Egal was, Hauptsache es ändert sich etwas

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Als ich den Nachdenkseiten-Artikel 'Die Piraten: Sie machen alles anders, sie wissen nur noch nicht, was sie machen wollen' gelesen habe, ist mir ein Satz aufgefallen, der auch mir ein Kernanliegen in einem wachsenden Teil der Bevölkerung wiedergibt: "Egal was, Hauptsache es ändert sich etwas". Und weiter: "Die Piraten streben nach politischer Macht, ohne sagen zu können, was sie mit dieser Macht anstellen würden."

Meine verschlungen freilaufenden Gedankenweiterführungen:

Was die Bewegten anbelangt - ob aus der Mitte oder von links -, so gibt es einen regelrechten Konzeptstau. Die Welt wäre schon eine andere - eine sozial gerechtere, eine friedlichere, ein freiere -, wenn die Herrschenden nicht ihre Agendas durchsetzten und die alternativen Konzepte nicht schredderten.

Das Verdienst der Piraten ist, dass sie erstens das Bewusstsein über das entfaltete informationstechnologische Zeitalter im Denken und Handeln einbringen, und zweitens, dass sie auf das Bedürfnis zu Transparenz und direkte Demokratie eingehen. Die IT-Welt bietet tatsächlich neue und erweiterte Möglichkeiten, sich direkt einzubringen. Wobei ich die Strategie der Piraten als 'Interaktivierung' bezeichne, die durch deren Wahlkampfplakat 'Wir haben die Fragen, Ihr habt die Antworten' zum Ausdruck kommt. Dabei geht es zunehmend darum, die Möglichkeiten der IT-Welt - die Virtuelle Welt - auf die Reale Welt zu übertragen. Besser gesagt: aus diesen beiden Welten Eine Welt zu machen.

Der heutige westlich-kapitalistische Mensch ist ein 'homo consumens', wie schon Erich Fromm in seiner Schrift 'Psychologische Aspekte zur Frage eines garantierten Einkommens für alle' festgestellt hatte: »Der Mensch hat sich in einen homo consumens verwandelt. Er ist unersättlich und passiv und versucht seine innere Leere mit einem ständigen, stets wachsenden Konsum zu kompensieren. ...«

Die Piraten konstatieren praktisch einen homo interactivus. Dieser ist produktiv-schöpferisch tätig, wechselseitig mit seinen Mitmenschen. Es geht erst einmal nicht unbedingt darum, womit der Mensch sich beschäftigt, sondern darum, dass er sich aus seiner passiven Leere herausarbeitet und zu einer aktiven Fülle findet. Diese ist die Grundlage - quasi das Betriebssystem -, auf der die weiteren Konzepte - quasi die Anwendungsprogramme - aufbauen.

Anderes gesagt: Der Mensch muss erst einmal wieder lernen, eigenständig zu denken und zu handeln. Er muss sich vom Marionettentum des real existierend herrschenden Systems in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Medienwelt lösen. Der Mensch ist zum Roboter - zum Maschinenmenschen - degradiert worden; ja er hat sich selber dazu degradiert. Das ist im Grunde eine uralte Erkenntnis, die unter anderem im Thomas-Evangelium zum Ausdruck kommt, im Logion 56, das im Ecumenical Coptic Project folgendermaßen übersetzt und angemerkt wird: »Yeshua says: Whoever has recognized the world has found a corpse¹ — and whoever has found a corpse, of him the world is not worthy. (¹or, in a modern metaphor, a machine; ...)«

Die real existierende Welt der Menschen - die Übermaschine -, in der ein jeder Mensch eine kleine Untermaschine ist. Der Faschismus hat den Übermenschen und den Untermenschen propagiert, der Faschistokapitalismus propagiert die Übermaschine und die Untermaschine. Der vermeindliche Untermensch fühlt und leidet somit, weswegen er sich wehrt und kämpft. Die Untermaschine fühlt nicht mehr und leidet somit nicht mehr, weswegen sie sich nicht wehrt und nicht kämpft.

Gerade aus unseren Schöpfungen - den Maschinen, Computern, Robotern - können wir jedoch erkennen, dass wir Menschen sind - lebendige Schöpfer: Gott erschuf den Menschen, der Mensch erschuf den Roboter. Gott erschuf die lebendige Welt, der Mensch erschuf das tote Welt-System. Gott hat den Menschen den Auftrag gegeben, sich die Schöpfung zueigen zu machen. Die Piraten geben den Menschen den Auftrag, sich ihre eigene Schöpfung zueigen zu machen. Die Piraten sind die neuen Nietzscheaner. Sie legen den Menschen den Willen zur Macht über sich selber und ihre eigenen Kreationen nahe.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Red Bavarian

Die Vergangenheit analysieren, die Gegenwart gestalten, die Zukunft erdenken.

Red Bavarian