Deutschlinke Schuldfragen

Israel-Hamas Krieg Free Palestine from German Guilt?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Als sich vergangene Woche Demonstranten vor dem Auswärtigen Amt trafen, um Palästina von der deutschen Schuld zu befreien, war der Aufschrei garantiert. „Free Palestine from German guilt!“ riefen die dort Versammelten. Was meinten sie damit?

Hätte man sie gefragt, wäre die Antwort wohl etwa so ausgefallen: Deutschland unterstütze Israel aufgrund seines historischen Schuldgefühls, und Israel unterdrücke die palästinensische Bevölkerung. Diese litte deswegen am meisten am deutschen Schuldgefühl. Ergo: würden sich die Deutschen weniger schuldig fühlen, wäre das gut für die palästinensische Sache. Die Vermutung liegt nahe, dass es vielen der dort Versammelten auch oder eher um die Befreiung von eigenen Schuldgefühlen gegangen haben mag: Schuldabwehr von links also. Free Germans from German guilt.

Wenn wir aber einmal den seltsamen Satz, dass Palästina von deutscher Schuld befreit werden sollte, wörtlich nehmen wollen, so ergeben sich noch ein paar andere Probleme.

Erstens: Das Deutschland für seine Geschichte Verantwortung zu übernehmen versucht, ist nichts, was irgendwer an sich schlecht finden sollte. Kritisieren kann man, wie es das tut. Klüger wäre für alle, die rein moralisch argumentieren wollen, eine universalistische Argumentation, nach der sich aus der deutschen Verantwortung eine Politik ergeben müsse, die sich für Menschenrechte, Freiheit und Gleichberechtigung überall und für alle einsetzt, ohne Rücksicht auf Identität oder nationale Zugehörigkeit.

Zweitens: Es stimmt historisch nicht, dass sich Deutschland Israel aus Schuldgefühlen zugewandt hat. Konrad Adenauer erklärte Mitte der 1960er Jahre der deutschen Öffentlichkeit seine Unterstützungspolitik für Israel so: „Wir hatten den Juden so viel Unrecht getan, wir hatten solche Verbrechen an ihnen begangen, dass sie irgendwie gesühnt werden mussten oder wiedergutgemacht werden mussten, wenn wir überhaupt wieder Ansehen unter den Völkern der Erde gewinnen wollten….Die Macht der Juden auch heute noch, insbesondere in Amerika, soll man nicht unterschätzen.“ Im Ursprung der deutschen Israelpolitik steckt der Wunsch nach Rehabilitation – vermengt mit einer Portion Antisemitismus.

Drittens stellt sich auch an dieser Stelle eine Frage, von der man sich wundert, warum sie nicht bereits allen Beteiligten längst leidig geworden ist, nämlich die, wie sich Linke gegenüber dem Israel-und-Palästinakonflikt zu verhalten haben. Mit „Linke“ seien an dieser Stelle einmal ausschließlich Menschen gemeint, die am Konflikt nicht qua Herkunft beteiligt sind, und deswegen weder in Gefahr laufen, von der Hamas massakriert oder gekidnappt zu werden, noch unter dem Bombenhagel in Gaza umzukommen. An sie würde sich die Frage richten, wann und warum sie sich einem ergebnisoffenen antikolonialen Paradigma angeschlossen haben, anstatt sich, im Jahre 2023, für die einzige Lösung einzusetzen, die die Existenz beider Kollektive, des israelischen wie des palästinensischen, sichern könnte: nämlich der öden, mehrfach gescheiterten, aber immer noch alternativlosen Zweistaatenlösung.

Zu fragen wäre auch, warum es gar nicht wenigen Linken auch in Deutschland nicht möglich zu sein scheint, die Attacke der Hamas als das zu bezeichnen, was sie ihrer Intention nach war: genozidal. Seit dem 7. Oktober dürfte auch auf den hinteren Rängen klar sein, dass für die Hamas jeder israelische Mensch ein „Siedler“ ist, und deswegen ein militärisches Ziel – ganz gleich ob Kleinkind oder Großmutter. Sollte das Antikolonialismus sein, wie manche Verteidiger der Hamas auch in Europa meinen, so müsste man ihn derart qualifizieren: als eliminatorischen Antikolonialismus.

Erst auf Grundlage dieser beiden Eckpunkte – Eintreten für die Zweistaatenlösung, Verdammung der Hamas – könn(t)en Linke auch außerhalb ihrer speziellen Blasen in Deutschland mitreden, wenn es um Israel und Palästina geht. Dann wäre man vielleicht auch eher in der Lage, das Thema anzubringen, dass es in Deutschland tatsächlich nur äußerst selten auf die Couch von Lanz, Illner & Co schafft: das schon viel zu lange andauernde Leid der Palästinenserinnen und Palästinenser.

Aber das wäre eine Frage für einen anderen Text. Und eigentlich ist sie zumindest heute auch egal. Denn das deutsche Erinnerungstheater hat keinen Einfluss auf den Krieg, der zwischen Israel und der Hamas herrscht. Dieser Krieg ist existenziell. Israel wird den Krieg erst gewonnen haben, wenn die Hamas zerstört ist. Das Ziel der Hamas scheint zu sein, Israel in einen so verlustreichen Krieg gerade auch auf der palästinensischen Seite zu verwickeln, dass sich andere Milizen oder Staaten einmischen. Das anvisierte Ergebnis: eine Großkrieg, an dessen Ende das Ende Israels steht. Vor diesem Hintergrund wirken manche Debatten, die in Deutschland auch zu dieser Stunde geführt werden, noch egaler als sonst.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Marwecki

Dozent für Internationale Beziehungen an der University of Hong Kong

Daniel Marwecki