Achtung, Rentenfresser

Lobbyismus Der US-Konzern Blackrock will Europas Pensionen privatisieren. Die EU-Kommission macht sich zur willigen Helferin
Ausgabe 26/2018

Wenn Larry Fink spricht, dann hört die Finanzwelt aufmerksam zu. Fink ist Gründer und Chef des Geldkonzerns Blackrock, der 6.300 Milliarden Dollar Anlagekapital verwaltet, so viel wie kein anderes Unternehmen in der Welt. Mit diesem Geld seiner Kunden ist der Finanzriese an 17.000 Unternehmen weltweit beteiligt und Großaktionär bei allen Großkonzernen in Europa und den USA. Wer mit dieser Macht im Rücken Forderungen stellt und Programme ankündigt, der verheißt neue Geschäfte.

So war es auch im Januar 2017. Fink sprach zum Start des Geschäftsjahrs im voll besetzten Saal der Deutschen Börse in Eschborn bei Frankfurt, seine Botschaft kam gut an. In Europa und „ganz besonders in Deutschland“ seien die Bürger bei ihrer Altersvorsorge „übermäßig abhängig von den staatlichen Renten“, mahnte da der mächtigste Mann der Wall Street. Die staatlichen Renten könnten allerdings „nicht mehr das Einkommen bieten, das sie für ihr längeres Leben benötigen“, gleichzeitig sei die private Altersvorsorge „unterentwickelt“. Die Regierungen müssten daher in „Zusammenarbeit mit den Unternehmen eine langfristige, ganzheitliche Strategie“ verfolgen, forderte Fink.

Deshalb sei es nötig, die Arbeitnehmer zum Sparen und Investieren am Aktienmarkt zu motivieren, um sie an den Kapitalgewinnen zu beteiligen. Eine gesetzliche Garantie auf das angesparte Kapital wie in Deutschland sei da aber hinderlich. Besser sei es, diese Garantie auf einen kleinen Anteil zu beschränken, und das europaweit. „Den europäischen Sparern fehlen zuverlässige Daten und die Anleitung, wie man investiert und für die Zukunft plant“, mahnte Fink. Das müsse sich ändern.

Das klang wie die übliche Angst-Werbung vor der Überalterung, mit der die Finanzindustrie seit Langem die Sparer zum Kauf ihrer privaten Rentenpläne drängt. Doch Fink beabsichtigte mehr. Er propagierte die politische Absicherung dieser Strategie für die gesamte EU – und die bekam er auch.

Nur ein halbes Jahr nach Finks Appell in Frankfurt präsentierte in Brüssel Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission und zuständig für die Regulierung der Finanzmärkte, einen Gesetzentwurf für ein „europaweites privates Altersvorsorgeprodukt“, in der englischen Abkürzung „PEPP“ genannt (Pan-European Personal Pension). Kapitalgarantien sind darin nicht vorgesehen, sondern lediglich ein „Qualitätssiegel“, mit dem die Finanzkonzerne in allen EU-Staaten gleichzeitig ihre Fonds als Altersvorsorge vermarkten können. Also genau das, was Fink gefordert hatte – und das mit den gleichen Argumenten. Europa stehe vor einer „nie da gewesenen demografischen Herausforderung“, sagte Dombrovskis. Die daraus resultierende „Rentenlücke“ werde „den Druck auf die öffentlichen Finanzen“ enorm steigern, dagegen gelte es eine private Rentenvorsorge auf europäischem Niveau zu schaffen.

Investigate Europe

Investigativ Der Artikel über Blackrocks Rentenpläne ist Teil einer breit angelegten Recherche von Investigate Europe zum Einfluss des Geldkonzerns, die in verschiedenen europäischen Tages- und Wochenzeitungen erscheint. Investigate Europe ist ein paneuropäisches Pilotprojekt: ein Team mit neun Journalisten aus acht europäischen Ländern, das europaweit relevante Themen recherchiert, gemeinsam Thesen erarbeitet und alle Ergebnisse teilt. Unterstützt wird das Projekt durch die Hans-Böckler-Stiftung, die Stiftung Fritt Ord, die Stiftung Hübner & Kennedy, die Rudolf-Augstein-Stiftung, die GLS Treuhand und die Open Society Initiative for Europe. Mehr Infos unter: www.investigate-europe.eu

Dass dieser Gleichklang kein Zufall ist, belegen die Recherchen von Investigate Europe. Der weltgrößte Vermögensverwalter hat eine enorme Lobbymacht aufgebaut, um Europas Sparer für seine Fondsverwaltung zu gewinnen. Erste Erfolge des Wirkens von Fink und seinem Manager zeigten sich in Großbritannien. Dort startete im Jahr 2014 der damalige Finanzminister George Osborne, ein Konservativer, der unter David Cameron und dann Theresa May zwischen 2010 und 2016 den Schatzkanzler gab, ganz überraschend eine „Renten-Revolution“, wie er es nannte. Die befreite alle Sparer in staatlichen und betrieblichen Pensionsfonds von der Auflage, ihre Rente in jährlichen Raten zu beziehen. Stattdessen dürfen sie sich seitdem die gesamte angesparte Summe auszahlen lassen und selbst anlegen. Das habe im Vereinigten Königreich Altersersparnisse im Wert von 25 Milliarden Dollar „in Bewegung gesetzt“, triumphierte der langjährige Fink-Partner und Blackrock-Präsident Robert Kapito bei einer anschließenden Telefonkonferenz. Gleichzeitig verschaffte Osborne der Branche auch noch eine Steuererleichterung von jährlich rund 200 Millionen Euro.

Für diesen Erfolg pflegte die britische Konzernfiliale enge Beziehungen zu den Verantwortlichen. Während seiner Amtszeit traf sich Osborne mindestens fünf Mal mit Blackrock-Vertretern und ließ sich vom Konzern einen Vortrag mit umgerechnet 40.000 Euro honorieren. Sein Stabschef Rupert Harrison übernahm nach der Reform im April 2015 den Posten eines „Strategiemanagers“ bei der britischen Blackrock-Tochter, wo er „wegen seiner Erfahrung bei der Gesetzgebung zur kürzlichen Rentenreform besonders gut geeignet ist, unsere Renten-Vorschläge zu entwickeln“, wie der Konzern offiziell mitteilte.

Vier Arbeitstage, 750.000 Euro

Osborne selbst heuerte dann im Februar 2017 – kaum hatte er sein Ministeramt aufgegeben – ebenso bei Blackrock an und wurde Großbritanniens bestverdienender Lobbyist. Der Konzern zahlt ihm umgerechnet 750.000 Euro jährlich für vier Arbeitstage pro Monat, an denen er „Einblicke und Kenntnisse zur Europa-Politik beiträgt“, wie es in einer Mitteilung von Blackrock heißt.

Dabei war Osborne für Blackrocks Interessen wohl auch schon als Finanzminister nützlich, als er gemeinsam mit dem damaligen britischen Finanzmarkt-Kommissar Jonathan Hill Einfluss in Brüssel nehmen konnte. Blackrock hatte bereits 2015 einen umfangreichen Plan für „grenzüberschreitende Rentenprodukte“ präsentiert. Dem ließ die Kommission nur ein Jahr später einen „Aktionsplan“ mit genau diesem Ziel folgen.

Parallel dazu verzehnfachte der Geldriese seit 2011 die Ausgaben für EU-Lobbying von 150.000 auf 1,5 Millionen Euro pro Jahr. Seitdem erscheinen Blackrock-Lobbyisten auch vielfach auf den Terminlisten von EU-Kommissar und Vizepräsident Valdis Dombrovskis und seinen leitenden Beamten. Allein im Jahr 2017 traf sich der Kommissar zweimal mit Konzernvertretern. Auch Kabinettschef Jan Ceyssens und der zuständige Generaldirektor Olivier Guersent hatten Rendezvous mit Blackrock-Beratern.

Anders als die Rhetorik von Konzernchef Fink und Kommissar Dombrovskis suggeriert, bietet der PEPP-Vorschlag für das „europäische Altersvorsorgeprodukt“ denn auch keine Lösung für Europas demografisches Problem, sondern nur für die Expansionspläne von Blackrock. Denn gerade jene Arbeitnehmer, denen wegen der Kürzungen in den staatlichen Umlagesystemen Altersarmut droht, verfügen in der Regel nicht über genug Einkommen, um solche Fondsanteile zu kaufen. Für sie wären vielmehr Reformen nach dem Vorbild der Schweiz oder Österreichs sinnvoll. Dort sind anders als in Deutschland alle Einkommen beitragspflichtig, auch jene von Selbstständigen und Führungskräften. Darum können die Rentenkassen dort auch bei niedrigen Geburtenraten auskömmliche Renten zahlen. Die Einnahmen wachsen mit der Wirtschaftsleistung. „Im Kern steht bei dem Vorschlag der Kommission gar nicht die Sorge um die Einkommen der Rentner“, kritisiert darum der linke EU-Abgeordnete Martin Schirdewan. Vielmehr gehe es der EU-Behörde „um die Öffnung eines neuen Marktes für die Finanzindustrie“.

Wettbewerb ist für Dummies

Der allerdings wird gewaltig. Mit einem einheitlichen EU-Rentensparprodukt werde die Nachfrage nach solchen Finanzanlagen bei besser verdienenden Mittelschichtbürgern von bisher 700 Milliarden Euro auf 2,1 Billionen Euro im Jahr 2030 anwachsen, prognostizierte eine Studie für die EU-Kommission. Noch müssen das EU-Parlament und der Rat der Finanzminister dem Vorhaben zustimmen. Aber die konservativ-liberale Mehrheit hat schon ihre Zustimmung signalisiert. Und kein Finanzkonzern ist dafür besser gerüstet als Blackrock.

Schon jetzt stammen nach Angaben des Unternehmens drei Viertel der bei ihm angelegten 6,3 Billionen Dollar aus staatlichen und betrieblichen Pensionsfonds. Mit seinen börsengehandelten Aktien- und Anleihefonds, den sogenannten „exchange-traded funds“ (ETFs), stieg das Unternehmen in den zehn Jahren seit dem Lehman-Crash vom kaum bekannten kleinen New Yorker Vermögensverwalter unter der Marke „ishares“ zum Weltmarktführer auf. Und Größe ist alles, was auf diesem Markt zählt. Je mehr Geld in die Konzernfonds fließt, umso billiger kann dieser die Verwaltung anbieten und so die europäischen Konkurrenten bei der Allianz, der Société Générale oder der Deutschen Bank ausstechen.

Absehbar ist daher, dass der US-Finanzriese mit dem Geld der europäischen Sparer noch größer und mächtiger wird. Das allerdings wird einer anderen Abteilung der EU-Kommission umso mehr Arbeit und Ärger einbringen. Denn je größer das bei Blackrock verwaltete Vermögen wird, umso größer werden auch die Aktienpakete, die der Konzern im Namen seiner Kunden verwaltet. Damit aber hebeln die Geldverwalter zusehends das Grundprinzip der Marktwirtschaft aus: den offenen Wettbewerb. Denn vielfach sind sie nicht mehr nur Großaktionär eines Unternehmens, sondern gleich mehrerer oder sogar aller führenden Unternehmen in einer bestimmten Branche.

Schon jetzt ist der Fink-Konzern etwa beim britischen Bankriesen HSBC, den spanischen Banken Bilbao und Santander, der italienischen Banca Intesa, der niederländischen Bank ING und der Deutschen Bank größter oder zweitgrößter Aktionär und verfügt damit über Einfluss in der gesamten Finanzbranche. In der Chemieindustrie sitzt Blackrock sogar transatlantisch auf allen Seiten. Bei Bayer und Monsanto, BASF und DowDuPont, beim Gase-Hersteller Linde ebenso wie bei dessen US-Konkurrenten Praxair zählt der Konzern zu den führenden Aktionären.

Für einen derartigen Eigentümer macht es keinen Sinn mehr, wenn verschiedene Unternehmen mit niedrigen Preisen um Marktanteile kämpfen. Das senkt nur den Gewinn und damit den Börsenwert und damit die Gebühreneinnahmen von Fondsverwaltern wie Blackrock. Deren „horizontaler Aktienbesitz“ über ganze Branchen hinweg sei „die größte Bedrohung des freien Wettbewerbs unserer Zeit“, warnte darum der US-Kartellrechtsexperte Einer Elhauge von der Universität Harvard.

Die gleiche Sorge hegt auch Kommissarin Margrethe Vestager, die Chefin der EU-Kartellaufsicht. Es sei „zunehmend üblich, dass dieselben Investoren Aktien verschiedener Unternehmen derselben Branche halten“, erklärte sie. „Für diese ist Wettbewerb nicht so attraktiv“, bemerkte die streitbare Dänin spitz. Ihre Behörde hat darum eine ausführliche Studie über die drohenden Folgen in der EU in Auftrag gegeben, bestätigte die Behörde gegenüber Investigate Europe.

Vielleicht sollte Kommissarin Vestager auch mit ihrem Kollegen Dombrovskis noch mal ein ernstes Wort reden.

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