FREITAG: Der Präsidentschaftsbewerber John McCain will 45 Atomkraftwerke bis 2030 bauen lassen, um die Abhängigkeit der USA von ausländischem Öl zu verringern. Muss man in Zeiten der Energiekrise noch einmal neu über die Atomkraft nachdenken?
LUTZ MEZ: Die Republikaner sind offenbar nicht besonders gut darüber informiert, was man mit Strom aus Kernkraftwerken machen kann - beziehungsweise nicht machen kann. Wie will man mit Atomstrom jenes Öl ersetzen, das heute im Transportbereich oder in der Industrie, für die Herstellung von Plastikerzeugnisse und Düngemitteln etwa, Verwendung findet?
Man könnte immerhin Häuser, Fabriken und Städte mit Strom versorgen.
Wie begrenzt die Möglichkeiten der Stromgewinnung aus Kernkraft sind, sieht man in Frankreich, das ja weltweit der nukleare Vorreiter ist. Obwohl dort der Anteil des Atomstroms 78 Prozent der Stromerzeugung beträgt, werden nur 18 Prozent der verbrauchten Endenergie durch diese Technik abgedeckt, also der Energie, die dem Verbraucher nach Abzug von Transport- und Umwandlungsverlusten tatsächlich zur Verfügung steht. Weltweit beträgt der Atomstromanteil sogar nur 2,5 Prozent der Endenergie.
Das soll sich mit neuen Meilern ja ändern.
Dass in etlichen Ländern Politiker jetzt eine Renaissance der Atomkraft ankündigen, ist das eine. Was wirklich gebaut wird, eine völlig andere Sache. Derzeit gibt es weltweit 34 Bauprojekte, an zwölf davon wird schon seit über 20 Jahren gearbeitet. Wirklich neu sind nur sechs Projekte in China, sechs in Indien und zwei in Europa. Aber auch die sind noch lange nicht am Netz. Von 1989 bis 2007 ist die Zahl der Reaktoren weltweit um gerade einmal 16 gestiegen, weltweit gibt es heute 439 Atomkraftwerke - fünf weniger als 2002. Im Jahr 2007 erlitt die Stromproduktion aus Atommeilern dann aufgrund zahlreicher technischer Probleme einen Rekordeinbruch von zwei Prozent.
Die Internationale Energieagentur IEA fordert, jährlich 32 neue Kernkraftwerke zu bauen. Der Beifall für solche Forderungen kommt auch grün daher, Atomstrom gilt als "ungeliebter Klimaschützer".
Die Atomkraft ist kein "Klima-Saubermann", und dass wir uns vor dem Klimawandel mit Atomkraftwerken schützen können, ist eine Illusion. Die durchschnittliche Lead-Time, also der Zeitraum von der Planung bis zur kommerziellen Inbetriebnahme, beträgt bis zu 17 Jahre. Wer jetzt plant, ein Atomkraftwerk zu bauen, ist damit nicht vor dem Jahr 2025 fertig. Der Strom fließt also - wenn überhaupt - erst danach ins Netz. Außerdem fehlt es überall an ausgebildeten Fachkräften und Herstellungskapazitäten. Dem Weltklimarat IPCC zufolge muss das Wachstum der CO2-Emission aber innerhalb der nächsten 15 Jahre weltweit gestoppt werden, damit der Temperaturanstieg wenigstens verlangsamt wird. Das heißt, die Kerntechnik käme viel zu spät, selbst wenn sie ausgebaut werden könnte.
Wird sie aber nicht?
Schauen Sie nach Deutschland, wo die Kernenergie ja auch in der Politik etliche Freunde hat. Eine große Mehrheit in der Bevölkerung will aber keine Kernkraft; es gibt das Gesetz zum Atomausstieg, das revidiert werden müsste. Die Genehmigungsverfahren dauern Jahre, die Kosten bei Bauprojekten explodieren regelmäßig. Außerdem fehlt Platz. In Japan, wo man die Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll zur Verringerung der Treibhaus-Emissionen mit dem Bau von 20 Atomreaktoren erfüllen wollte, fanden sich gar nicht genügend Standorte - deshalb wurden nur fünf Projekte in Angriff genommen -, eins ist noch im Bau. Mal ganz abgesehen davon, dass mit der Kernenergie enorme Risiken einhergehen, sowohl beim Betrieb als auch bei der Lagerung der Abfälle. Zudem gibt es eine Reihe von Ländern, die Atomkraft nicht nur wegen der Stromerzeugung betreiben, sondern die auch ein militärisches Interesse an dieser Technologie haben.
Die Risiken der Atomenergie sind das eine, die durch den Klimawandel ausgelösten das andere. Ist eine Abwägung denkbar: Um das "ganz Schlimme" zu verhindern, muss man das "ein bisschen weniger Schlimme" hinnehmen?
Ganz bestimmt nicht. Atomstrom ist nicht sauber, wie immer behauptet wird. Meist wird unterschlagen, dass die Konzentration von Krypton 85 - es wird massiv bei der Wiederaufarbeitung freigesetzt - in der Atmosphäre wegen der Atomkraft stark angestiegen ist - mit bislang noch unübersehbaren Folgen für das Klima. Ein "radioaktiver Treibhauseffekt" ist durchaus möglich. Beim Kohlendioxid sieht es ähnlich aus - je nach dem, wo das Uran gewonnen und angereichert wird, und wie die Stromerzeugung abläuft. Geschieht dies zum Beispiel in Südafrika, ist die Kilowattstunde unter dem Strich mit 126 Gramm CO2 belastet. Für Deutschland liegt die Belastung - bei einem angenommenen Uran-Import-Mix - immer noch bei 32 Gramm pro Kilowattstunde. Das ist zwar deutlich weniger als bei der Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen. Ein modernes Gaskraftwerk mit Kraft-Wärme-Koppelung liegt bei ungefähr 150 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Diesen Wert erreicht das Uran aber innerhalb der nächsten 20, 30 Jahre auch. Die Vorräte schwinden nämlich, die Gewinnung wird teurer und ist dann auch mit mehr Emissionen verbunden.
Wie lange steht Uran noch zur Verfügung?
Bliebe es bei den aktuell 439 Atomkraftwerken, würden die bekannten, wirtschaftlich abbaubaren Uranreserven noch etwa 70 Jahre reichen. Steigt die Anzahl, wie jetzt überall gefordert wird, nimmt die Reichweite natürlich ab. Würde man dem Plan der IEA folgen, jährlich 32 neue Atomkraftwerke zu bauen, wäre schon nach 17 Jahren kein Uran mehr für die Stromerzeugung verfügbar. Weil die neuen Kraftwerke dann noch nicht abgeschrieben sind, lohnt sich das nicht einmal mehr für die Betreiber, die neben den Baukonzernen und Anlagenherstellern diejenigen sind, die Kasse machen. Die Rendite ist bei Atomstrom sehr hoch - sie kann bis zu 25 Prozent steigen. Bei erneuerbarerer Energie rechnet man nur mit zehn Prozent. An denen führt aber kein Weg vorbei, wenn man das Klima retten will.
Das Zauberwort Geo-Engineering macht die Runde. Gibt es eine Rettungs-Technologie für die Menschheit, die uns erlaubt, weiterzumachen wie bisher?
Das ist derselbe Aberglaube in das Allheilmittel Technik, dem auch die Atomenergie-Befürworter anhängen. Die wollen, teils weil sie daran verdienen, teils aus ideologischen Gründen, nicht darüber nachdenken, was sich gesellschaftlich gravierend ändern müsste, bei Produktion, Verteilung, Konsum usw. Stattdessen wird ernsthaft vorgeschlagen, die Atmosphäre mit Schwefelsulfat zu impfen, um den Treibhauseffekt in den Griff zu bekommen. Aber es ist doch so: In der Technik lernt man in der Regel durch Fehler. Und es gibt Techniken, in denen man sich keine Fehler erlauben darf. Wir sind bei der Atomtechnik schon oft an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Davon kann man aber nicht ableiten, dass das immer so sein wird.
Das Gespräch führte Tom Strohschneider
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