Die Reise, die jüngst vor dem Bundesverwaltunsgericht endete, begann im Mai 2011. Ein Jahr vor den Olympischen Spielen in London stand der deutsche Sport in der Kritik. Erstmals hatten sich die Funktionäre Zielvereinbarungen für ihre Sportler ausgedacht – und hielten diese geheim. Sportpolitiker im Bundestag bekamen keine Einsicht, geschweige denn Journalisten oder Bürger. Selbst die Sportverbände wussten voneinander nicht, wie viele Gold-, Silber- und Bronzemedaillen sie jeweils gewinnen müssten, damit die ominösen Zielvereinbarungen erfüllt wären. Auf welcher Grundlage werden hunderte Millionen Euro von Steuergeldern verteilt? Das fragten sich damals viele. Antworten gab es kaum.
Mein Kollege Niklas Schenck und ich interessierten uns scho
n uns schon länger für Probleme im Sport. Wir berichteten kritisch über Fehlentwicklungen – und kannten das Informationsfreiheitsgesetz. Es existiert in Deutschland seit 2006 und besagt, dass alle Unterlagen in Behörden öffentlich sind und nur in Ausnahmefällen geheim bleiben dürfen. Wir nahmen das Gesetz beim Wort und beantragten Einsicht in 100 Akten der deutschen Sportförderung, darunter auch die besagten Zielvereinbarungen der Verbände. Wir arbeiteten damals beide als freie Journalisten, waren beide 25 Jahre alt, es war für uns die bis dahin größte Recherche. Dass sie uns mehr als fünf Jahre lang beschäftigen und bis vor das Bundesverwaltungsgericht führen würde, hätten wir nie für möglich gehalten.15.000 Euro für die AktenUnsere Nachforschungen waren erfolgreich. Wir konnten passend zu den Olympischen Spielen in London die völlig überhöhten Zielvereinbarungen enthüllen. Ein Beispiel: Die beteiligten deutschen Verbände sollten demnach 86 Medaillen in London „holen“ – letztlich schafften sie dann aber nur 44. Wir konnten zeigen, wie etwa eine Milliarde Euro Steuergeld pro Olympiazyklus im deutschen Spitzensport verteilt wird. Und dass der Deutsche Olympische Sportbund das Geld nicht nur intransparent verteilt, sondern die Sportverbände auch unter Druck setzt. Das Problem: Für die Akten berechnete das Innenministerium uns 15.000 Euro Gebühren und Auslagen, die wir als freie Journalisten aus eigener Tasche zahlen mussten.Das Ministerium hatte unsere Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz in mehr als 60 Einzelfälle zerteilt – und dafür statt der vorgesehenen höchstens 500 Euro pro Anfrage insgesamt fast 15.000 Euro verlangt. Mit Hilfe des Deutschen Journalisten Verbandes und des Anwalts Wilhelm Mecklenburg klagten wir gegen diese hohen Gebühren. 2014 bekamen wir vor dem Verwaltungsgericht Berlin Recht. Das Ministerium ging in Berufung. 2015 entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erneut zu unseren Gunsten. Und wieder ging das Ministerium in Revision.Jetzt aber hat die dritte Instanz, das Bundesverwaltungsgericht, sich auf unsere Seite gestellt: Es entschied, dass dieses Vorgehen des Ministeriums eine abschreckende Wirkung auf Bürger habe. Eine solche abschreckende Wirkung darf es laut Gesetz jedoch nicht geben. Deshalb habe das Innenministerium gegen das Gesetz verstoßen. Bei Informationsanträgen, die ein bestimmtes Thema – einen „Lebenssachverhalt“ – erfassen, dürfe der Antrag nicht gestückelt werden, und die Obergrenze der Gebühren für einen einzelnen Bescheid, also 500 Euro, dürfe nicht überschritten werden, so die Bundesverwaltungsrichter.Mein Kollege und ich bekommen unsere 15.000 Euro jetzt zurück. Doch das Bundesverwaltungsgericht hat damit nicht nur unsere, sondern die Rechte aller Bürger gestärkt. Es hat klargemacht: Wir wollen, dass Bürger Auskunftsanträge an Behörden stellen können, ohne hohe Kosten befürchten zu müssen. Man kann diese Entscheidung als ein Statement lesen: Mehr Menschen sollten ihre Rechte nutzen.Es trägt einen sperrigen Namen, aber das Informationsfreiheitsgesetz ist im Grunde die perfekte Verkörperung all dessen, was so viele von uns seit Jahren immer stärker fordern: mehr Transparenz, mehr Kontrolle von Behörden, mehr Beteiligung der Bürger. Mit dem Gesetz können sie Datensätze und Gutachten einsehen, sogar E-Mails, handschriftliche Vermerke oder Audio- und Videoaufzeichnungen – alles, was in Behörden vorliegt. Ausnahmen wie Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, persönliche Daten oder Informationen aus laufenden Verfahren sind mehr oder weniger eng definiert und müssen von der Behörde jeweils begründet werden.Ein paar anschauliche Beispiele gefällig? Gern. Welche und wie viele Umweltgifte schwimmen im städtischen Teich drei Straßen weiter? Wie sind die Inspektionen der Schulbehörde ausgefallen? Wie lauten die Gutachten, die der Stadt zur Sanierung der großen Eisenbahnbrücke vorliegen? Und wie lautet der Vertrag mit dem Betreiber des örtlichen Flüchtlingsheims? All das müssen die Behörden uns Bürgern offenlegen, wenn wir es wissen wollen.Zur Auskunft verpflichtet sind ausnahmslos alle Bundesbehörden. In zwölf Bundesländern gibt es zudem noch eigene Informationsfreiheitsgesetze. Wir können Institutionen wie das Bundesministerium für Gesundheit oder das Bundeskanzleramt also jederzeit um Informationen bitten. Und: Die Auskunftsrechte gehen weit darüber hinaus. So haben wir Bürger auch das Recht auf Informationen von Gerichten und von Unternehmen, die vom Staat finanziert werden. Dazu gehören alle Unternehmen, die staatliche oder öffentliche Aufgaben übernehmen, zum Beispiel manche Forschungsinstitute, Jobcenter, Krankenhäuser, Sparkassen, die Post, die Bahn, Stadtwerke, die Stadtreinigungen oder Theater, die unter öffentlicher Kontrolle stehen. Auch Unternehmen, die ganz oder teilweise mit Steuergeldern finanziert werden, müssen Auskunft geben – etwa die öffentlich-rechtlichen Sender, Schwimmbäder, Bibliotheken und Kirchen. Hier müssen allerdings meist nur solche Informationen offenbart werden, die direkt mit der Nutzung der Steuergelder zu tun haben. Geheim bleiben dagegen Informationen wie inhaltliche Entscheidungen zur Gestaltung des Fernsehprogramms.Selbst Firmen oder Vereine, die privat finanziert sind und keinerlei Steuergelder erhalten, müssen in bestimmten Fällen Auskunft geben. Es geht im Kern nämlich darum, ob von einer Institution eine sogenannte hoheitliche Funktion ausgeübt wird – ob sie also von ihrem Sinn und Zweck her als Behörde zu definieren ist. Ein Beispiel dafür ist der Technische Überwachungsverein, kurz TÜV genannt, der zwar eine private Institution ist, aber im Auftrag des Staates handelt – und somit Auskunft geben muss.Die Muskeln spielen lassenIn 90 Prozent der Fälle sind die Informationen für Bürger kostenlos. Und es gibt mit fragdenstaat.de sogar eine Webseite, die einem dabei hilft, die entsprechenden Anträge zu stellen. Deshalb verwundert es mich immer wieder, dass so wenige Menschen ihr Recht auf Information nutzen. In der jüngeren Vergangenheit sind in ganz Deutschland oft nur wenige tausend Anfragen pro Jahr gestellt worden.Auch deshalb gebe ich gemeinsam mit meiner Kollegin Tania Röttger für correctiv.org Workshops zum Informationsfreiheitsgesetz, unterstützt von der Bundeszentrale für politische Bildung. Wir haben auch einen Ratgeber geschrieben. Und stellen eben selber viele Anfragen, regelmäßig, immer wieder. Das sollten viel mehr Menschen tun. Denn jede weitere Informationsanfrage hilft dabei, das Amtsgeheimnis etwas weiter zu lockern. So lautet unser Appell also: Mehr Bürger sollten sich trauen und sich nach den Dokumenten erkundigen, die sie interessieren – und diese dann auch anderen Bürgern, NGOs oder Journalisten zur Verfügung stellen. Es ist ihr gutes Recht. Das Informationsfreiheitsgesetz ist wie ein Muskel. Wenn wir ihn nicht benutzen, wird er schlaff und nutzlos.Placeholder authorbio-1
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