Filmcutterin war lange Jahre Dozentin für Filmgestaltung an der Film- und Fernsehakademie Berlin, bevor sie eigene Filme zu drehen begann und seit 1980 auch selber Filme produziert. Heide Breitel kennt alle Strömungen im Dokumentarfilm. In ihrem Film Zwischen den Bildern hat sie sich mit den Prinzipien der Filmmontage, des sinfonischen und harmonischen Filmschnitts auseinandergesetzt. Mit zwei Tabuthemen operiert ihr Dokumentarfilm Leben. Sterben und Tod auf der einen Seite und auf der anderen Seite Geburt und Gebären.

Gut ein halbes Jahr, von Frühjahr bis Herbst, hat die Filmemacherin mit ihrem Team drei schwangere Frauen und vier krebskranke Menschen einfühlsam begleitet. Gedreht wurde im Elisabeth Hospiz in Lohmar-Deesem und im ersten deutschen Entbindungshaus in Rödgen bei Gießen. Beides Orte, an denen die Menschenwürde im Mittelpunkt steht. Im Hospiz, das seit zehn Jahren besteht und von Sibilla und Joseph Brombach geführt wird, können die Menschen ihre individuellen Lebensgewohnheiten bis zum Schluss beibehalten und auch selbst über die therapeutischen Maßnahmen bestimmen. Menschenwürdig sterben, das heißt hier schmerzfrei leben, wenngleich das Aushalten der seelischen Schmerzen, wie der Film eindringlich zeigt, keinem abgenommen werden kann.

Einen ganzheitlichen Ansatz von Geburtshilfe vertritt indessen die Hebamme Dorothea Heidorn in ihrem 1985 gegründeten Entbindungshaus. Hier lernen die Frauen, ihre Kinder weitgehend durch eigene Kraft auf die Welt zu bringen. Zu Dorothea Heidorns Praktiken gehört es, den Garten des Entbindungshauses mit Mutterkuchen zum Gedeihen und die hoch Schwangeren zum Takt eine Conga-Trommel zum Tanzen zu bringen. Auch hier kreisen, wie man erstaunt feststellen kann, viele Gedanken um den Tod.

Im Film sprechen die Sterbenden, ihre Betreuer, die schwangeren Frauen, die Väter und die Hebamme selbst. Ein Kommentar ist nicht notwendig und die Fragen der Filmemacherin ergeben sich aus Bildern oder Antworten. Die Off-Stimme der Eingangssequenz stellt lediglich die Häuser vor. "Ein guter Ort, um anzukommen", heißt es zu einem Blick auf das idyllisch gelegene Entbindungshaus. Wer krasse Bilder erwartet, wird enttäuscht. Ganz behutsam tastet sich der Film mit seinem Thema vorwärts, während der unablässige Wechsel zwischen den Polen Geburt und Tod fast unmerklich vonstatten geht. Beispielsweise wenn die sterbende Waltraud das Wachsen einer Blume schildert oder wenn eine Mutter von ihren Todesängsten kurz vor dem Zeitpunkt der Geburt berichtet. Angst und Schmerzen kristallisiert Heide Breitels Filmmontage als ein wichtiges verbindendes Moment.

Mit der Menschenwürde ist es wie mit der Gesundheit, solange man sie hat, ist man sich ihr nicht bewusst. An diesem Punkt setzt Leben an. Heide Breitel nimmt sich viel Zeit für scheinbar nebensächliche Beobachtungen. Die Kamera gibt ihre teilnehmende Position nie auf. Sie ist nah dran, bei Waltrauds letztem Bad, ihrem letzten Tanz und ihrem letzen Spaziergang. Zugleich hält sie angemessen Distanz, vor allem dann, wenn sie dem Tod ins Gesicht schaut, die Geburt eines Kindes aus nächster Nähe beobachtet und die Veränderung von Jakob verfolgt. Ein poetischer Film, dem es nicht um außergewöhnliche Einblicke in extreme Situationen geht, sondern um Einsichten in die Notwendigkeit von Humanität in solchen Lebenslagen. Bundesdeutsche Krankenhäuser bekommen in dieser Beziehung oft schlechte Noten. So gesehen wirft Leben auf die aktuelle Debatte zum Thema Euthanasie, die von der Inhumanität der Krankenhäuser, der Angst vor Pflegeabhängigkeit und vor Schmerzen geschürt wird, in alternatives Licht.

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