Kriegsursachen: was will Putin?

Analyse Warum muß die Ukraine ausgelöscht sein? Warum so viel Hass und wie seht die Zukunft für Russland aus?

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„Wir werden die ganze Karte ausgraben. Die Ukraine wird nicht mehr existieren!“, sagte Wladimir Schirinowski, einer der populärsten Politiker in Russland. Aber warum muß die Ukraine ausgelöscht sein? Warum so viel Hass und wie seht die Zukunft für Russland aus?

Krieg in der Ukraine: warum jetzt?

Russland griff die Ukraine 2014 an. Damals wurde die russische Armie besiegt, obwohl sie die Krim und einen Teil des Donbases annektieren konnte. 8 Jahre später begann Russland eine umfassende Invasion in der Ukraine. Worauf wartete Putin so lange?

Nach der Annexion der Krim stieg Putins Bewertung im Russland sprunghaft an. Weitere mögliche Niederlagen in der Ukraine waren für ihn nachteilig. Putin wartete auf einen günstigeren Zeitpunkt, um eine aktive Militärkampagne fortzusetzen.

In der letzten Jahren veränderte sich die Situation in der Ukraine. Selenskyjs Politik führte zu einem schweren wirtschaftlichen Niedergang. „Wir hörten ständig vom wirtschaftlichen Sprung, aber der Eindruck ist, dass die Wirtschaft sich beschleunigte, stolperte und riskiert mit dem Gesicht auf den Boden zu schlittern“, sagte Selenskyj im Parlament kurz vor Beginn der Pandemie, „Unser anderer Schmerz ist der Rückgang der Industrie um 5%. Dies ist in vielen Sektoren der vierte Monat in Folge. Die Regierung stellte leider keine Instrumente breit, die die heimische Produktion und neue Produktionskapazitäten ankurbeln.“.

Das Problem wurde später durch der Pandemie verschärft. Das finanzielle Defizit war besonders schmerzhaft für die Armie und die staatliche Sicherheitsstrukturen. Insbesondere gab es Schwierigkeiten bei Erzeugung, Reparatur und Ankäufe von Waffen.

Außerdem weigerte sich Selenskyj eine internationale Friedensmission in den Donbas zu schicken. Stattdessen verkündete der Präsident der Ukraine einen Waffenstillstand, der tatsächlich einseitig war. Ukrainische Soldaten verließen ihre Stellungen und räumten Minen. Es wurde für ihnen verboten zu schießen, während russische Söldner den Waffenstillstand ignorierten.

Dazu Selenskyjs Politik schwächte die Position der Ukraine auf internationaler Ebene. Wolodymyr Selenskyj sagte, er wolle den Konflikt mit Russland unter vier Augen mit Putin lösen.

All dies und andere Aktionen des Präsidenten lösten Protestwellen aus. Militär waren besonders empört über ihren Oberbefehlshaber. Die Situation im Land war angespannt.

Also, wie die Dinge liefen — kam Putin zugute. Er erwartete nicht, dass die internationale Gemeinschaft der Ukraine helfen wird, früher kam Putin ungestraft davon.

Wofür kämpfen „Raschisten“?

Es war schwer ernsthaft zu glauben, dass Russland einen Krieg entfesseln wird. Das ist unlogisch, da zunächst die russische Wirtschaft leiden wird. Aber, um Putin zu verstehen, muß man, wie Putin denken. Was ist der Sinn seines Krieges? Die Antwort liegt in der Grundlage der russischen Staatlichkeit.

Russland ist per se imperialistisch. Nicht nur Putin, sondern auch seine Vorgänger und sogar einige Oppositionelle sehen das Landeswohl in der politischen und wirtschaftlichen Kontrolle anderer Staaten.

Zweifellos beendeten alle Imperien seine Existenz vor hundert Jahren. Aber das Russische Reich wurde in der Sowjetunion eingemottet. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR behielt Russland einige Kolonien, als Teil der Russische Föderation. In der Ukraine blieb ein politischer und wirtschaftlicher Einfluß von Russland bis 2014. Als die Europäische Revolution dieser Bindung unterbrach, begann Russland einen Krieg.

Putins blutiger imperialer Appetit ist nicht von Vorteil für Russen, der ist nützlich nur für Putin. In letzter Zeit ist seine Bewertung stark gesunken und das Land erfasste eine große Protestwelle. Aktionen 2019, 2020 und 2021 negativ beeinflussten das Rating des Präsidenten. Das russische unabhängige Meinungsforschungsinstituts Levada-Center berichtet: im November 2021 erreichte Putins Bewertung den niedrigsten Stand der letzten 8 Jahre. Nur 32% der Befragten waren bereit bei der Präsidentschaftswahl erneut Putin zu stimmen.

Euphorie nach der Annexion der Krim dauerte 2 Jahre. In 2015 war die Vertrauensstufe der Bevölkerung zu Putin 80%. Im Jahr 2018 drückten nur 58% der Befragten ihr Vertrauen zum amtierenden Präsidenten aus. Dieses Resultat ist zu gering für Putin. Ein ähnliches Rating hatte er vor der Kampagne in der Krim. Dann trugen Volksproteste zum Rückgang seiner Popularität bei, aber die Annexion der Krim machte Putin zum Nationalhelden. Dennoch wird man vom Patriotismus nicht satt. Im Jahr 2018 erhöhte die Regierung statt der versprochenen Lohnerhöhung das Renteneintrittsalter. Dies provozierte neue Kundgebungen.

Also, um in der Präsidentschaft zu bleiben, musste Putin eine Aufmerksamkeit des Volkes von internen auf externen Problemen wechseln. Es ist auch gut möglich, dass Putin selbst nichts verlieren wird, wenn Russland von der Außerwelt isoliert wird. In einem solchen Szenario erhälte er absolute Macht und musste nicht mehr die Meinung der internationalen Gemeinschaft beachten.

Als einen der Grunde für den Angriff nennt Putin die Absicht der Ukraine der NATO beizutreten. Gemeinsame Übungen der Ukraine mit NATO zeigten, dass diese Idee sich bald realisieren wird. Russland kann nicht mit NATO kämpfen. Also, Putin konnte nicht warten.

Tatsächlich brauchen weder Russen, noch sein Präsident die Ukraine. Das Unglück der Ukraine, dass sie die Nachbarin von Russland ist. Die russische Armie zeigt deutlich, dass Russland keine ukrainische Ressourcen braucht: weder schwarze Erde, noch Menschen, noch irgendetwas anderes. Was ein Imperium braucht, ist seine Grenzen ständig zu erweitern. Wenn Russland die Ukraine erobert hätte, würde es nicht aufhören und seine Expansion nach Westen fortfahren. Weiter würde der Krieg mit Händen der Ukrainer*inen geführt, damit die Uniform des Soldaten potenzielle Rebellen bändigen könnte.

Wurzeln des Hasses

Warum lieben die Russen entgegen gesunden Menschenverstand weiterhin Putin und hassen die ganze Welt?

Der Zusammenbruch der UdSSR war für Russland eine imperiale Demütigung, wie Deutschland nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg erlebte. In Deutschland führte es zur Stärkung des Hitler-Regimes, in Russland — zu Putin.

In der 90er Jahren konnte Russland nicht erfolgreich ein marktwirtschaftliches Model einführen. Aber der eigentliche Schlag war der Rückgang der Ölpreise. So kam es im Jahr 1998 zu einer der schwersten Krisen in der Geschichte Russlands. Ein Jahr später begannen die Ölpreise jedoch zu steigen. In dieser Zeit kam Wladimir Putin an die Macht. Die Russen assoziieren die wirtschaftliche Entwicklung persönlich mit Wladimir Putin. Dazu bringen die Medien die „richtige Gedanken“ in die Köpfe der Bürger. In den Augen der Menschen wird Russland zu einer Weltsupermacht, die leicht mit den USA konkurrieren kann. Die Russen glauben, dass Putin die ganze Welt zwang, ihr zu respektieren.

Die wirkliche Probleme Russlands machen seine Bewohner nicht nüchtern, sondern machen die nur aggressiver gegenüber der Außenwelt. Die Russen betrachten die Niederlage im Kalten Krieg und den Zusammenbruch der UdSSR als das Ergebnis der Aktionen von Europa und der USA. Sie nehmen die derzeitigen Sanktionen als einen weiteren Angriff auf einen starken Konkurrenten — Russland — wahr.

Also, die Russen könnten in Wohlstand leben, wenn andere Staaten Russland für ihren eigene Wohlstand nicht unterdrücken werden. Auf dieser Grundlage wächst der Hass.

Dieses Weltbild wird nicht nur durch Propaganda beeinflusst. Dazu kommt ein kultureller Aspekt. Russland ist es nicht gewohnt seine Fehler einzugestehen, deshalb macht es die sogenannten Volksfeinde dafür verantwortlich. Als Bewohner eines Imperiums sind die Russen daran gewöhnt, sich auf einen patriarchalischen Herrscher zu verlassen. Sie bezeichnen sich selbst als unpolitisch. Menschen, die nicht am politischen Prozess teilnehmen, nehmen propagandistische Narrative leicht, als selbstverständlich an. Lügen, die oft wiederholt werden, werden zur Wahrheit.

Russische Zukunft: wie seht sie aus?

„Wenn dies geschieht, sofort in dieser Sekunde, nicht einmal in einer Stunde, sonder in einer Sekunde, wird es diejenigen geben, die dasselbe mit anderen territorialen Einheiten Russlands tun wollen“, sagte Wladimir Putin über die Abspaltung des Kaukasus von der Russischen Federation im Jahr 2011.

Generell verlor Russland eigene Territorien mehr als einmal. Das letzte Mal ist dies noch gar nicht so lange her, in den 1990er Jahren. Dann lösten sich nicht nur die Republiken, sondern sogar einige russische Gebieten davon. So wurden Sibirien und der Ural unabhängige Staaten. Dieses Szenario hat nichts seltsames. Russland ist ein multinationales Land. Es hat 190 Völkerschaften. Diese Menschen haben zu unterschiedliche Kulturen und Religionen. Nichts vereint sie. Russland entwickelte keine einzige nationale Idee und nationale Werte für sein Volk. Außerdem verbreitet sich in den letzten Jahren die Bewegung „Russland für Russen“. Auf dieser Grundlage wurde die Fremdenfeindlichkeit in der Gesellschaft immer stärker.

Nicht weniger wichtig ist die Tatsache, dass die wirtschaftliche Ebene in den verschiedenen Regionen Russlands zu unterschiedlich ist. Das Land hat keine hochwertige Infrastruktur für eine effektive Zusammenarbeit zwischen den Regionen der Federation.

Alle diese Faktoren verschärfen die Situation in der Staat. Doch kann der Auslöser für den Zusammenbruch des Imperiums nur eine Niederlage im Krieg sein. Bis heute führten die Proteste zu keiner politischen Wende. Das russische Volk wird trotz der Massenunzufriedenheit mit der Mobilisierung nichts erreichen. Die Regierung wird eine große Zahl von Todesfällen unter Wehrpflichtigen mit der heiligen Mission rechtfertigen, den ukrainischen Nazismus zu bekämpfen. Dieser Trick sollte funktionieren, da in Russland die „Großfatertat“ im Kämpf gegen den deutschen Faschismus idealisiert wird. Wer kann die Geschichte in einer andere Richtung lenken — ist die russische politische Elite. Davor hat das Putin Regime Angst.

„Wenn es uns nicht gelingt, die Eliten zu konsolidieren, könnte Russland als die einzige Staat verschwinden.“, berichtet Dmitrij Medwedew im Jahr 2005. Dieses Problem existierte damals, es wurde jetzt viel aktuell. Dass Putin jetzt großen Angst vor einem Staatsstreich hat, zeigen die Massenverhaftungen von Militärangehörigen in Moskau. Wie der russische Oppositionelle Gennadi Gudkow sagte, beginnt die Spaltung der Eliten mit den Generällen, dann schließen sich regionale Beamte dem Prozess an.

„Er (Putin) nahm alles von der Elite. Das ist keine Annahme, das ist eine Tatsache.“, sagte Herr Gudkow, „ich habe dieser Information von Familienmitglieder der russischen Elite. Sie verbergen ihren Hass und ihre Feindseligkeit gegenüber Putin nicht mehr. Die Frage ist aber, wie offen diese Stimmungen sein können und wie sie eskalieren werden“. Wie Putin mit unbequemen Oligarchen und Oppositionellen umgeht, erfuhren schon viele in Russland: manche gehen ins Gefängnis, andere — ins Jenseits. Der Oppositionelle Alexei Nawalny erlebte beide Szenarios. Dieser Politiker, der die Vergiftung überlebte, kam ins Gefängis. Das Problem ist, dass keiner von russischer Elite mehr Geld oder Macht hat als Wladimir Putin. Wenn jemand sich für einen organisierten Putsch traute, wäre das längst geschehen. Aber es scheint, dass Schweigen, Schweigen für sehr gutes Geld der Elite besser passt.

Laut ukrainischen Experten wird Russland in den nächsten 10 Jahren auseinanderfallen. Es ist bemerkenswert, dass weniger als 10% des Territoriums Russlands der sogenannten „Russischen Welt“ gehören. Die restliche Fläche sind 22 zwangskolonialisierte Republiken, die der finischen, arabischen und asiatischen Kultur angehören. Es scheint, dass eine signifikante Reduzierung Russlands das Einzige ist, was die Welt vor seiner Aggression retten kann. Andernfalls wird die Federation nach dem Krieg einen weiteren Racheversuch unternehmen.

Der dritte Weltkrieg ist schon lange da. Auf dem Territorium der Ukraine wird jetzt bestimmt, wie die nächste Zukunft der Welt aussehen wird und welche Bedeutung Gerechtigkeit haben wird. Die ist eine Folge der Straflosigkeit des stalinistischen Regimes und Kriegsverbrechen Russlands. Aber der blutige Terror in der Ukraine wird nicht in der Ukraine enden, wenn die führende Politiker der Welt dieses Mal weiterhin Putins blutige Hand schütteln.

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