Verfehlte Diskussion zu den Aktionen der Aktivistengruppe "Letzte Generation"

Protest 99,99% des Staus werden von Autos selbst und nicht vom Protest verursacht.

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In den letzten Tagen konnte man eine heftige und gleichzeitig verfehlte Diskussion in den Medien verfolgen. Denn die Aktionen der Aktivistengruppe "Letzte Generation", der zuvor viel zu wenig Beachtung geschenkt wurde, haben nun eine negative Debatte darüber ausgelöst, wie weit Protest gehen darf. Natürlich erkennt die CDU/CSU nicht die Intention dieser Aktivisten und will jetzt Grenzen für das Demonstrationsrecht durch ein härteres Strafmaß. Das ist natürlich verfassungswidrig, was die CDU/CSU da möchte. Oder steht das Auto in Deutschland doch vor dem Demostationsrecht? Geht es nicht eigentlich um die Unversehrtheit eines jeden Menschen? Die gesamte Diskussion erscheint daher völlig verfehlt. Was ist eigentlich passiert? Schon wieder wurde eine Fahrradfahrerin im Straßenverkehr tödlich verletzt. Das ist der eigentliche Skandal! Wir haben noch immer keine sichere Radinfrastruktur in Deutschland und daher sind wir weit entfernt von der “Vision Zero”. Anstatt darüber zu diskutieren, dass viel zu viele Menschen (ca. 60%) noch immer Strecken von unter 5 Km mit dem Auto fahren, sprechen wir jetzt über den angeblich schuldigen Protest, der etwas mehr Stau verursacht als sowieso seit Jahrzehnten existiert. Denn noch immer werden 99,99% des Staus von Autos und nicht von irgendeinem Protest verursacht. Wie viele Rettungswagen kommen denn durch Stau oder Behinderungen zu spät? Müsste man da nicht nach CDU/CSU Logik dann auch allen Autofahrer*innen die im Stau stehen und den durch überflüssige Fahrten mit verursachen eine Mindestfreiheitsstrafe verhängt werden, wenn Fahrzeuge von Rettungsdiensten, der Feuerwehr oder der Polizei durch ihr Fahrzeug behindert wird? Das wäre wohl genauso vermessen, wie nun die Schuld einem Protest zu geben. Trotzdem muss man natürlich darüber sprechen, dass faktisch viele Autofahrer*innen es nicht mehr hinbekommen eine Rettungsgasse zu lassen und verursachen damit oft eine Verspätung der Einsatzkräfte. Diese Frage stellt z.B. komischerweise auch kein Artikel in der aktuellen Presse. Dabei ist dies ein viel größeres Problem. Die Äußerungen einer “Medien-Hetze” gegen Klimaaktivisten erscheinen ebenfalls verfehlt, auch wenn es sich vielleicht für den ein oder Anderen der Aktivisten so anfühlt. Doch Kritik an einer einseitigen Berichterstattung und unkritisches Verhalten könnte man durchaus an den Kolleg*innen der Presse üben. Einzig die "Süddeutsche Zeitung" zitiert in einem Bericht einen wichtigen Einsatz-Vermerk der Notärztin, die die 44 Jahre alte Radfahrerin vor Ort behandelt hatte. Demnach hätte es keine Auswirkung auf die Rettung der Radfahrerin gehabt, dass der spezielle Rettungswagen nicht zur Verfügung stand. Was sagt uns das?

Mein Wort zum Sonntag: Ich denke der Journalismus muss in Zukunft wieder mehr die Sorgfalt und gute Recherche vor Aktualität und Polemik stellen. Sonst haben wir in diesem Land irgendwann nur noch Bild Niveau und diskreditieren die Falschen. Der Protest der "Letzte Generation" steht für uns alle und für die Zukunft kommender Generationen. Auch wenn es für manche Menschen unbequem ist, die Wahrheit ist doch, dass wir kurz vor einer Klimakatastrophe und seit Jahren nur noch im Stau stehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Deniz Ertin

Wissenschaftler, Autor, Philosoph

Deniz Ertin

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