A–Z Überschwemmungen in Nepal, Dürren in Kalifornien – zu viel Wasser ist ein Problem, zu wenig ebenfalls. Ob aus der Leitung oder als Lifestyleprodukt: Unser Wochenlexikon
Anfang Wasser ist der Ursprung aller Dinge, meinte der antike Philosoph Thales von Milet. Oder als Merksatz für seine Theorie zur Entstehung der Welt: Am Anfang war das Pitschpatsch. Aus einer Ursuppe – so weit von der Idee sind auch heutige Physiker nicht – bildeten sich allmählich das Leben, das Universum und der ganze Rest. „Alles fließt“, konstatierte der Kollege Heraklit, die mental-mobile Reflexivität der Postmoderne vorwegnehmend. Er fragte auch, ob man zweimal in denselben Fluss steigen kann, und schöpfte damit ein Logikrätsel, das sich bis heute auf jedem Kindergeburtstag mit Gewinn anbringen lässt. Auch Goethe fiel drauf rein, als er „Dauer im Wechsel“ dichtete. Einen Anfang markiert das Wasser auch in der Re
en Anfang markiert das Wasser auch in der Religion. So steht etwa vorm Betreten eines muslimischen Gebetsraums ein H2O-Reinigungsritual; ohne Wasser ist die christliche Taufe nicht zu haben; und welcher Hindu würde sich schon in einen Ganges ohne Fluten werfen? Tobias PrüwerEEdeltropfen Distinktionsbedürfnisse kann man auf viele Arten erfüllen. Selbst schnödes Mineralwasser taugt dazu – wenn es nicht schnöde daherkommt. „Rokko No Mizu“ etwa aus dem japanischen Rokko-Gebirge gilt – weil dort angeblich besonders viele Hundertjährige leben – nicht nur als eine Art Jungbrunnen, sondern auch als das teuerste Wasser der Welt. Im Hotel Adlon kostet es immerhin 124 Euro den Liter. Da bekommt die Redewendung vom „kostbaren Nass“ doch eine ganz neue Bedeutung. Eine Pulle „Bling H2O“ hingegen ist schon für um die 100 Euro zu haben, dafür ist sie mit Swarovski-Kristallen besetzt und bringt ein Spickzettel-Etikett mit, das die chemische Formel für Wasser frei Haus mitliefert. Mineralwasser ist zum Lifestyleprodukt geworden, es gibt entsprechende Connaisseure, und die gehobene Gastronomie hält neben der Wein- auch eine Wasserkarte vor. Wo käme man denn auch hin, wenn sich jeder Mensch Wasser leisten könnte? TPHHaushaltssperre Nordrhein-Westfalen ist klamm, so klamm, dass gewaltig gespart werden muss. Als Reaktion hat die Staatskanzlei eine Haushaltssperre mit ungewöhnlichen Folgen verhängt: Statt Kaffee und Sprudelflaschen gibt es jetzt nur noch Leitungswasser. Wie viel das tatsächlich spart, ist nicht bekannt, symbolische Kraft hat der Schritt aber auf jeden Fall. Natürlich sorgte die Aktion auch für Spott, gilt das Trinken von Leitungswasser doch als das ultimative Symbol von Sparsamkeit. Prompt lieferte die Landes-CDU schadenfroh über hundert Sprudelflaschen an die Staatskanzlei. Dabei ist das Sparen an dieser Stelle durchaus sinnvoll. So fand die Stiftung Warentest im Juli 2014 in zehn von 30 getesteten Mineralwässern Verunreinigungen. Leitungswasser wird dagegen von Experten in der Regel als ziemlich unbedenklich eingestuft. Auch der Sprecher der Düsseldorfer Stadtwerke erklärte, dass man das Leitungswasser in der Staatskanzlei ein Leben lang trinken könne. Insofern ist die Form der Verköstigung vielleicht ein Modell für die Zukunft. Benjamin KnödlerKKrieg Bislang kämpfen Staaten um Öl, Gas oder Diamanten. Doch das könnte sich bald ändern. Trinkwasser wird immer knapper, weil die Weltbevölkerung wächst und es durch den Klimawandel immer mehr Dürren und immer größere Wüsten gibt. Experten sehen bereits die Gefahr künftiger Kriege ums Wasser. Eine Studie im Auftrag der US-Regierung warnte im Jahr 2012, dass Wasserknappheit auch die Sicherheit der Vereinigten Staaten bedrohe. Schon heute streiten sich Länder um diese Ressource. Ägypten zum Beispiel hat Äthiopien aufgefordert, den Bau eines Staudamms abzusagen, damit der Nil genug Wasser für die ägyptische Landwirtschaft liefert. Ähnliche Konflikte gibt es auch zwischen Pakistan und Indien, der Türkei und dem Irak, sowie zwischen Israel und Palästina. Felix WerdermannMMusik Kaltes klares Wasser: Profaner und zugleich tiefgründiger als der avantgardistisch-tanzbare Malaria-Song von 1981 ist nie eine musikalische Hommage an das Wasser ausgefallen. Und deren gibt es viele – von den Aggregatzuständen als Eis und Schnee, Regen und Wolken, Urin und Schweiß einmal ganz abgesehen (November Rain, Trapped Under Ice, Schneeflöckchen, Weißröckchen, Heavy Metal Clouds, Pinkeln im Schnee, Sweat (A La La La La Long)). Händels Wassermusik (1743) und Smetanas Moldau (1874) zählen ebenso zu den Klassikern der hommage liquid wie Lass mich Dein Badewasser schlürfen (1934) von den Comedian Harmonists. Leider ist Smoke on the Water (Deep Purple, 1972) durch Karl-Theodor zu Guttenbergs Abschiedszapfenstreich unhörbar geworden. Da reicht wohl eine Bridge over Troubled Water (Simon & Garfunkel, 1970) nicht aus, um die Aufwühlung zu beruhigen. Ob das Volkslied hilft: „Das Wasser ist so hell und klar, gluck, gluck, gluck, gluck, gluck, man trank es schon vor tausend Jahr, gluck, gluck, gluck, gluck, gluck“? Oder Katatonia: Saw You Drown (1998)? Wahrscheinlich haben Neurosis Recht mit Water Is Not Enough (2007). Auf Nummer sicher geht, wer sein Liedgut selbst auf Leergut komponiert. Eine Flaschenorgel ist fix gebaut: Man füllt Flaschen mit verschiedenen Wasserständen, hängt sie an einen Ast oder Ähnliches und kann sie mit einem Löffel anschlagen. TPPPrivatisierung 2013 geschah durchaus Ungewöhnliches: Bürger verschiedener EU-Mitgliedsstaaten entwickelten ein europäisches Wir-Gefühl und taten sich zu einer staatenübergreifenden Bürgerinitiative zusammen. Mit gutem Grund, wehrten sie sich doch gegen etwas ethisch höchst Umstrittenes: die Privatisierung der Wasserversorgung. Die wäre durch eine EU-Verordnung möglich geworden. Am Ende beugte sich EU-Binnenmarktkommissar Barnier den Protesten – zumindest vorerst. Die Privatisierung von Trinkwasser und damit der Versuch, aus einem menschlichen Grundbedürfnis möglichst viel Kapital zu schlagen, ist andernorts jedoch leider schon der Fall gewesen und immer noch der Fall. Im Jahr 2000 wurde die Wasserversorgung im bolivianischen Cochabamba auf Betreiben des Internationalen Währungsfonds privatisiert. Die Investoren verdreifachten die Wasserpreise binnen kürzester Zeit. Die Bevölkerung reagierte mit einem Generalstreik und Protesten. Am Ende nahm die bolivianische Regierung die Privatisierung zurück. Diejenigen, die aus einer Privatisierung Kapital schlagen, sitzen jedoch woanders, zum Beispiel in der Schweiz. So macht Nestlé schon seit längerem Geschäfte mit Trinkwasser, indem der Konzern Dorfbewohnern in Pakistan etwa das Grundwasser abpumpt, um es anschließend teuer zu verkaufen. BKRRasen Die anhaltende Dürre in Kalifornien weckt den Erfindergeist. Da Wasser rationiert ist und zusätzliche Liter teuer werden können, ist das amerikanische Vorgarten-Idyll, die Urzelle des amerikanischen Traums, in Gefahr. Doch bevor man sich vor den Nachbarn die Blöße eines vertrockneten Vorgartens gibt, sprühen oder malen die Wüstenbewohner ihren Rasen einfach grün an. „Paint your lawn“ nennt sich der neue Boom – ein Mix aus Pragmatismus, Kleingeistigkeit und der Hoffnung, dass sich Verfall übermalen lässt. Warum auch eigentlich nicht. Die Welt ist voller potenzieller Sprühobjekte: Fassaden, Autos, die allzu blasse Ehefrau oder das ausgebleichte Fell des Golden Retrievers. Es gibt unbegrenzte Möglichkeiten. Florian BuchmayrSSchweres Wasser Wie viel wiegt ein Kilo Wasser? Kommt drauf an, ob schweres oder leichtes. Hä? Als schweres Wasser bezeichnet man Wasser, in dem die normalen Wasserstoffatome durch schwerere eines Wasserstoff-Isotops ersetzt wurden. Das macht es reaktionsärmer, weshalb es auch als Kühlmittel in Kernreaktoren eingesetzt wird. Dort nennt man normales Wasser übrigens Leichtwasser – um es vom schweren leichter auseinanderzuhalten. Hartes Wasser hingegen muss kein schweres sein. Die Härte bestimmt sich über den Kalkgehalt. Ist der gering, ist das Wasser weich und schont die Geräte, nervt aber beim Haarewaschen, weil das Shampoo nie rausgehen will. TPTToilette Über das stille Örtchen spricht man nicht – und wenn, dann macht man am besten Witze. Es gibt eine Welttoilettenorganisation, die den 19. November zum Welttoilettentag erklärt hat? Haha! Wie ernst das Thema ist, dürfte spätestens im vergangenen Jahr klar geworden sein, als die Vereinten Nationen ebenfalls den Welttoillettentag ausriefen. Mehr als zwei Milliarden Menschen müssen nach UN-Schätzung ohne Klo auskommen, also jede dritte bis vierte Person. Dieser Zustand macht krank und tötet. Hunderttausende Kinder sterben jedes Jahr an Durchfall, rund 90 Prozent von ihnen könnten durch sauberes Trinkwasser, sanitäre Anlagen und gute Hygiene gerettet werden. Muss die Welt jetzt mit Toilettenhäuschen zugepflastert werden? Vielleicht gehts ja auch ohne Wasser. Manche Kompostklo-Hersteller sehen in Entwicklungsländern einen großen Markt. FWWWasserflasche Metaphern können wunderbare Bilder hervorrufen – oder furchtbar nerven. Dachte ich vor zwei Jahren, als ich einen Beitrag der Journalistin und Politikwissenschaftlerin Christiane Florin in der Zeit las. Darin beschwerte sie sich über den unpolitischen Lebensstil ihrer Studierenden und charakterisierte sie mit dem Bild der Wasserflasche. „Ihr unterwerft euch einem 3-Liter-Wasser-am-Tag-Diktatürchen“, schrieb sie. In einer wütenden Replik verteidigte ich die bologna-gebeutelten Studierenden – und spann das Bild ihrer „Wasserflaschen-Diagnose“ weiter. Hätte ich geahnt, dass ich damit alles schlimmer machen würde! Am 1. September nun erscheint Florins Buch „Warum unsere Studenten so angepasst sind“, in dem sie auch auf meinen Text antwortet. „Ich hatte nicht genau genug auf den Grund des Plastikbodens geschaut“, räumt sie im Kapitel „Das Leben ist hart, das Wasserbett weich“ ein. Das Thema wird gnadenlos zu Ende gedacht. Ich sag mal zum Abschied leise „Ahoi“. Juliane LöfflerZZerstörung Auch wenn derzeit die Nachrichten über Wassermangel dominieren, ist der umgekehrte Fall häufig nicht weniger schlimm. Und so trägt der Mensch eine gewaltige Urangst vor Riesenwellen und Überflutungen mit sich herum. Die Sintflut ist in vielen Mythen eine die Menschheit bedrohende, göttliche Strafe. Gegen die Kraft der Wassermassen fühlt sich der Mensch machtlos. Diese tiefsitzende Angst wird verstärkt durch Naturkatastrophen, die Jahr für Jahr Menschenleben kosten. Man denke nur an die verheerenden Tsunamis in Südostasien oder Japan. Doch auch, wenn das Wasser nicht mit gewaltiger Kraft auf die Erde prallt, kann es zerstörerisch wirken, dann nämlich, wenn das Land einfach in den Fluten versinkt. In Deutschland verwüstete zunächst die Jahrhundertflut 2002 ganze Landstriche, bevor schon im Juni 2013 das nächste Hochwasser folgte. BK
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