Kann es eine Alternative zum Bestehenden geben? Lange Zeit hing die Antwort darauf vom politischen Standpunkt ab. Heute, sagt der Kulturtheoretiker Mark Fisher, ist schon die Frage unverständlich. Es fehle schlicht die Vorstellungskraft, eine ganz andere Gesellschaft zu denken: „Fukuyamas These, die Geschichte gipfele im liberalen Kapitalismus mag oft verspottet worden sein, doch auf der Ebene des kulturell Unbewussten wird sie akzeptiert, sogar vorausgesetzt.“
Diese Haltung nennt Fisher in seinem gleichnamigen Essay, der im November in einer deutschen Fassung im VSA-Verlag erscheinen wird, den „Kapitalistischen Realismus“. Dessen Folgen sind immens, so die These seines Buches: Unsere Kultur habe die Fähigkeit eingebüßt, Neues hervorzubringen.
Eine
ingen.Einen ähnlichen Schwerpunkt setzt ein jüngst veröffentlichter Band, der die Beiträge einer Wiener Ringvorlesung versammelt. Ähnlich wie Fisher erkennen die Autoren ein Problem der Kritik. Der Kapitalismus vermochte immer wieder, ihr die Spitze zu nehmen und sie zur Selbstreform zu nutzen. Seine Gegner versorgten ihn somit ungewollt mit frischen Impulsen. „Aus der Künstlerkritik von 1960 wurde die Wertordnung des neuen Kapitalismus im Jahr 2000“, schreiben Monica Titton und Herausgeber Sighard Neckel in der Einleitung.Vielen Subkulturen ist dabei ihr einstiger rebellischer Charakter abhanden gekommen. Nirvana dient Mark Fisher als tragisches Beispiel für diese Entwicklung. Ihr Frontmann Kurt Cobain habe erkannt, dass jede stilistische Innovation ausgeschöpft sei und „dass auf MTV nichts besser läuft als ein Protest gegen MTV“. Er verkörperte die Verzweiflung jener Generation, die nach dem postulierten Ende der Geschichte aufwuchs und „deren kleinster Schritt antizipiert, aufgespürt, erworben und verkauft wurde, noch bevor er geschehen war“. Bitter diagnostiziert Fisher, die kapitalistische Kultur beschränke sich nicht mehr darauf, vormals subversive Impulse zu integrieren. Heute würden Begehren, Sehnsüchte und Hoffnungen gleich „preemptiv“ geformt. So markierte „independent“ nicht länger eine Spielart des Undergrounds – sondern den dominanten Stil des Mainstreams.Anstelle des Widerspruchs tritt in der Popkultur ein hohler Enthüllungsgestus, der beansprucht, schonungslos eine gewalttätige Gegenwart zu beschreiben, mit der er sich tatsächlich längst arrangiert hat. Diese zynische Pose findet sich ebenso im Hip-Hop, in Gangsterfilmen wie Pulp Fiction, in den Krimis von James Ellroy oder den Comics von Frank Miller. Sie behaupten, „die Welt von sentimentalen Illusionen entkleidet zu haben und sie als das zu sehen, ‚was sie wirklich ist’: ein Hobbes’scher Krieg aller gegen alle, ein System immerwährender Ausbeutung und verallgemeinerter Kriminalität.“ Diese vermeintliche Kritik mündet aber nicht in Empörung, schreibt Fisher, eher bewirkt sie eine Desensibilisierung, die letztlich die Verhältnisse stützt.Kein Wunder, dass Pop selbst in Teilen der alten Eliten als salonfähig gilt. Das illustriert Michael Parzer in dem Wiener Sammelband überzeugend an Karl-Theodor zu Guttenberg. Erwartet werden konnte, dass der adlige Verteidigungsminister Klassik und Jazz schätzt – sein Besuch auf einem AC/DC-Konzert sorgte hingegen für Überraschung. Das sollte allerdings nicht als Ausdruck einer kulturellen Demokratisierung missverstanden werden, argumentiert Parzer. Eher trage es dazu bei, soziale Ungleichheiten subtil zu verschleiern. Als typischer Vertreter der „kulturellen Allesfresser“ erziele der Minister einen Distinktionsgewinn sowohl gegenüber jenen, die allein auf die so genannte Hochkultur fixiert bleiben, als auch gegenüber den reinen Pop-Konsumenten.Gleichzeitig signalisiert der breite Geschmack genau jene Offenheit und Wendigkeit, die für das Bestehen in einer Netzwerkökonomie unerlässlich sind. Diesen Wandel in der Arbeitswelt illustriert Fisher anhand zweier Gangsterfilme. Die Mafiosi in Der Pate verkörpern das Idealbild des traditionellen Unternehmers, der stolz seine lokalen Wurzeln betont und Familienwerte hochhält. Dagegen gibt Robert De Niro in Heat den bindungslosen kriminellen Experten: „Du darfst dich niemals an etwas hängen, das du nicht innerhalb von 30 Sekunden problemlos wieder vergessen kannst, wenn du merkst, dass dir der Boden zu heiß wird.“ Er scheitert am Ende, weil er seinem eigenen Credo nicht entsprechen kann.Die Segnungen erzwungener Flexibilität bezweifelt Fisher: „Dauerhafte strukturelle Instabilität und die Aufgabe langfristiger Perspektiven führen ausnahmslos zu Stagnation und Konservatismus – nicht zu Innovation.“ In seinem Essay kritisiert er den Neoliberalismus nicht zuletzt anhand dessen eigener Maßstäbe: Er verheißt kulturelle Vielfalt, erzeugt aber Konformität. Denn eine Gesellschaft, die derart von Angst und Zynismus geprägt sei, pflege bloß die Kunst der minimalen Variation. Ulrich Bröckling bringt das im Wiener Band auf die paradoxe Formel: „Wenn jeder besonders sein soll, gleichen sich alle darin, sich von den anderen unterscheiden zu müssen. Und obendrein von sich selbst.“Bröcklings Beitrag gehört zu den lesenswerten im Buch von Sighard Neckel, dem leider ein wenig der rote Faden fehlt. Letztlich beantwortet weder dieser Band noch jener von Mark Fisher abschließend, wie eine Kritik beschaffen sein muss, damit sie nicht vereinnahmt werden kann. Die Stärke beider Veröffentlichungen liegt in der Analyse des Kapitalismus als „Lebensform“ (Neckel).Dabei diagnostiziert Fisher pointiert eine bunt schimmernde Einförmigkeit und drückende Alternativlosigkeit. Ein solches Bild reizt zum Widerspruch. Das utopische Denken ist keineswegs einer allgemeinen Ernüchterung gewichen, sondern tritt an den unterschiedlichsten Orten in Erscheinung, sei es in den Debatten um ein bedingungsloses Grundeinkommen, sei es in der OpenSource-Bewegung. Es hat allerdings bislang nicht die Form einer großen Erzählung angenommen, wie sie Fisher offenbar vorschwebt.Dieser Einwand schmälert seine Leistung nicht. Ohne Nostalgie für die Nachkriegsjahrzehnte stellt Mark Fisher einige vorherrschende Tendenzen der Gegenwartskultur heraus. Sein Essay lädt ein, scheinbar unverbundene Phänomene in der theoretisch untermauerten Gesamtschau zu betrachten. Sein Buch ist originell, flüssig geschrieben und zeigt einen oft vermissten Mut zur starken These.