Mobilität Was ist das Chaos in Mainz gegen stundenlange Staus auf der Autobahn, die Pannen bei Großprojekten oder sinnlose Umwege, weil das Navi spinnt? Unser Lexikon der Woche
Ampel Bei Rot stehen, bei Grün gehen, das weiß jedes Kind. Doch Ampeln gibt es noch gar nicht so lange. In kleineren Großstädten wie Braunschweig oder Gelsenkirchen tauchten die ersten „Lichtsignalanlagen“ erst in den fünfziger Jahren auf. Die erste deutsche Ampel wurde 1922 am Stephansplatz in Hamburg installiert. Um Fußgänger davon abzuhalten, bei Rot über die Straße zu gehen, wird gerade vielerorts mit Countdown-Anzeigen experimentiert. Das soll die Zahl der Verstöße um ein Drittel senken. Das Problem: Eine Nachrüstung kostet pro Anlage rund 20.000 Euro. Damit wäre der Spareffekt durch die LED-Technik, die mehr und mehr verwendet wird – etwa 1.000 Euro pro Ampel und Jahr –, mehr als verpufft. Diese
pel und Jahr –, mehr als verpufft. Diese LED-Ampeln haben übrigens auch ein Problem: Auf ihnen schmilzt der Schnee nicht. Mark StöhrBBahnhof De Panne ist als Bahnhof die westlichste Station Belgiens und Endpunkt der Kusttram, die alle flämischen Küstenorte miteinander verbindet. Trotz des Unheil andeutenden Namens sind negative Verwicklungen von diesem Knotenpunkt nicht bekannt.Um Verkehrschaosprojekte größeren Stils aufzuspüren, muss man sich östlicher orientieren. Es gibt sie zu Land, zu Luft und unter Tage: eine neue deutsche Spezialität. Um Stuttgart 21 wird nicht mehr existenziell gerungen. Man streitet nur noch darum, wie hoch der Verzug in der Fertigstellung ausfallen wird. 2022 statt des einst angepeilten Jahreswechsels 2019/20 oder doch 2024? Einig ist man sich über eine Kostenexplosion um mehrere Milliarden. Die Mängelliste für den Flughafen Berlin Brandenburg wächst täglich. Immerhin steht mit dem Citytunnel Leipzig die Fertigstellung der kürzesten U-Bahn der Welt vor der Zielfahrt. Die Röhre, deren Kosten sich auf 960 Millionen Euro verdoppelten, verläuft unter der Innenstadt und hätte ursprünglich 2009 in Betrieb gehen sollen. Diesen Dezember ist es endlich so weit. TPCCar-Sharing Wer freut sich nicht, wenn er im Stau stecken bleibt und sich eine vierstündige Fahrt mal eben verdoppelt? Neben „Baustellen“ und „Unfälle“ ist der nahe liegendste Grund: der hohe Pkw-Bestand in Deutschland. Aber es gibt ja inzwischen Carsharing, und das System der organisierten gemeinschaftlichen Nutzung eines Automobils findet immer mehr Fans. Offenbar ist ein Auto nicht mehr so statussymbolbehaftet, dass man es besitzen muss: Mittlerweile nutzen über 453.000 Autofahrer Carsharing. In über 343 Städten gibt es stationsbasierte Angebote. Und weil die meist kleinen Autos auch kleinere Motoren haben, kommt es zu einem wesentlich geringeren Schadstoffausstoß. Zwar ist die Anzahl von rund 12.000 Carsharing-Autos im Vergleich mit den gut 43 Millionen Autos auf deutschen Straßen verschwindend gering. Doch rechnet man noch Fahrgemeinschaften wie mitfahrgelegenheit.de, mitfahrzentrale.de, bessermitfahren.de oder deinbus.de dazu, zeigt sich deutlich: Wir streben eindeutig Richtung effektivere Mobilität. Baran KorkmazFFreie Fahrt Ölschock – man kann nur erahnen, was dieser Begriff 1973 in der deutschen Autofahrerseele anrichtete. Die Araber drehten den Mobilisten einfach den Saft ab. Ein Frontalangriff auf die Freiheit! Als die Politik dann ab November einige autofreie Sonntage verhängte, um Sprit zu sparen, platzte den Bleifußlobbyisten vom ADAC der Kragen. Sie riefen 1974 eine Aufkleberaktion mit dem Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“ ins Leben. Aber die kam nicht mal bei allen Autofahrern gut an. Zur Erinnerung: 1972 gab es in Deutschland mehr als 20.000 Verkehrstote. 2012 waren es 3.600. Dieser Rückgang ist auch eines der Hauptargumente der Tempolimitgegner, die teilweise noch immer mit der Stammtischparole des ADAC – es gibt sogar eine gleichnamige Facebookgruppe – Stimmung machen. Die deutschen Autobahnen seien die sichersten der Welt, heißt es. Perfekte Rennstrecken für Raser. MSHHelmpflicht Bei der Debatte um die Helmpflicht geht es nicht nur darum, ob der Kopfschutz den Fahrer entstellt. Im Juli sah das ARD-Magazin Kontraste eine böse Fahrradlobby am Werk: „umstrittener Freiheitswahn.“ Dass nicht alles für die Helmpflicht spricht, erwähnten die Journalisten nicht. So könnte diese unangenehme Folgen für den allgemeinen Straßenverkehr haben, sagen Kritiker. Autofahrer würden sich robuster gegenüber Fahrradfahrern verhalten, weil diese ja geschützt seien. In Australien reduzierte sich nach der Verpflichtung der Radverkehr massiv. Jüngst veröffentlichten britische Mediziner im Journal of Medical Ethics einen Artikel, der die schützende Wirkung generell anzweifelt. Nach Auswertung mehrerer Studien aus Ländern mit Helmzwang folgerten sie, dass sich eine Verbindung zwischen Helmtragen und Verletzungsvermeidung nicht ableiten lässt. TPKKreisverkehr Sie sind die Showtreppen des Straßenverkehrs: Kreisverkehre gehören unter die Top Ten der menschlichen Erfindungen. Dank ihnen gibt es weniger Unfälle und Staus.Dass der Kreisverkehr jedoch mit Beginn der Massenmotorisierung keinen uneingeschränkten Siegeszug hingelegt hat, hat vor allem einen Grund: die Rechtsregel. Sie besagt, dass nicht der Fahrer im Kreisel Vorfahrt hat – wie heute fast überall üblich –, sondern der Einbieger. Das machte den ganzen Flow kaputt. Der erste Kreisverkehr entstand 1904 in New York, Europa zog 1907 mit einem Verkehrskarussell rund um den Pariser Arc de Triomphe nach. Frankreich ist bis heute Weltmarktführer. Über 25.000 ronds points gibt es dort, das ist die Hälfte aller Kreisverkehre überhaupt. Die Rechtsregel gilt heute übrigens nur noch beim Arc de Triomphe. MSNNavi So sehr es auch verspottet wird – inzwischen haben die meisten Menschen ein mobiles Navigationssystem in ihrem Fahrzeug. Autos fallen in Flüsse, weil die angegebenen Brücken noch gar nicht gebaut sind. Menschen stehen plötzlich im Wald oder werden gar zu Geisterfahrern. Vor einigen Wochen blieb ein Autotransporter im Allgäu unter einer Brücke hängen, Gesamtschaden: 70.000 Euro. Wer blind seinem Navi vertraut, ist selbst schuld. Das liegt nicht am Gerät, sondern an mangelhafter Medienkompetenz. Aufgrund dieser, so die Experten, kommt dem Navi-Gebrauch auch eine Mitschuld an Unfällen zu. Im Jahr 2012 waren ein Drittel der Verkehrstoten, also rund 1.200, durch aggressives Fahren zu beklagen. Vor allem auf Autobahnen habe es zugenommen: Fahrer lassen sich von ihrem Navi zu riskantem bis lebensmüdem Verhalten verleiten: Wenn durch aktuelle Verkehrsbehinderungen die berechnete Routenzeit nicht einhaltbar ist, geben manche Gummi, weil sie die „verlorene“ Zeit einholen müssen. TPPParken Beim Streifen durch die Stadt kann einen leicht das Gefühl beschleichen, dass es ein Menschenrecht aufs Parken gibt. Zumindest scheinen das viele Autofahrer zu denken, besieht man sich zugeparkte Fußwege und Durchlässe, die Rollstühlen und Kinderwägen das Weiterkommen versperren. Und das beliebte Abstellen auf dem Radweg nimmt den Fahrradfahrern ihre ➝ freie Fahrt. Hat die Idee der autogerechten Stadt nicht langsam ausgedient? Im Gegenteil, man hält an seinem gefühlten Recht fest. Vermehrt werden Stimmen laut, Parklücken und Parkhausplätze den gigantischer werdenden Autos anzupassen: Ist der SUV zu ausladend, ist eben die Markierung falsch. Schrammt der Van die Wand entlang, gehören die Architekten verklagt. Man kann nur für die Zukunft hoffen: Die jüngeren Deutschen verzichten zunehmend auf den Autokauf und Parkplatzsuche. TPRRaumphilosophie Keine Ampel, kein Schilderwald, kein Kreisverkehr: Shared Space wartet mit einer besonderen Raumphilosophie auf, die Chaos und Risiko entgegenwirken soll. Im gemeinsam genutzten Verkehrsraum sind Auto- und Radfahrer, Fußgänger und spielende Kinder gleichrangige Verkehrsteilnehmer. Ideengeber Hans Monderman verglich das mit dem Eislaufen, wo die Leute auch fahren, wie sie wollen, ohne ständig Crashs zu verursachen. Wer dieses Prinzip Rücksichtnehmen zur Utopie erklärt, irrt. Seit 2008 macht man damit im niedersächsischen Bohmte gute Erfahrungen. Als „Begegnungszonen“ werden solche Räume in der Schweiz eingeführt. Shared Spaces ist ein weltweites Experiment. TPSStau Deutschland gehört mit rund 43 Millionen Pkws weltweit zur Spitzengruppe beim Autobestand. Insgesamt gab es im Jahr 2012 eine Staulänge von 595.000 Kilometern bei 285.000 Autobahnstaus. Dauer: 230.000 Stunden. Was kann man dagegen tun? Staus einfach umfahren? Dies kann die Fahrt erheblich verlängern. Oder man wählt kurz vor dem Stau eine andere Route – und staut sich wie viele andere solcher Schlauberger einfach an anderer Stelle. Letztlich ist bei hohem Verkehrsaufkommen der Exit aussichtslos. Man bräuchte astronomisch hohe Kraftstoffpreise, um die Straßen effektiv leerzufegen! Abschließend noch eine erwartbare, aber unverzichtbare Statistik: Der stauaffinste Tag? Der Freitag. BKVVerkehrsberuhigte Zone Sie war der Traum eines jeden Fahrschülers: die Spielstraße. Im Beamtendeutsch auch „Verkehrsberuhigte Zone“ genannt. Hier konnte man vom Gas runtergehen und musste nur lenken. Man tuckerte mit fünf km/h zum Schutz der Anwohner langsam durch das Wohngebiet. Die Anwohner selbst fanden das oft gar nicht so lustig. Hinter dem Fahrschulauto bildete sich eine wahre Blechlawine von eiligen Autofahrern. Und die mühsam bewahrte Ruhe wurde meist von der nächsten Hupe zerrissen. Doch man selbst wog sich in Sicherheit, denn der immer telefonierende Beifahrer versicherte einem, man würde sich an Recht und Gesetz halten. Und der Fahrlehrer musste es schließlich wissen. Spätestens beim Parken aber riss der Geduldsfaden der Wartenden. Dann folgte das große Gedränge in der kleinen Spielstraße. Benjamin ZimmermannZZugunglück So richtig geheuer ist einem Bahnfahren ja nicht mehr, seit man in der vergangenen Zeit von den Zugunfällen hört. Erst im Juli der Unfall in der Nähe von Paris und einen Monat später der in Spanien. Die Deutsche Bahn hat da jetzt vorgesorgt. In Mainz kann man gar nicht mehr mit dem Zug fahren. Auch eine interessante Lösung. Mit dem aktuellen Personalmangel musste man eben den Fahrplan in Mainz ein bisschen anpassen. So richtig glücklich sind die Mainzer mit dieser Lösung wohl kaum. Allerdings könnte so ein Desaster wie in Mainz überall in Deutschland passieren: Urlaub braucht schließlich jeder mal. bez
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