50 Jahre Elysée-Vertrag

A–Z Frankreich Was macht die deutsch-französische Freundschaft aus? Der obligatorische Paris-Trip? FC Bayern und Franck Ribéry? Oder die nassen Haare von Delphine? Das Lexikon der Woche
50 Jahre Elysée-Vertrag

Foto: Martin Parr / Magnum Photos / Agentur Focus

A

Austausch Sie hieß Delphine, war 15 und so schön wie ihr Name. Delphine war meine Austauschschülerin. Ich fuhr für zehn Tage in einen Vorort von Paris, sie kam zu mir in die süddeutsche Provinz. Frankreich war schrecklich. Ich konnte nichts essen, die Armaturen im Bad waren vertauscht, die Zudecke war nur ein Laken. Und ich war verliebt. Doch Delphine sah durch mich hindurch. Eine deutsch-französische Liebesgeschichte? Davon waren wir so weit entfernt wie das Ulmer Münster vom Eiffelturm. Daran änderte auch der Gegenbesuch nichts. Delphine verliebte sich bei ihrem Besuch unglücklich in einen Jungen aus der Franzosengruppe. Großes Drama, viele Tränen, Alkoholabstürze. Aber es ist nicht das, was ich seither mit Frankreich verbinde. Sondern es sind ihre Haare.

Delphine verließ jeden Morgen mit nassen Haaren das Haus. Bei uns in Süddeutschland föhnte man sich immer den Kopf, wegen der Erkältungsgefahr. Diese Angst kannte Delphine nicht. Was für ein Laissez-faire. Mark Stöhr

C

Concierge Roger führte morgens den Hund von Madame aus, die gerade an der Küste weilte, wie er jedem mit ehrfürchtiger Miene erzählte. Mein Concierge schimpfte dagegen auf die Russen im Haus, laute Musik, zu viel Wodka. Eines Abends kam ich spät und nicht allein nach Hause. Roger öffnete die Tür, sah meinen Begleiter, sein Blick erstarrte. „Wen schleppen Sie denn hier an?“ Ich verstand nicht. „Der schleust Drogen ins Haus!“ Ich solle den Mann, sein Gesicht verriet die maghrebinische Herkunft, wegschicken. Ich war geschockt, und hilflos. Ich wollte es mir mit meinem Concierge nicht verderben, nahm den Freund aber trotzdem mit hoch. Am nächsten Tag erklärte ich Roger, dass ich selbst entscheide, wen ich mitbringe. Und dass er ein Rassist sei. „Und ich dachte, Sie kommen, um sich zu entschuldigen“, erwiderte er und grinste. Danach redete mein Concierge nicht mehr mit mir. Maxi Leinkauf

D

Deutsche Jakobiner Es sollte gewiss kein „Revolutionsexport“ sein, doch die 1789 ausbrechende Revolution in Frankreich fand Bewunderer in vielen deutschen Fürstentümern. Sie hatten – wie der Naturforscher und Schriftsteller Georg Forster – nichts dagegen, „deutsche Jakobiner“ genannt zu werden. Und sie nutzten die Gunst der Stunde. Als das französische Revolutionsheer im Oktober 1972 Mainz besetzte, entstand dort ein Jakobiner-Klub – beseelt von den republikanischen Idealen der französischen Freunde.

Im Januar 1793 wurde die Mainzer Republik und damit der erste anti-monarchische Staat auf deutschem Boden ausgerufen. Deren Vizepräsident hieß Georg Forster, und er wurde als Gesandter nach Paris geschickt. Was ihm möglicherweise das Leben rettete, denn im Juli 1793 wurde Mainz von deutschen Feudaltruppen zurückerobert. Forster galt als Vaterlandsverräter und fiel unter die „Reichsacht“. Er schrieb von Paris aus weiter über die Mainzer Revolution und starb ein Jahr später 39-jährig im französischen Exil. Lutz Herden

E

Exil Im Frühjahr 1933 wurde Paris zum Zufluchtsort Tausender deutscher Flüchtlinge, unter ihnen die Schriftstellerin Anna Seghers. Frankreich empfing die Emigranten nicht überall mit offenen Armen, doch in dem Bewusstsein, den tödlicher Gefahr Entronnenen helfen zu müssen. Anna Seghers lebte mit ihrer Familie zunächst in einer Herberge in der Rue Gay-Lussac und schrieb bald ihre ersten Exilbücher. 1937 begann die Arbeit am Roman Das siebte Kreuz über die Flucht des aus dem KZ Westhofen entkommenen Georg Heisler. Seghers arbeitete mit Vorliebe in den Cafés am Boulevard Saint-Germain, im Les Deux Magots konnte sie sich einen Vormittag lang an einem Milchkaffee festhalten. Als die Wehrmacht 1940 in Frankreich einmarschierte, kam das Manuskript abhanden. Eine Kopie rettete ein Franzose – Fernand Delmas, ein Freund von Laszlo Radványi, des Ehemanns von Anna Seghers. LH

F

Franck Ribéry Als der französische Fußballer Franck Ribéry zum FC Bayern München kam, hatte der Verein eine lange Durststrecke hinter sich – drei Wochen oder so keinen Pokal mehr gewonnen. Wie immer, wenn so etwas passiert, kauft der FC Bayern irgendwelche Leute, von denen Experten sagen, sie seien gut. War die Liaison zwischen Verein und Spieler zunächst rein geschäftlich, ist es heute Freundschaft. In Frankreich galt Ribéry nach der WM 2010 als führender Quertreiber im Nationalteam; hinzu kam eine schmutzige Liebesgeschichte, jedenfalls war er in Frankreich plötzlich nur noch halb so beliebt. Den Münchner Fans ist das alles wurst, solange er auf dem Platz ein Genie ist. So finden sich Ribéry und der FC Bayern mittlerweile gegenseitig super. Mehr kann von einer Freundschaft eigentlich keiner verlangen. Klaus Raab

H

Hugenotten Die protestantischen Hugenotten waren im katholischen vorrevolutionären Frankreich unterdrückt. Unter Karl IX. kam es zu immer stärkerer Verfolgung, die im Massaker der Bartholomäusnacht im Jahre 1572 (Pariser Bluthochzeit) gipfelte. Danach flohen 250.000 Protestanten in die Niederlande, nach England, Irland, Deutschland und Nordamerika. Die Stammbaumforschung hat herausgefunden, dass auch in meiner Familie väterlicher- und mütterlicherseits Hugenotten vertreten waren, die damals in Bayern landeten. In der väterlichen Linie floss sogar blaues Blut, meine Vorfahren trugen den wohlklingenden Namen Duval de Navarre. Bayern war damals nicht gerade als Hochburg des Protestantismus bekannt, und so ließen sich meine pragmatischen Ahnen bekehren und stiegen zum päpstlichen Hausadel auf. Was für eine spannende Familienhistorie. Sophia Hoffmann

M

Merde Auf Französisch kann man nicht fluchen. Zwar gibt es jede Menge deftige oder zweideutige französische Phrasen, die gern zum Fluchen verwendet werden. Manche behaupten sogar, die Sprache sei perfekt dazu geeignet. Besonders schön ist das Bild, das der Merowinger in dem Film Matrix Reloaded bemüht: Es wäre so, „als wenn man sich den Arsch mit Seide abwischt“. Schon der französische Akzent nimmt dem Satz die Härte, die er im Deutschen besitzt.

Französisch ist die Sprache der Liebe, der ausgesuchten Höflichkeit und der Diplomatie. Eine Sprache, die so zärtlich ist, dass jeder Satz wie eine Liebeserklärung klingt. Eine Sprache, deren Melodie es ihr unmöglich macht, die proletarischen Niederungen der Unterhaltung überhaupt erst zu erreichen. Eine, die geschmeidig bleibt, selbst wenn man fluchen will. Nein, diese Sprache ist einfach zu weich. Pardon! Ulrike Bewer

P

Patricia Kaas Sprachen lernen kann großartig sein. Wirklich! Englisch und Latein waren unproblematisch, aber der Französischunterricht an der Schule war unterirdisch. Also habe ich den Kurs nach zwei Jahren wieder abgewählt, traurig, weil mir die Sprache eigentlich gefiel. Das musste doch auch anders gehen, mit Spaß. Ich fing damals an, französische Chansons zu hören, und zwar obsessiv. Und wenn ich nicht alle Texte verstand, wurde ich gnatzig – schließlich sollte man zum Mitsingen schon wissen, um was es geht. Immer wieder habe ich das Textheft durchgearbeitet, wenn es eines gab. Kaas‘ Chanson „Mademoiselle chante le Blues“ war eines meiner Lieblingslieder, melancholisch und mit klarer Aussage. Mademoiselle boit du rouge (Mademoiselle trinkt Rotwein). Nicht nur Vokabeln, selbst die Grammatik erklärte sich plötzlich von selbst. Kaas, gebürtige Elsässerin, startete ihre Karriere in Frankreich und Deutschland. Und ich singe immer noch mit, wenn ich sie heute höre. Jutta Zeise

S

Symbolik Der Handschlag von Verdun am 22. September 1984 war für viele Berichterstatter so bedeutend wie der Kniefall von Willy Brandt in Warschau. Vielleicht auch, weil er ebenso spontan schien und auf rührende Weise ungelenk daherkam, dieser historische Handschlag. Es regnete wie aus Kübeln, als François Mitterand und Helmut Kohl auf dem Soldatenfriedhof Douaumont unweit von Verdun Aufstellung bezogen. In ihrem Rücken lag das Gebeinhaus, in dem die Knochen von 130.000 deutschen und französischen Soldaten aufbewahrt werden. Es war Mitterand, der nach Kohls Hand griff, und dieser registrierte die Geste mit Erleichterung. In einer gemeinsamen Erklärung hieß es danach: „Frankreich und Deutschland haben die Lehren aus der Geschichte gezogen.“ MS

V

Verlust Zwischen uns und denen drüben lag der große Strom. Er trennte und verband, war natürliche Barriere und Versprechen. Vom Breisacher Münster konnte man über den Rhein ins elsässische Vogelsheim schauen, in Plittersdorf mit der alten Gierseilfähre hinübersetzen, in Maxau von der riesigen Brücke aus winken. Bis zur Wende habe ich immer in Grenznähe zu Frankreich gelebt. Wurde es uns zu eng, trieb es uns hinüber, dorthin, wo vieles vertraut und doch ganz anders war: die Sprache, das Essen, der Habitus. Schnell mal in Frankreich sein, das bedeutete in meiner Jugend – als das Elsass noch nicht neudeutsch besetzt war – Freiheit. Auf französischen Alleen wuchsen Rostkarossen Flügel, weiteten sich Herzen. Baguette, Käse und Rotwein waren für uns Inbegriff eines anderen Lebensgefühls. Nichts vermisse ich in Berlin so sehr wie den Sprung über den Rhein aus einer Laune heraus. Ulrike Baureithel

W

Wortschöpfung Viele französische Worte kamen während der „Franzosenzeit“ (etwa 1792 bis 1815) in den deutschsprachigen Raum und sind in ihm bis heute fest verankert. Manche wurden nur leicht eingedeutscht wie die Affäre oder das Omelett, andere komplett umgemodelt, sodass aus Mocca faux (frz. falscher Kaffee) der Muckefuck wurde.

Andersrum kam es auch in Frankreich zur Übernahme von Vokabular. Begriffe des Dritten Reichs wie (le) Führer, (le) Blitzkrieg oder (l’)Anschluss sind verbreitet, sowie auch das „Berufsverbot“, der „Hamster“ und die „Gemütlichkeit“. Sauerkraut und Rollmops dürfen ebenfalls nicht fehlen. Es muss ja nicht unbedingt in dieser Kombination sein. SH

Z

Zone Tu es un Zoni? Ob ich aus der Zone komme, hat mich noch nie ein Franzose gefragt. Sprechen Franzosen von la zone, klingt es nach Poesie, nicht nach Niemandsland. Dabei ist die Zone für die meisten Pariser ferner als der Osten Deutschlands. Sie verirren sich selten in französische Vorstädte, die als „zone urbaine sensible“ gelten. Der Chansonsänger Renaud aber sang von „la zone“, der Banlieue, wie von einer Geliebten. Er hat sie vielleicht etwas verklärt. Aber ich wollte das damals glauben. ML

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