Zukunft Pink?

Meinung Ein Monat Pride ist manchen schon zu viel. Während jene sich an der Liebe stören, springen Unternehmen auf den Pride-Wagen auf und geben sich bunt. Ist das noch Solidarität oder schon Opportunismus?

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Mit dem 1. Juni beginnen meiner Meinung nach zwei sehr schöne Dinge: Der Sommeranfang und der Anfang des "Pride Months". Wie der Name bereits verrät, steht der Juni damit im Zeichen des Stolzes. Doch welchen Stolz genau? Gemeint sind Menschen, die sich als Teil der LGBTQ-Community (lesbian, gay, bi, trans, queer) sehen und ihren Stolz nicht verstecken, sondern zelebrieren wollen. Man hört immer häufiger die Behauptung, dass wir als Gesellschaft schon so weit seien. „Du bist schwul? Na und?“ Eine solche Reaktion kommt meistens von Menschen, die selbst tatsächlich von ihrer eigenen Toleranz gegenüber queeren Menschen überzeugt sind. Sie weisen auf die gesellschaftliche Akzeptanz hin oder die sog. "Ehe für Alle" und deklarieren eine Obsoleszenz des Coming-Outs. Warum also ein ganzer Monat? Und wo ist der Pride-Month für Heteros?

Nicht so, wie es scheint

Die Entscheidung, sich zu outen, erfordert auch in unserer heutigen Zeit noch immer viel Mut. Es braucht hingegen nicht viel, um sich als heterosexuell zu outen, da es sich um die gesellschaftliche "Norm" handelt. Die Gesellschaft versucht zwar, sich tolerant gegenüber der LGBTQ-Community zu zeigen, jedoch bleibt die Queerness einer Person weiterhin Zündstoff für verschiedenste Situationen des Alltags. Komische Blicke, Beleidigungen, Körperverletzung. Die Eskalationsspirale von Queerfeindlichkeit besitzt eine schier grenzenlose Zerstörungskraft. Alleine im Jahr 2022 wurden laut Bundesinnenminesterium 1.005 Straftaten erfasst, die unter der Rubrik "Sexuelle Orientierung" eingeordnet wurden. Damit wurde ein Plus von 15,52 % im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet. Die Dunkelziffer queerfeindlicher Straftaten wird wohl noch höher sein.

Es stimmt zwar, dass in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern eine insgesamt queerfreundlichere Stimmung herrscht, jedoch wird diese Stimmung neuerding vonseiten verschiedenster Akteur*innen getrübt. Die neue Obsession der CSU, wenn es um das Thema Leserunden mit Drag-Queens geht, ist nur eines von vielen Beispielen. Auch das schädliche Klima, in welchem sich transidente Menschen momentan befinden, sei hier zu erwähnen. Alles für den Schutz unserer Kinder, nicht wahr? Dieser Monat fungiert auch als politischer Protest, als einen Moment der Aufmerksamkeit, in dem viele Menschen der LGBTQ-Community die Chance sehen, endlich mit ihren Anliegen hinsichtlich Gerechtigkeit und Gleichstellung Gehör zu finden. Und das funktioniert. Im und um den Juni herum werden allerlei Demonstrationen im Form des sog. "Christopher Street Day" gehalten, die sowohl queere als auch heterosexuelle Teilnehmer*innen anzieht, um für queere Rechte einzustehen. Viel Aufmerksamkeit bedeutet jedoch gleichzeitig, dass viele etwas vom großen Kuchen haben wollen. Und hier kommen die Unternehmen ins Spiel. Holt die Farbeimer raus, jetzt wird die Welt pink angemalt!

Pink ist das neue Bunt

Ein Beben geht durch die Republik. Pünktlich um 00:00 Uhr beginnt das kollektive Anmelden in den Weiten der Social-Media-Welten und um 00:01 Uhr stehen wir vor einer digitalen Wand aus Regenbogenfarben. "Lieb doch, wen du willst." "Love is Love." "Love wins." Wenn sich die Autohäuser, Fastfoodketten, Möbelgeschäfte, Regierungen, Waffenindustrien und Mineralölunternehmen der Welt diese Slogans auf das Profilbild schreiben und neue Produkte in Pride-Editionen vorstellen, wissen wir wirklich: Pinkwashing-Season Pride Month ist da! Nun kann kann man sich selbstverständlicherweise fragen, warum Kritik an dieser Form der Anerkennung gerade von einer queeren Person kommt. Müsste ich mir das nicht immer erträumt haben? Die ganze Welt zelebriert uns! Doch tut sie das wirklich? Und sind Unternehmen, die dreißig Tage ein Regenbogen-Profilbild auf Instagram und Co. haben wirklich "die ganze Welt"? Es dürfte zumindest sehr stark bezweifelt werden. Zuerst muss erklärt werden, dass Pinkwashing den Vorgang bezeichnet, bei dem eine vermeintliche Unterstützung und Identifizierung mit der LGBTQ-Community vorgegeben wird. Ob die Unterstützung vollumfänglich ist, kann nie vollständig bewiesen werden. Es hat zudem die Intention, eine Organisation oder institution als progressiv und weltoffen darzustellen. Aus dieser Aufwertung des Images erhofft man sich letztendlich einen Profitgewinn, der sich in Umsatz oder in Zustimmungswerten manifestiert. Nun ist der Versuch, die eigene Marke in ein positives Licht zu rücken, um im Wettbewerb besser dazustehen, nichts Besonderes in einem kapitalistischen System. Was das Pinkwashing so perfide macht ist, dass es auf den Rücken einer marginalisierten Gruppe, den Mitgliedern der LGBTQ-Community, passiert. Die Menschen wollen am Pride Month keine halbgaren Solidaritätsbekundungen, sondern Unterstützung für ihre politischen Forderungen.

Regenbogen mit Grenzen

Nun gibt es zwei konkrete Punkte, dich mich an der Haltung von Unternehmen zum Pride Month zweifeln lassen, ob die Unterstützung wirklich ernstgemeint ist. Zum Einen ist da diese Bare-Minimum-Attitüde, die bereits kurz angerissen wurde. Ein kleiner Regenbogen in das Profilbild geklatscht und gut ist. Kann man ja ab dem 1. Juli eh wieder ändern. Nun ist die Solidarität mit queeren Menschen in Form dieser visuellen Positionierung eine nette Idee, die (hoffentlich) niemandem wehtut. Das Pinkwashing entfaltet aber seine Wirkung erst so richtig bei deutlich durchdachteren Konzepten. Wenn in Werbungen gleichgeschlechtliche Paare in ihre Burger reinbeißen und danach mit ihrem nagelneuen Auto am Meer entlangfahren, kann das Herz eigentlich doch nicht anders, als zu strahlen, oder? Das Problem an solchen Werbungen ist bspw. der daraus entstehende Anschein, gleichgeschlechtliche Liebe sei ein Phänomen, das nur im Juni zu besichtigen ist. Nach elfmonatigen Winterschlaf, kommen plötlich die Queers aus ihren Höhlen und dürfen wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Verschwinden die Pride-Werbungen, verschwinden auch die queeren Paare. Queere Narrative außerhalb des Pride Months sind in der Konsumwelt eher die absolute Ausnahme. Dadurch werden wir nur noch mehr als Special-Edition, und nicht als fest verankerten Teil dieser Welt angesehen. Ich bin besonders, aber noch lange keine zyklische Erscheinung.

Das zweite Problem des Pinkwashings ist, dass es noch nicht einmal konsequent durchgesetzt wird. Wenn Unternehmen X in mehreren Ländern Teil des Marktes ist, kann man ja mal die länderspezifischen Internetpräsenzen begutachten und die unterschiedliche Handhabe untersuchen. In Deutschland? Love is Love und Regenbogenflaggen. In Dubai? Alles scheinbar wie immer: heteronormativ. Offensichtlich orientiert man sich lieber an den politischen Gegebenheiten und an der Marktfähigkeit statt den eigenen Konviktionen. Nun kann ich es nicht verübeln, wenn das Thema queere Rechte nicht in jedem Land frei vorgertragen werden kann, aufgrund von gesellschaftlichen, aber auch gesetzlichen Gegebenheiten. Ist jedoch gerade dies nicht der Beweis dafür, dass Unternehmen keine verlässlichen Partner im Kampf für Gleichstellung und Akzeptanz sind? Letztendlich scheint die Profitgier diesen Kampf zu gewinnen.

(Fast) alles schlecht

Nun will ich zu guter Letzt mit einer positiven Note enden. Hat das Pinkwashing von Unternehmen und Regierungen problematische Seiten? Ja. Hat das Pinkwashing auch gute Seiten? Mit ganz viel Suchen, ja. Dafür muss man einfach in die Kommentarspalten der Social-Media-Accounts von Unternehmen schauen, die ihren Beitrag zum Pride Month in Form von neuen Schuhen oder Shampoos präsentieren möchten. Eine braune Schlammlawine, bestehend aus Beleidigungen und Boykottaufrufen von Queerphoben, Konservativen und Rechten, wird ihnen entgegengeschleudert. Den Rauch glühender Köpfe sieht man förmlich aus den Handys und Laptops qualmen. Wenn sich Menschen dazu entscheiden, ein Produkt aus irgendwelchen Gründen nicht zu kaufen, ist das ihr gutes Recht. Wenn man sich außerdem dafür entscheidet, nie wieder eine bestimmte Marke zu kaufen, ist das ebenfalls ihr gutes Recht. Reisende sollte man nicht aufhalten. Wenn sich die Menschen, die gegen queere Menschen sind, versammelt auf eine verlassene Insel begeben, weil sie diese Zustände aka Regebogenschuhe nicht aushalten und ansehen wollen, könnte ich dem Pinkwashing vielleicht doch noch etwas Gutes abgewinnen. Happy Pride, everyone!

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