Bekanntlich ist die Mutter aller Aussteigertexte der Brief des Paulus an die frühchristliche Gemeinde in Rom. Darin schildert er, wie er vom Christenverfolger zum eifrigen Propagandisten des Christentums, vom Saulus zum Paulus wurde. Aussteiger aus der extremen Rechten folgen diesem Narrativ der Erzählung einer Erleuchtung mit nachfolgender Läuterung ebenso: Ingo Hasselbach, Bela E. Althans, DVU-Fischer oder Greger. Für alle gilt: Wer schreibt, der bleibt. Nun hat Franziska Schreiber, ehedem Junge-Alternative-Chefin in Sachsen, ihre Bekenntnisse in Buchform veröffentlicht, und Medien wie Spiegel und FAZ stricken an Schreibers Erzählung mit, sie enthülle den bislang nicht bekannten Charakter der AfD und ihres rechtsextremen Umfeldes.
Schreibers Buch beginnt wie alle Bekenntnisschriften mit einer biografischen Herleitung des eingeschlagenen Weges. Was sich zäh und in gewisser Weise belanglos liest, ist es nicht. Die Biografie dient der Beglaubigung der Gründe, diesen einen und keinen anderen Weg eingeschlagen zu haben. Sie dient der Verfasserin aber auch als legitimatorisches Narrativ, auf welches im Weiteren immer wieder Bezug genommen werden wird:
Erfahrungen, Enttäuschungen und Entscheidungen werden so dargestellt, dass der Einstieg in das rechte Milieu plausibel und sinnstiftend erscheint. Garniert wird das mit Verweis auf die eigene vormalige Naivität, die Umstände und Gelegenheitsstrukturen des eigenen Handelns. Dies wäre dann aufschlussreich, wenn es mit einer politisch-inhaltlichen Reflexion der Etappen des Einstiegs in die extreme Rechte und deren Phasen verbunden wäre. Doch wie im Falle anderer Bekenntnisse von Aussteigern kommt dieser Aspekt bei Schreiber zu kurz. Zwar geht ihre Selbstreflexion bei der Beschreibung der Dynamik ihres Einstiegs in das politische Geschäft der AfD über jene anderer Akteure, die etwa den militanten Neonazismus hinter sich ließen, hinaus. Aber einen inhaltlich und nicht nur emotional-persönlich begründeten Bruch mit Ideologie und Praxis des skizzierten Milieus bleibt Schreiber ebenso schuldig wie viele vor ihr. Was dann in den Medien als Enthüllung durchgeht, ist im Kern keine. Sie schildert die Machtkämpfe rund um den Prozess der Radikalisierung der AfD zutreffend, aber politisch unzureichend eingeordnet. Zu sehr stehen bei ihr die Charaktereigenschaften führender AfD-Funktionäre im Vordergrund. Das mag interessant sein. Eine politische Auseinandersetzung kann es nicht ersetzen. Etwa zur Mitte des Buches wird klar, dass die Autorin das Wechselwirkungsverhältnis zwischen neurechten Netzwerken und der AfD weder überblickt noch politisch einordnen kann.
Nur so ist zu erklären, dass und wie sie im Ton der Empörung über Björn Höcke und Götz Kubitschek beziehungsweise das burschenschaftlich-rechtsextreme Netzwerk im Umfeld der AfD schreibt, als seien die auf dem Planeten AfD gelandet wie feindlich gesinnte Aliens auf der Erde. Dazu passt das Bild, welches sie von Frauke Petry entwirft: integer, sauber, ehrlich. Schreiber bewundert Petry offenbar ungebrochen und ist deshalb nicht in der Lage zu verstehen, welchen Anteil Petry an der Rechtsverschiebung der AfD hatte.
Identitäre Anarchos. Nicht.
In Bezug auf die Identitäre Bewegung trifft Schreiber eine komplette Fehleinschätzung. Diese seien „anarchisch“ verfasst und „ähnlich der Antifa“ keiner Regel unterworfen, schreibt sie. Dem folgt eine Schilderung eines Treffens mit Martin Sellner, Chef der österreichischen Identitären, in einem Wiener Café, von dem sie berichtet, wie strategisch dieser plane und agiere. Ein Widerspruch, der nicht aufgelöst wird. Was Schreiber im Detail enthüllt, sind vor allem menschliche Verfehlungen und negative Charaktereigenschaften von Akteuren in und außerhalb der AfD. Keine ihrer Enthüllungen bietet einen exklusiven oder noch unbekannten Aspekt zur politischen Ausrichtung der AfD beziehungsweise der Entwicklung dorthin. Schreiber trifft auf Karrieristen, sexistische Landeschefs, männerbündelnde Burschenschafter und einen Höcke, dem ihrer Ansicht nach das Zeug zum charismatischen Führer fehlt. Aber Schreiber hat und entwickelt keinen Begriff des Politischen in der Beschreibung der Veränderungsprozesse in der AfD seit 2013. Sie hält daran fest, sie sei in eine liberale Partei eingetreten, die sukzessive von rechten Kräften zerstört worden sei.
Dass dies höchstens die halbe Wahrheit ist und welches instrumentelle Verhältnis die angeblichen Liberalen in der Partei zur extremen Rechten hatten, bis sie abgesägt wurden, reflektiert sie nicht. Die Reflexion der eigenen Rolle im Prozess der Radikalisierung der AfD fällt zwiespältig aus. Einerseits beschreibt sie durchaus ihre aktive Rolle in den Strukturen der JA respektive der AfD und den damit einhergehenden Handlungs- und Entscheidungsspielraum. Andererseits gibt es im Buch viele Stellen, an denen sie Ohnmacht und eine angeblich objektive Passivität in ihrer Rolle als Funktionärin beschreibt. Dies wiederum hat sie mit anderen Aussteigern gemein. Dass Kubitschek und andere gegen das Buch vorgehen wollen, ist so gesehen wenig verständlich. Denn was sie über die radikale Rechte in und um die AfD schreibt, ist nichts, was langjährige Beobachter und Beobachterinnen nicht schon wüssten.
Das Buch hätte ein gründliches Lektorat gebraucht. Schreibers Sprache verrät, dass sie sich von der Lebens- und Ideenwelt der AfD nur oberflächlich entfernt hat. Etwa dort, wo es um die beschreibende Charakterisierung der IB als „Patrioten“ geht. Die 220 Seiten von Inside AfD lesen sich rasch. Es gibt kein Literaturverzeichnis, keine Credits. Das Buch ist mit heißer Nadel gestrickt und an die adressiert, die sich bisher nicht ausführlich mit der AfD befasst haben. In der öffentlichen Debatte wird es Franziska Schreiber nicht schwer haben, als authentische Aussteigerin in alle Talkrunden eingeladen zu werden. Doch Schreiber ist keine Aussteigerin. Sie hat sich – aus nachvollziehbaren Gründen – zurückgezogen. Das ist ein Unterschied.
Info
Inside AfD: Der Bericht einer Aussteigerin Franziska Schreiber Europa Verlag 2018, 224 S., 18 €
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