Alle Macht dem Geschäftsführer

Kunst & Geld In der Kulturpolitik wird zunehmend von Stiftungen bestimmt – mit verheerenden Folgen für den deutschen Film. Über die Strukturschwäche der deutschen Förderlandschaft
Alle Macht dem Geschäftsführer

Foto: Charly Hall

Ohne Stiftungen geht kaum mehr etwas im Kulturbereich. Gäbe es keine Stiftungen, säße das Museum auf seinen Beständen, der Kunstverein könnte nichts ausstellen, das Filmfestival seinen Wettbewerb zwar abhalten, aber keine Retrospektive zeigen, das Stadttheater seine Pflichten den Abonnenten gegenüber erfüllen, aber kaum mit Uraufführungen und Projekten den Sprung ins überregionale Feuilleton schaffen. Hier entsteht eine neue Macht, denn die Entscheidung über die Verwendung öffentlicher Mittel wird mit erklärtem Willen von Politik und Ministerialbürokratie zunehmend in solche mehr oder weniger privatrechtlich strukturierten Körperschaften verlagert.

Das Land Sachsen etwa erwog vor einiger Zeit, sämtliche Mittel der öffentlichen Kulturförderung in privatrechtliche Strukturen zu überführen. Dem einen oder anderen kamen dann aber doch noch ein paar verfassungsrechtliche Bedenken. In Nordrhein-Westfalen sollten zuletzt alle noch ministerialer Hoheit unterstellten Mittel für Festivals, Werkstätten und Publikationen im Bereich Film der Film- und Medienstiftung NRW übertragen werden, nachdem dort die kulturelle Förderung bereits vor Jahren wegen „Ineffizienz“ aufgelöst und an die erkennbar wirtschaftlich ausgerichtete große Schwester übertragen worden war. Die Geschäftsführung der Stiftung hätte dann ohne Gremien auch über all jene entschieden, die über die von ihr geförderten Filme zu entscheiden haben. Nach Protesten der Betroffenen wurde das Vorhaben durch die Ministerpräsidentin abgeblasen. Die Film- und Medienstiftung NRW fördert seit einigen Jahren großzügig das Kinofest Lünen, das regelmäßig zahlreiche von ihr geförderte Filme zeigt. Zwischenzeitlich war dessen Festivalleiter sogar bei der Stiftung angestellt.

In Deutschland sind auf diese Weise und ohne dass dies in der Öffentlichkeit besondere Wahrnehmung erfahren hätte, bereits fast alle Mittel der Filmförderung – ob für Filme selbst oder für Festivals, Publikationen usw. – und auch wichtige Bestandteile der Kunstförderung solchen Strukturen übergeben worden. Die Tendenz dieser Entwicklung ist steigend.

System des roten Teppichs

Wer auf diese Weise etwas abstößt, will etwas gewinnen. Die Entwicklung wird nicht von den einfachen Abgeordneten vorangetrieben, sondern durch die politische Elite der Fraktionsvorstände und Ministerien, die hinsichtlich der Aufgaben, die sie in Aufsichtsräten und anderen Organen volksvertretend ausübt, seit jeher ein enges Verhältnis zur Macht pflegt. Die Politik gewinnt Selbstdarstellungsmöglichkeiten; das ist der Pakt. Sichtbarkeit ist alles. Die nächste Landtags- oder Senatswahl kommt bestimmt.

Einer der Fraktionssprecher im nordrhein-westfälischen Landtag machte deutlich, worum es im Grunde geht und worin der Vorteil einer Verlagerung öffentlicher Mittel für die Zuwendungsempfänger liegen soll: der Unbeständigkeit parlamentarischer Entscheidungen zu entgegnen. Mit anderen Worten: Sind die Fördermittel einmal verlagert, hat das Parlament nichts mehr mitzureden. Entscheidungen sind somit demokratischer Dynamik entzogen und der zumindest strukturell möglichen Willkür Einzelner nunmehr fast schutzlos ausgeliefert. Gleichwohl fühlen sich viele Volksvertreter und Beamte – selbst im engen Korsett von Erlässen und Sparzielen – durch ein solches System von der Last der Verantwortung und der sachlichen Komplexität entlastet und erhoffen sich einen personellen wie finanziellen Handlungsspielraum, den sie längst verloren haben.

Die neu gegründeten Stiftungen und GmbHs bieten Politik und Ministerialbürokratie allemal bessere und attraktivere Darstellungsmöglichkeiten bei gleichzeitig abnehmendem Aufwand. Auf einmal sitzt man selbst in den Aufsichtsräten und immer in der ersten Reihe, man nimmt selbst maßgeblich Einfluss auf Personalentscheidungen, und das schafft eine neue Verbindlichkeit. Auf Pressekonferenzen, auf Fotos, auf Premieren und Empfängen, immer in glanzvollem Rahmen, gerne auch im Ausland, ist man nun prominent vertreten. Es ist das System der roten Teppiche.

Der Förderintendant

So wird zugleich ein neuer Typus des Kulturförderers geschaffen. Während die Ministerialbürokratie stets weitgehend auf eigene Initiativen verzichtete und bemüht war, im Stillen und unter direkter Aufsicht der Politik immer ebenso gesichts- wie auch farblos eine konjunkturunabhängige, sachverständige und dauerhafte Fördersituation zu erzielen, ist der Geschäftsführer der immer mächtiger werdenden Stiftungen tendenziell von ganz anderen Motiven geleitet, da er öffentlich stärker unter Beobachtung steht und daher unter kurzfristigem Erfolgsdruck.

Der Geschäftsführer bewegt sich mit den großen Namen und den Vertretern der Presse auf Du und Du und fährt mit einem relativ kurzfristigen Förderhorizont mit absehbaren Ergebnissen und Evaluierungen allemal besser als mit einer unspektakulären institutionellen Förderung oder der Unterstützung unbekannter junger Künstler, bei der er sich mit der Darstellung des Logos zufriedengeben müsste. Kulturförderer aber werden selbst zu einem Teil der künstlerischen Umsetzung in dem Maße, wie ihre persönlichen Interessen in das Projekt einfließen. Der Kulturförderer wird zum Förderintendanten. Somit besteht die Gefahr, dass finanzielle Entscheidungen in erster Linie der kurzfristigen Legitimation dienen, nicht der langfristigen Investition.

Gremienfreie Zone

Die Gewaltenteilung zwischen denen, die Kultur fördern, und denen, die Kultur machen, erodiert. Es entsteht ein Unbehagen über eine strukturelle Konzentration und Alleinstellung von Fördermitteln, nicht selten in der Hand einer Person, die teilweise ohne Gremien über große Fördersummen entscheiden kann, von denen eine große Anzahl von potenziellen Zuwendungsempfängern direkt oder indirekt abhängig ist, weil keine oder nur wenige Alternativen bestehen. Der Förderintendant konzentriert Entscheidungsgewalt und reklamiert zugleich Sichtbarkeit. Er wird zum Mäzen, ohne notwendigerweise für künstlerische Qualität einzutreten. So wird Kulturförderung zum Repräsentationszweck und Standorteffekt. Das ist neu und wirft die Frage auf, wie verfassungskonform eine solche Entwicklung ist, die Kulturförderung zunehmend politisiert. Was staatsrechtlich korrekt sein mag, kann kulturpolitisch gesehen doch eine erhebliche Einschränkung demokratischer Prinzipien darstellen. Norbert Lammert hielt in einer klugen Rede zum zehnjährigen Jubiläum der Kulturstiftung des Bundes fest: „Der Zweck der Kulturpolitik ist Kultur, nicht Politik“.

Das Medienboard Berlin-Brandenburg, das mit fast 30 Millionen Euro pro Jahr ebenfalls in nicht unwesentlichem Umfang öffentliche Mittel verausgabt, hat schon vor geraumer Zeit ein Intendantenmodell als gremienfreie Zone eingerichtet. Aber auch Gremien garantieren kein künstlerisches Niveau, wenn sie treue Diener von Herren sind, deren Interessen in der Regel kaum kulturell genannt werden können. In vielen Gremien sitzen Vertreter, die von den Gesellschaftern entsandt werden. Dies gilt nicht nur für die zur Film- und Medienstiftung NRW Entsandten aus den Fernsehanstalten, die dafür sorgen, dass die geförderten Filme ihren Normen entsprechen.

Selbst eine vergleichsweise kleine, mit weitaus weniger als einer Million Euro ausgestattete Stiftung wie das Kuratorium junger deutscher Film, das einmal so etwas wie kulturelle Filmförderung in Deutschland überhaupt begründete, ist mittlerweile in fester Hand all derer, die auch in den großen Stiftungen das Sagen haben: Dies ist in erster Linie die Fernsehwirtschaft, es sind aber auch die Förderanstalten selbst, die sich auf diesem Wege mittelbar selbst unterstützen, da Filmprojekte in der Regel nicht nur mithilfe einer einzigen Förderung zustande kommen. Derzeit werden Förderentscheidungen, die den deutschen Film unmittelbar oder mittelbar betreffen, fast ausschließlich durch Gremien getroffen, die von institutionellen Interessen abhängig sind, das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) einmal ausgenommen.

Qualität ist gleich Erfolg

Gleichwohl hat das BKM – abgesehen von den Preisgeldern für Kurzfilm – die Mittel des Deutschen Filmpreises einer Institution überlassen, die zur Entscheidungsfindung eine Abstimmung unter ihren Mitgliedern, denen Sachverstand offenbar von Berufs wegen unterstellt wird, als hinreichend ansieht. So hat sich ein Preis für künstlerische Qualität, der zuvor auf Grundlage einer Diskussion unter Juroren vergeben wurde, in der Deutschen Filmakademie zu einem Preis für den beliebtesten Film entwickelt. Auch hier gilt also das Diktat der Quote. Das Leitbild des Preises ist nicht mehr qualitativer Anspruch, sondern Erfolg; die Unterscheidung zwischen Qualität und Erfolg wird aufgehoben.

Dies ist Ausdruck eines politisch-industriellen Komplexes, der in seinen Entscheidungen unentwegt eigene reduktionistische Ansprüche und institutionelle Interessen reproduziert. Ein solches System droht, der Kultur die Extreme zu amputieren.

Immer weniger Personen entscheiden über immer mehr Mittel und sind dabei immer weniger unabhängig. So werden Antragsteller von einem kleinen Kreis von Entscheidungsträgern abhängig. Das befördert ein Klima der Angst und kulturellen Uniformität. Mit Widerspruch ist kaum zu rechnen, sind doch die Betroffenen zugleich Abhängige. Bei dem Leiter einer großen Filmstiftung durften Medien und Institutionen nicht mehr mit Förderung oder Anzeigen rechnen, wenn sie sich kritisch zeigten.

Wie weit der Einfluss der Geschäftsführer mittlerweile reicht, kann man daran ablesen, dass die ehemalige Generalsekretärin einer Kunststiftung den ihr unliebsam gewordenen künstlerischen Leiter absetzen konnte. Als Hauptförderin durfte sie sich zugleich als Trägerin fühlen. Eine Nachfrage im zuständigen Ministerium wurde zunächst gar nicht und dann nach einem Jahr und weiteren Nachfragen lapidar mit einem Schreiben beantwortet, das am Ergebnis freilich nichts änderte. Nicht aber die Personen sind das Problem, sondern Strukturen, in denen Personen zum Problem werden können.

Lars Henrik Gass ist Autor, Kurator und Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen. Zuletzt erschien von ihm Film und Kunst nach dem Kino im Philo Fine Arts Verlag

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