In Polen fand die Gewerkschaft Solidarność Zulauf, in der DDR war Erich Honecker SED-Generalsekretär, in der BRD regierte noch der SPD-Kanzler Helmut Schmidt, und in den USA war gerade der Filmschauspieler Ronald Reagan zum Präsidenten gewählt worden.
Eine kalte Dezembernacht in Manhattan vor 40 Jahren: Der Musiker John Lennon hatte keine Chance. Ein mit einem Revolver bewaffneter Mann, der ihn wenige Stunden zuvor um ein Autogramm gebeten hatte, erschoss den 40-Jährigen vor dem „Dakota“, einem Gebäude für Luxusappartements am New Yorker Central Park. Lennon war kurz vor 23 Uhr zusammen mit seiner Ehefrau und künstlerischen Partnerin Yoko Ono von Studioaufnahmen zurückgekehrt. Polizisten transportierten den von vier Schüssen schwer Verletzten im Streifenwagen ins nahe gelegene Roosevelt-Krankenhaus. Auf einen Krankenwagen zu warten, hätte zu lang gedauert. Lennon war vermutlich auf dem Weg zur Notaufnahme bereits tot. Der Mörder machte keine Anstalten zu fliehen und ließ sich vor dem „Dakota“ festnehmen.
Im Fernsehen lief an diesem 8. Dezember 1980 das Footballspiel Miami Dolphins gegen New England Patriots. Bei der Übertragung erfuhren die Zuschauer vom Mord. Kurz vor Abpfiff stand es 13 zu 13. Moderator Howard Cosell war am Mikrofon. Er habe gerade die Nachricht von einer „unsagbaren Tragödie“ erhalten. Das wohl berühmteste Mitglied der Beatles sei in New York City erschossen worden. Es sei schwer, nach einer solchen Eilmeldung zum Spiel zurückzukehren, sagte Cosell. Doch er kehrte zurück.
„Wir sind bekannter als Jesus Christus“, soll John Lennon Mitte der 1960er-Jahre über die Beatles gesagt haben. Niemand hatte jemals so viele Alben verkauft wie Lennon, George Harrison, Paul McCartney und Ringo Starr. Stürme der Begeisterung grüßten die Band bei Auftritten. Mit I want to Hold your Hand, Help!, Love Me Do, A Hard Day’s Night, Hey Jude oder She Loves Me öffneten die Boys aus Liverpool vielen jungen Menschen emotionale und musikalische Türen. Der Normalbürger konnte eifersüchtig werden beim Jubel der jungen Frauen, oft beschrieben als „hysterisch“. Mancher aus der älteren Generation witterte den Untergang der alten Ordnung.
Der Kommunikationswissenschaftler Eric Miller von der Bloomsburg University in Pennsylvania spricht heute auf der Website religiondispatches.org über die Schwierigkeit, die damalige Aufregung besonders in der konservativen Christenheit zu verstehen. Die langen Haare der Beatles seien eine radikale Abkehr vom Standard für junge Männer gewesen. Man habe befürchtet, Teenager würden die Beatles verehren und die Lehren ihrer Kirchen und Eltern vergessen. Das Innenleben der Band dürfte nicht so schön gewesen sein. Dazu sprach Lennon 1970 in einem mehrere Stunden langen Interview mit Jann Wenner, dem Begründer des Magazins Rolling Stone. Musikalisch hätten sich die Beatles tot gespielt, urteilte Lennon. Sie seien vier junge Männer gewesen mit enormem Erfolg, sodass sie schließlich selber an den Mythos ihrer Band geglaubt hätten. Lennon war offenbar bitter enttäuscht angesichts der Yoko Ono entgegengebrachten Feindseligkeit. 1974 hatten sich die Beatles nach Klagen und Gegenklagen formell aufgelöst. Es ging um die künstlerische Ausrichtung und um Geld. Bereits 1969 hatte Lennon allein Give Peace a Chance zum Vietnamkrieg und 1971 Imagine produziert. Man möge sich eine Welt vorstellen ohne Religion, Habsucht und Hunger, ohne Nationalstaaten und Besitz. Ebenfalls 1971 produzierten Lennon und Ono das Weihnachtslied So this is Christmas mit der letzten Strophe War is Over. If You want it. Now (Der Krieg ist vorbei. Wenn du das willst. Jetzt).
Präsident Richard Nixon, der es gar nicht mit den Hippies hatte, saß im Weißen Haus. FBI-Direktor war J. Edgar Hoover. Im Online-Archiv der Ermittlungsbehörde stehen Hunderte FBI-Dokumente über Lennon. Die Einwanderungsbehörde wollte dem britischen Staatsbürger die Aufenthaltsgenehmigung entziehen, angeblich wegen einer Jahre zurückliegenden marginalen Marihuana-Sache. Lennon sei nach Angaben einer vertraulichen Quelle „radikal orientiert“, mache aber nicht den Eindruck eines „wahren Revolutionärs“, da er fortwährend „unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln“ stehe, heißt es in einem vertraulichen FBI-Memo vom März 1972.
Der Historiker Jon Wiener, dessen Anträgen und Klagen beim FBI man die Freigabe der Dokumente verdankt, hat in seinem Come Together: John Lennon in His Time über die Versuche der US-Regierung geschrieben, Lennon abzuschieben. 1972 war ein Wahljahr, in dem Nixon gegen den Vietnamkriegsgegner George McGovern antrat. Lennon hatte vor, bei Konzerten zu singen, um junge Wähler für McGovern zu mobilisieren. Die angedrohte Abschiebung sollte Lennon zum Schweigen bringen. Nixon gewann mit 60,7 Prozent, der Vietnamkrieg ging weiter, und Lennon zog sich aus der US-Politik zurück.
John Lennons Mörder heißt Mark David Chapman. Wie üblich in den Vereinigten Staaten haben Medien viel über den Täter geschrieben und dessen Lebensgeschichte analysiert: Es gab Interviews mit Chapman im Fernsehen, und die Mühlen des Spekulierens liefen heiß. Der Kanal CNN führte Zuschauer „in den Kopf des Mörders“. 25 Jahre alt, aus Hawaii und Sicherheitsmann, er sei Beatles-Fan gewesen. Es gibt unterschiedliche Versionen von Chapmans Werdegang. War er evangelikaler Christ, war er irgendwie Satanist? Warum hat er Lennon so gezielt ermordet? Bei der Festnahme hatte Chapman Der Fänger im Roggen bei sich, einen der in den USA meistverkauften Romane. Autor ist der 2010 verstorbene J. D. Salinger. Im Buch erzählt der Protagonist, der 16-jährige Internatsschüler Holden Caulfield, vom Gefühl des Angewidert-Seins in einer verlogenen und scheinheiligen Welt. Der Fänger im Roggen gilt als Schlüsselroman für junge Menschen, die sich missverstanden fühlen. Beim Prozess, so die Washington Post 1981, habe Chapman aus dem Buch vorgelesen, die Passage, in der es darum geht, Kinder vor der verlogenen Welt der Erwachsenen zu retten. „Dies ist meine Aussage. Holden Caulfield“, hat Chapman angeblich in das Buch geschrieben.
Verteidiger Jonathan Marks erklärte, Chapman sei „kein gesunder, vielmehr ein sehr gefährlicher Mann“. Er brauche psychiatrische Behandlung. Chapman habe gewusst, was er tue, sagte Staatsanwalt Allen Sullivan. Er habe Lennon kalkuliert und kaltherzig erschossen, um selbst berühmt zu werden. Chapman wurde zu einer flexiblen Haftstrafe von 20 Jahren bis lebenslang verurteilt. Die Tageszeitung New York Daily News druckte wenige Tage nach dem Mord ein Exklusiv-Foto mit Lennon vor dem „Dakota“ wenige Stunden vor dem Attentat. Zu sehen ist auch Chapman, der ein Autogramm haben möchte. Die Überschrift: No Lennon Funeral. Yoko: Pray for his Soul (Kein Begräbnis für Lennon. Yoko: Betet für seine Seele).
Here Comes the Sun, dieser Beatles-Song, geschrieben von George Harrison, erlangt in den USA zu Zeiten der Pandemie mythische Bedeutung. Viele Krankenhäuser spielen das Lied, wenn ein Covid-19 Patient entlassen wird. Harrison verstarb 2001. Ringo Starr hat im Juli coronabedingt seine Feier zu seinem 80. Geburtstag abgesagt. Noch heute vermisse er George und John, bekannte Starr im Interview mit dem Rolling Stone. McCartney sagte der BBC in einer Sendung zu Lennons 80. Geburtstag, er sei froh, dass es sich vor Johns Tod mit diesem versöhnt habe. Beim Schreiben von Liedern frage er sich noch immer, was John sagen würde. Mörder Chapman sitzt bis heute in einem Hochsicherheitsgefängnis im Norden des Staates New York. Der frühere Hollywood-Producer Harvey Weinstein wurde nach seinem Schuldspruch wegen Vergewaltigung in die gleiche Strafanstalt verlegt.
Chapmans Anträge, ihn auf Bewährung zu entlassen, sind alle abgelehnt worden, zuletzt im Sommer 2020. Yoko Ono soll sich dagegen ausgesprochen haben.
Kommentare 3
Es gibt einige wenige Momente, bei denen man sich vielleicht nicht an das Datum, wohl aber an das Drumherum erinnern kann. Das 3:2 von Cordoba in der leichten Kurve nach Deutsch Wagram Richtung Straßhof - "3:2 - i werd narrisch". Die damals neben mir im Auto sitzende, damals schon Ex-Zeltgenossin K. neben mir spielt, außer daß sie neben mir saß keine Rolle. Gehupe, Geblinke, Fäuste aus fahrenden Autofenstern a la "venceremos, no pasaran!"...
Oder der Moment, in dem meine Mutter starb. Den ganzen Tag den Moment des Abschiednehmens hinausgeschoben. Immer wissend, daß ich mich höchstens selbst quäle, wenn ich sie besuche, denn gemerkt, daß ich da bin hätte sie sicher nicht. Ich stand schon an einer Ecke des Spitals und habe überlegt. Und dann hat man hinter mir gehupt und ich bin rechts statt links abgebogen. Kaum zu Hause läutete das Telephon.
Und der Dezembertag vor 40 Jahren. Auf dem Nachhauseweg in wartendere Kolonne zum Linksabbiegen Nachrichten gehört. Links über die Brücke, dann sofort rechts abgebogen, um in einer Seitengasse einfach loszuheulen. Nicht weil ich eine besondere Beziehung zu Lennon gehabt hätte. Ich habe bloß mit den Liedern der Beatles (nicht mit den späten) mein Sprachegfühl für Englisch verbessert, kann heute noch die meisten Texte auswendig. Zu Hause nichts gegessen sondern spazieren gegangen. Und dann statt ins Bett in die Küche, schreiben. Damals habe ich mein "Lapidar-Durchschreibesystem" begonnen. Und zu dem, was ich damals als ersten Eintrag schrieb, kann ich nur sagen, daß bis heute alles stimmt. Mit Lennons Tod war die unbeschwerte Zeit vorüber. Das Vorher - Nachher ist dort fast prophetische festgehalten.
Meine Älteste, damals gerade 2 Jahre bis zu meinem Jüngsten (jetzt 17) schütteln ungläubig den Kopf, wenn ich erzähle, daß ich mit 17 ohne Führerschein LKW gefahren bin. Mercedes 608, 911, 1413, Steyr 590. Taschengeld aufbessern. Bis Lukas Resetarits genau das über sich auch erzählte. Oder daß man Freitag abends mit Zelt, Grillbarem und Getränken in eine Schottergrube eindrang, dort sein Zelt aufschlug und bis Sonntag abends unbehelligt durchmachte. Nacktbaden, so 20 Leute, Lagerfeuer, laute Musik, Grillen, Baden, Quatschen, Sonnenschein. Das, diese Zeiten waren vorüber. Gerade läut "World of our own" auf Radio Niederösterreich.
World of our own - vorbei... Wenn auch aus anderen Ursachen, es war eine Zäsur, die bewußt geworden ist.
https://www.youtube.com/watch?v=aYQENKq9gIo
Julian Lennon and Sean Giving Peace a Chance
John Lennon. Seine Geschichte. Unsere Geschichte.
Danke habe ich gerne gelesen und gehört habe ich in RBB Kultur ebenso eine Erinnerung an ihn. Privat- gut schreibe ich jetzt- nachdem mein Vater gestorben war - nein nicht alleine- habe ich IMAGINE gehört und dann lange nicht mehr. John Lennon war ein Verlust für mich in meiner Jugend, weil er ermordet wurde von einem Typus Mensch, der auch wieder Hochkonjunktur hat. Damals habe ich begriffen, daß Mensch nicht immer politisch sein muß, wenn es aber wichtig ist, dann muß Mensch seine Ausdrucksmöglichkeit finden auch in der Kunst politisch zu sein oder sinnstiftend oder oder. Die Liebe hat Lennon zur Tugend erhoben, ja kitschiger Ausdruck aber ebend doch auf seine Art. Die USA habe ich damals als Gewaltland verankert und während einer Reise habe ich begriffen, daß im Hinterhof in Miami in den USA ebend der Hotelschutz mit Waffe so ist, weil die USA weiter ein Gewaltland bleiben- sichtbar auch für Touristen.