A
Armer Poet Mit dem Ölgemälde „Der Arme Poet“ setzte Carl Spitzweg dem ärmlichen Mansardenzimmer und der brotlosen Kunst 1839 ein etwas kitschiges Denkmal. Ins arg enge Zimmer fällt links etwas Licht durch ein kleines Fenster. Sparren des Hausdachs sind rechts zu erkennen. An ihnen hängt ein Regenschirm, der die Schlafstatt des Dichters vor durchs Dach tropfender Feuchtigkeit beschützt. Den Bildrand begrenzt rechts eine schiefe Zimmertür. Ihr gegenüber befindet sich am linken Bildrand ein grüner Kachelofen, der selbstverständlich nicht beheizt ist. Es gibt drei Fassungen des Musen-Mansarde-Mahnmals, das wohl den Schriftsteller Mathias Etenhueber zeigt. Der hätte sich, litt er doch stets finanzielle Not, im heutigen München auf keinem Dachboden mehr seiner Kunst widmen können (➝ Dachbodensterben). So mag man Spitzwegs Schinken, er gilt als eines der beliebtesten Bilder der Deutschen, heute auch als Kommentar zur Gentrifizierung lesen – oder zur Wertschätzung der Kunst. Tobias Prüwer
B
Begriff Früher sagte man in Norddeutschland nur Boden. Auf den Boden gehen, hieß den Boden verlassen. Ab den siebziger Jahren fand eine Begriffswanderung statt. Von Österreich aus setzte sich bis an die Waterkant der Begriff Dachboden durch. Das ist merkwürdig, denn normalerweise entscheidet sich der Alltagsgebrauch für die kürzere Formulierung. Zumal der Sprachexport der Österreicher die direkte Nachbarregion aussparte. In Süddeutschland sagt man nach wie vor „Biehne“, also „Bühne“, zu Dachboden. Der Begriff findet sich im Kfz-Vokabular in der Hebebühne wieder, mit der man Autos vom Boden stemmt. Sind die Dinge auf der Bühne also Sachen, die man aus dem Alltag hebt, um sie sich irgendwann genauer anzusehen? Mark Stöhr
D
Dachbodensterben Der europäische Städtebau begünstigt es. Weil die modernen Mansardenwohnungen sich am besten als komplett ausgebaute Dachbodengeschosse vermarkten lassen, bleibt für den urbanen Mieter kein Raum mehr fürs Wäscheaufhängen, Gerümpelabstellen und Mumienstapeln. Auch die Möglichkeiten, skurrile ➝ Funde zu machen oder auf ➝ Gespenster zu stoßen, werden aufgrund der innenarchitektonischen Entwicklung immer seltener. Für manchen ist es schick, im aufgepimpten Dachboden seine Luxuszelte aufzuschlagen, andere bauen ihn eher aufgrund ökonomischer Zwänge aus, um neuen Wohnraum zu gewinnen. Schon fragen Heimwerker in Do-It-Yourself-Foren: „Habt ihr Ideen, wie ich die Kosten für den Dachbodenausbau deckeln kann?“ Als Faustformel meint sich ein ratgebender User an 1.300 Euro pro Quadratmeter zu erinnern. Man könne bei den Punkten Fenstereinbau und Dämmung sparen, erklären andere. Mit schmalem Geldbeutel bleibt die Freude des Wohnens ganz oben allerdings getrübt: Im Winter ist es kalt, im Sommer brütend heiß, und bei Regen nervt das Getrommel. Bei Minusgraden bleibt dank Zähneklappern eine schwache Erinnerung ans vertriebene Dachbodengespenst wach. TP
F
Funde „Dachbodenfund“ ist eine beliebte Bezeichnung in Kleinanzeigen. In den letzten Jahren machten einige solcher Funde Furore. In Ohio entdeckte ein Mann Baseball-Sammelkarten im Millionenwert auf dem Boden des Großvaters. Ein auf Husum gefundener Brief führte zwei Familien nach Jahrzehnten wieder zusammen. Nach 20 Jahren ging der Quellcode des Spieleklassikers „Prince of Persia“ an die Öffentlichkeit. Sein Entwickler fand die Disketten auf dem Dachboden wieder und stellte die Programmzeilen ins Netz. Die Literaturgemeinde streitet nach einem Gießener Dachbodenfund. Pünktlich zum Büchnerjahr 2013 wurde das angebliche Porträt Georg Büchners im Piraten-Kostüm präsentiert. TP
G
Gespenster Sie treiben ihr Unwesen bekanntlich am liebsten dann, wenn sie den Augen der Menschen nicht direkt ausgesetzt sind. In der Nähe sein müssen diese aber, denn Zeugen braucht ihr schauriges Tun schon. So zogen, als die Schlossbewohner seltener wurden, auch die Gespenster um. Bei Bürgers kamen sie gern unter – im Basement machte es sich der Kellergeist bequem. Die ein luftigeres Klima liebenden Gespenster richteten sich auf dem Dachboden ein. Dort traf Paula auf der Suche nach ihrem Teddy Das Gespenst auf dem Dachboden (Katja Königsberg). Nur das bekannteste literarische Dachbodenphantom lebt noch aristokratisch: Das kleine Gespenst. Es schläft tags auf Burg Eulenstein. Des Nachts macht es die Gegend unsicher. Als letztes Gespenst seiner Art ist es immerhin nicht so angestaubt wie andere Preußler-Geschichten. Im Gegensatz zur Kleinen Hexe muss man die Spukstory nicht wegen antiquierter und diskriminierender Sprache aufmöbeln. TP
K
Keller Ganz im Gegensatz zum Dachboden ist es dort kühl und eher feucht, die Temperatur ist gleichmäßiger als in einem oberirdischen Raum. Neben Wein und Bier wurde bis zur Erfindung von Kältemaschinen Ende des 19. Jahrhunderts auch oft Eis im Keller gelagert, diese Methode, die etwa zur Konservierung von Lebensmitteln oder zur Herstellung von Speiseeis diente, blieb aufgrund hoher Kosten großen Betrieben und wohlhabenden Privatpersonen vorbehalten. Unterirdische Gewölbe zur Bestattung von Toten gab es schon im antiken Rom, „eine Leiche im Keller haben“ rührt aber von einem anderen schaurigen Brauch. Starb ein ungetauftes Kind katholischer Eltern, durfte es nicht auf dem Friedhof beigesetzt werden. Allein der Keller des Elternhauses galt als adäquater Bestattungsort für den armen Tropf. Sophia Hoffmann
M
Mansarde Unter dem „gebrochenen Dach“, wie das Mansardendach wegen seiner charakteristischen Form genannt wurde, lebten früher die „gebrochenen“ Gestalten. Arbeiter, Studenten und Künstler. In herrschaftlichen Häusern auch die Dienerschaft. In der Weimarer Republik gab es sogar den passenden Kaffee dazu, den „Mansardenkaffee“ – ein Kaffee, der keiner war, Muckefuck. Zugeschrieben wird das ausgebaute Dach Jules Hardouin-Mansart. Er war eine Zeit lang Chefarchitekt von Ludwig XIV. Er machte das Mansardendach in Paris populär, erfunden hat es aber Pierre Lescot, der Architekt des Louvre. Er entdeckte die Konstruktion im 16. Jahrhundert als raumsparende Idee. Mit der Proletarisierung der Städte 300 Jahre später kam sie richtig zum Tragen. Die Menschen wurden bis unter das Dach gestapelt. Leider buchstäblich. MS
Mumie Bisher musste man Herbert Thiel heißen, einen Mordermittler zum Sohn haben und in Münster wohnen, um Mumien auf Dachböden finden zu dürfen. Dann schaute aber ein Zahnarzt aus Diepholz mal genauer hin, was seine Mutter so unter dem Gebälk eingelagert hatte, und siehe da: Ein einbalsamierter, eingewickelter Jüngling war auch darunter. Seitdem hyperventilieren die Boulevard-Journalisten und schreien abwechselnd „Sensation“ und „Fälschung“. Denn die Knochen sind echt, nur das Verbandsmaterial ist blöderweise mit der Maschine gewebt. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass der Mumienjunge tatsächlich 2000 Jahre alt ist und nur zwischendurch mal seine Klamotten gewechselt hat. Alle anderen fragen sich: Haben die in Diepholz wirklich einen Gerichtsmediziner, der sich mit Mumien auskennt? Und wo ist eigentlich Boerne? Martin Schlak
Ö
Ökosystem Die meisten Kulturfolger unterm Dach sind nicht das Problem. Fledermäuse zum Beispiel. Sie machen nichts kaputt, sind leise und hinterlassen geruchlosen Kot, den man einfach wegfegen kann. Auch Hornissen und Wespen sind friedlicher als ihr Ruf, man muss sie nur in Ruhe lassen. Dörfer und Städte sind längst zu Naturräumen mit einem eigenen Ökosystem geworden. Der Schlüsselbegriff im menschlichen Gesellschaftsvertrag mit den Wildtieren sollte Toleranz lauten. Mit der ist es bei Mäusen und Ratten auf dem Boden aber meist schon wieder vorbei. Sie zerren an den Nerven und an der Dämmung. Und gehen in der Regel nur, wenn der Kammerjäger kommt. Der ungebetenste unter den ungebetenen Gästen ist aber der Marder. Er schläft tagsüber, damit er nachts richtig rumpoltern kann. Er gräbt sich durch die Dachisolierung und hinterlässt extrem übelriechende Exkremente und Aasreste. Ein Mittel zu seiner Vertreibung ist die Vergrämung. Man muss ihn nerven. Mit lauter Radiomusik am Tag oder mit Ultraschall. MS
P
Pink Floyd Lesen Sie diesen Text nicht! Hören Sie zunächst den Song „Another brick in the wall“ der britischen Rockband Pink Floyd. Fällt Ihnen etwas auf? Dann hören Sie sich den Song ein zweites Mal an. Im Refrain singt der Kinderchor plötzlich in deutscher Sprache: „Hol ihn, hol ihn unters Dach!“ Das glauben Sie nicht? Der Effekt ist beeindruckend – zumal sich das Lied ohne das Wissen um die Geheimbotschaft ganz normal anhört. Angeblich soll diese Zeile ein Menschenleben gekostet haben. Laut der Legende wurde die Platte von einem deutschen Tontechniker gemischt, der als Kind oft auf dem Dachboden eingesperrt war und sich nach der Plattenaufnahme erhängte. Alles Quatsch? Andere Legenden sind leider genauso gruselig. Felix Werdermann
S
Spitzel Im Spielfilm Das Leben der Anderen verkörpert Ulrich Mühe den sozial verarmten, skrupellosen Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler. Im Zuge seines Auftrags der Überwachung des Theatermanns Georg Dreyman lässt er auf dessen Dachboden eine Abhörstation einrichten. Dort wird die Wohnung des Künstlers rund um die Uhr abgehört, jedes noch so intime Detail protokollarisch festgehalten. Der Spion auf dem Dachboden war bei der Staatssicherheit durchaus üblich, er versinnbildlicht, wie nah die Spitzel ihren Opfern oft waren, ohne dass diese es ahnten. Im Film erfährt Dreyman erst nach dem Mauerfall davon, stellt Nachforschungen an und schreibt ein Buch darüber, von einer direkten Konfrontation mit Wiesler sieht er aber ab. SH
Z
Zweitnutzung Früher wurden Dachböden meist als Lagerräume genutzt. Sie waren meist warm und trocken und eignete sich hervorragend zur Aufbewahrung von schimmelgefährdeten Waren: Tabak oder Getreide. Auch Ratten und Mäuse fühlten sich schon immer wohl auf Dachböden, Eulen und Fledermäuse fanden hier Lebensraum. Hühner und Kaninchen für den Eigengebrauch wurden einst dort gehalten, und manchmal dienten die stickigen Räume auch als karge Unterkunft für Hausangestellte. Während der NS-Zeit suchten Verfolgte dort Zuflucht. Nicht ausgebaute Dachböden dienen heutzutage oft als Wäschespeicher, vereinzelt auch als Aufenthaltsraum. Ich verbrachte viele Nachmittage und Abende meiner Teenagerzeit auf so einem mit Bravo-Starschnitten dekorierten Partydachboden, wo wir ungestört Computerspiele zocken konnten und Haschisch rauchten. SH
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