Uneinholbar hat Ferdinand Marcos Jr. am 9. Mai die Präsidentschaftswahlen auf den Philippinen gewonnen. Marcos, auch Bongbong Marcos genannt, erhielt mehr als doppelt so viele Stimmen wie seine stärkste Kontrahentin Leni Robredo von der Liberal Party. Überraschend für viele, denn Marcos ist der Sohn von Ferdinand Marcos, der das Land 14 Jahre lang diktatorisch regierte, bis er 1985 im Rahmen einer friedlichen Revolution gestürzt wurde. Sein Regime war von Mord, Folter und einer beispiellosen Bereicherung der Diktatorenfamilie an der Staatskasse geprägt. Der vielfach ausgezeichnete Theatermacher Frank G. Rivera hat die Diktatur als Student und Künstler miterlebt. Wie viele ist auch er besorgt über die Bedeutung des Wahlerfolgs des Diktatorensohns f
ür die philippinische Gesellschaft, insbesondere für die Kunst- und Pressefreiheit. Marcos’ Vizepräsidentin wird Sara Duterte, die Tochter des scheidenden Präsidenten Rodrigo Duterte. Gegen ihn ermittelt der Internationale Strafgerichtshof wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen.der Freitag: Herr Rivera, wie haben Sie sich gefühlt, nachdem die ersten Hochrechnungen der Wahlen zeigten, wie deutlich Marcos Jr. führt?Frank G. Rivera: Es war seltsam, die ersten Hochrechnungen der Wahlen so schnell zu bekommen, wenn man bedenkt, dass wir hier auf den Philippinen einen der langsamsten Internetzugänge der Welt haben. Die Wahllokale hatten gerade geschlossen – und blitzschnell kamen die Ergebnisse, dass Marcos gegen Leni gewann. Es war wie Zauberei. Beinahe so, als ob das Ergebnis schon vorher feststand. Ein richtiger Albtraum.Sie spielen darauf an, dass die Wahlen manipuliert wurden. Gibt es dafür Hinweise?Die Marcos- wie die Duterte-Familie sind korrupt und unfassbar reich. Sie haben die Mittel und Freunde, um eine Wahl zu manipulieren. Es gibt diverse Hinweise, aber natürlich müssten die noch weiter geprüft werden. Es gab Tausende Berichte von defekten Stimmzählmaschinen, weshalb Menschen nicht wählen konnten. Gleichzeitig gab es einen statistisch unwahrscheinlich hohen Anstieg an registrierten Wählern.Dass Marcos Jr. viele Unterstützer:innen hat, haben aber auch Umfragen vor der Wahl gezeigt. Wie ist das zu erklären?Die Familie Marcos ist mit unvorstellbarem, gestohlenem Reichtum davongekommen. Diesen Reichtum setzt sie ein, um eine riesige Fehlinformationskampagne zu finanzieren und ihren Namen reinzuwaschen. Seit Jahren werden Philippiner mit diesen Lügen berieselt, die die Marcos-Familie zu Opfern machen. Natürlich gibt es auch nach wie vor Marcos-Loyalisten, die in dieser Kampagne eine Schlüsselrolle spielten. Schade, dass die Philippiner diesen Machenschaften gegenüber so naiv waren und sind. Mit Geld lässt sich vieles machen.Placeholder infobox-1Maria Ressa, die philippinische Investigativjournalistin und Nobelpreisträgerin, sprach von einer Fehlinformationskampagne mit industriellem Ausmaß. Warum war es den Medien nicht möglich, die Fehlinformationen als solche zu entlarven?Leider kann Maria Ressas Wahrheit nicht mit Dutertes und Marcos’ Macht und Geld mithalten. Maria Ressa und auch andere Journalisten wurden wegen kritischer Berichterstattung auch unter Duterte immer wieder Opfer von Klagen und Einschüchterungsversuchen. Und wenn mit Maria Ressa, einer Person, die national wie international so ein hohes Ansehen genießt, so umgegangen wird, was können andere Journalisten dann ausrichten?Wie hat die Marcos-Diktatur Ihre Arbeit als Künstler, als Dramatiker beeinflusst?Das deutsche Wort „Verboten“ war damals in den 70er Jahren unter uns jungen Künstlern sehr beliebt. Wir haben uns von „Verboten“ inspirieren lassen und mehr Metaphern in unserer Arbeit verwendet. Das philippinische Kino hatte seine goldene Ära – Leute wie Lino Brocka, Ishmael Bernal, Mike de Leon schufen Meisterwerke, indem sie in ihren Werken Schichten und Schichten von Metaphern verwendeten. 1974 entdeckte ich Volksmärchen als Metaphern für das Geschehen. Ich habe die Sining Kambayoka gegründet, eine Volkstheatergruppe an der Mindanao State University in Marawi City. Ich benutzte Volksmärchen, um die Verbrechen der Regierung aufzuzeigen. Ich hatte ein Stück namens Halik sa Kampilan (dt. „Kuss in Kampilan“, ein traditionelles Schwert, d. R.), das zur bewaffneten Revolution aufrief. Armee und Marine sponserten sogar unsere Tour durch das Land und fragten mich, wieso das Publikum lachte und weinte, als es zusah.Sie haben den wahren Inhalt Ihrer Werke nicht verstanden?Genau. Aber natürlich galt auch ich als Kommunist. Ich habe meine eigenen Erfahrungen mit Gräueltaten des Kriegsrechts. Wie viele der philippinischen Jugendlichen damals hielten mich die schrecklichen Erfahrungen nicht auf, sondern wurden zu einer Inspiration, um das zu verfolgen, was getan werden muss.Also war kritische Kunst mit Umwegen möglich?Kritische Kunst ist jederzeit und überall möglich, je nachdem, wie gut und fein abgestimmt der Künstler in seiner Kunst und seinem Handwerk ist und wie viel er bereit ist zu riskieren.Unter Marcos war nicht nur die Kunst-, sondern auch die Pressefreiheit eingeschränkt. Es war verboten, etwas Abwertendes über die Regierung zu sagen, insbesondere über den Präsidenten und seine Familie. Zeitungen, Radio, Fernsehen, Filme – alles wurde von der Regierung kontrolliert. Wer dagegen vorging und Marcos öffentlich kritisierte, bekam Ärger. Irgendwie hatte Marcos Augen und Ohren überall. Wir wussten von Leuten, die mitten in der Nacht entführt wurden und von denen wir nie wieder etwas gehört haben, von Vergewaltigungen und Morden, über die nie in einer Zeitung geschrieben wurde. Das Militär hatte Macht und Waffen und wusste beides einzusetzen.Was hat die Kunstszene von Marcos Jr. zu befürchten?Die Wahl öffnet eine neue Seite in der Geschichte der Korruption und auch der Kunst auf den Philippinen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es wieder Zensur gibt. Künstler müssen einen Weg finden, damit umzugehen.Die Philippinen sind bekannt dafür, gefährlich für kritischen Journalismus zu sein. Gehen Sie davon aus, dass sich das nun weiter verschlechtert?Marcos Jr. hat nicht die angeborene Intelligenz und nicht das Talent seines Vaters. Deshalb könnte er im Umgang mit Kritik noch schlechter sein als Marcos Senior. Zensur wird es immer geben, wenn sich die Marcos und die Dutertes durchsetzen.
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