En vogue in Qingdao, China: der Facekini gegen alle Arten Gift
Foto: Kevin Frayer / Getty Images
Noch der größte Optimist dürfte allmählich begreifen, dass die Menschheit erst ruht, wenn sie die Welt zerstört hat. Atomschlag, Klimakrise, Wassermangel, Eiszeit, Dürre, Weltbürgerkrieg, Geierkapitalismus: Egal welche Endzeitphantasie man aufruft, sie scheint plausibel. Bald fliegt uns alles um die Ohren. Und die Lunte haben wir selbst angesteckt. Insofern erscheint Zukunft als Katastrophe als omnipräsentes Szenario für einen baldigen Untergang des allzu hochmütigen Homo sapiens – auch jenseits der Stammtische.
Die 1965 in Frankfurt am Main geborene Germanistin Eva Horn, die an der Universität Neuere deutsche Literatur lehrt, hat die Spielarten des Untergangs in Literatur, Sachbuch und Film seit etwa 1800 auf 480 Buchseiten zusam
80 Buchseiten zusammengetragen, inklusive Fußnoten, Bibliografie und Register. Und das Ergebnis ist in der Tat bestürzend.Horn führt uns zunächst in die Epoche der Romantik, deren schwarze Seite den „Letzten Menschen“ erfand, der im Angesicht der eigenen Erstarrung auf die Trümmer der Schöpfung blickt. Byrons Schauergedicht „Darkness“ von 1816, das in erhabenen Worten den Kampf aller gegen alle nach dem Erlöschen der Sonne zelebriert, ist fraglos ein literarischer Höhepunkt von eisiger Schönheit. (Ob man in Zeiten des Internets das ganze Poem erst englisch, dann deutsch abdrucken muss, ehe man es in eigenen Worten zusammenfasst, sei dahingestellt.) Hoffnungsvoller als Byrons gottesleere Menschheitsdämmerung erscheint da Grainvilles Roman Le Dernier Homme (1805), in dem sich der letzte noch zeugungsfähige Mensch auf Erden gegen die eigene Reproduktion und den mit ihr verbundenen Fluch zukünftiger Selbstzerstörung entschließt. Er stirbt, heldisch und allein, als Letzter seiner Art.Im zweiten Kapitel des Buchs dann: die Bombe. Horn erklärt beispielsweise, wie in Kubricks Film Dr. Seltsam (1964) Krieg, Sex und Wahnsinn zum zynischen Cocktail vermischt werden, der den Overkill in diabolisches Gelächter verwandelt. In einem weiteren Kapitel verhandelt sie das Thema Überleben im Angesicht der Katastrophe. Schutzräume und Privatbunker kommen hier vor, die Autorin rekapituliert Becketts kongeniale Zeitkommentare (Endgame), aber auch Cormac McCarthys atemberaubenden Thriller The Road von 2006, der den Kannibalismus nach der ultimativen Katastrophe ausspintisiert. Es folgt ein Kapitel über automatisierte Unfälle und Super-GAUs, schließlich ein Abschnitt über ignorierte Kassandra-Rufer, die in der Katastrophenliteratur seit der Antike ihr topisches Dasein fristen.Von Film zu FilmEin eigenes Kapitel gebührt auch dem Klimawandel. Instruktiv erscheint hier der Exkurs zum Thema „Mensch und Wetter“, der die vermeintlich mentalitätliche Abhängigkeit der „Rassen“ vom Klima auslotet, so die im 18. Jahrhundert von Winckelmann und vielen vertretene Meinung, die Sonne Griechenlands habe die Knospe der Kultur erst zur Blüte geweckt. Wichtig erscheinen solch antiquierte Ideen im Angesicht des Klimawandels noch heute. Denn, so der Glaube, ein verändertes Klima wird zwangsläufig auch den Menschen verändern. Das spiegelt sich dann beispielhaft an den Zukunftsvisionen der Nullerjahre, in Filmen wie The Day After Tomorrow (Regie: Roland Emmerich) oder An Inconvenient Truth (Schirmherr: Al Gore), denen Horn Michael Crichtons Doku-Roman State of fear gegenüberstellt. Hier die an die Wand gemalte Unwirtlichkeit, dort die Behauptung, die Schlechtwetterpropheten seien Lobbyisten ohne wissenschaftliche Basis.Emmerich – Gore – Crichton. Diese im Ansatz durchaus fruchtbare Gegenüberstellung hätte zwingend das verlangt, was Eva Horns Buch fast vollständig abgeht: die Analyse des Kontexts, in dem die hier ausgebreiteten Text- und Bilderzählungen stehen. Welchen Antrieb hatte jeder dieser drei, sich des Klimawandels als Katastrophenszenario anzunehmen? In welchem Team tut er das? Wer unterstützt das Projekt? Wer widerspricht, mit welchen Argumenten? Von diesem Fall ausgehend hätte man auch zeigen können, dass nicht allein die klimatischen, sondern sämtliche Narrative der Katastrophe – heutige wie historische – in politische Zusammenhänge eingebunden sind. Das heißt, es wird auch deshalb apokalyptisch erzählt, um soziale und wirtschaftliche Wirksamkeit zu entfalten. Wie dies geschieht, welche Interessen bedient werden, ob das Kalkül aufgeht, welche Eigendynamiken die Film- und Schreibkünste in diesem Umfeld entfalten, oder ob sie umgekehrt durch die Rahmenbedingungen geformt werden – darüber erfährt man nichts. Stattdessen arbeitet sich Horn an den Oberflächen der Erzählungen ab. Sie hangelt sich von Film zu Film, von Buch zu Buch, gefangen im Strudel der eigenen Materialsammlung.Die Kehrseite: OptimismusDoch nicht genug. Da es an kritischer Distanz zum Gegenstand mangelt, bleibt auch tiefergehendes Hinterfragen des Themas insgesamt aus. Handelt es sich bei „Zukunft als Katastrophe“ wirklich um ein eigenständiges Phänomen? Oder haben wir es nicht eher mit einer Spielart, genauer: einer Unterkategorie von „Kulturpessimismus“ zu tun? Jene vielgestaltige Krankheit der Intellektuellen, den Fortschritt der Welt in dialektischen Winkelzügen als Niedergang zu entlarven und auf diese Weise den Erholungswert eines Strandurlaubs mit Gefasel von Hautkrebs, Klimakatastrophe, Überfischung und Plastik im Wasser regelrecht zu zersetzen? Wenn ja: Welche anderen Kategorien des Kulturpessimismus haben sich in den Künsten niedergeschlagen, und wie steht Zukunft als Katastrophe zu ihnen – an Bedeutung, Quantität, inhaltlich?Am Ende der Lektüre fragt man sich gar, ob nicht der ganze Aufhänger des Buches an den Haaren herbeigezogen ist, die Behauptung nämlich, das „Zukunft als Katastrophe“-Szenario habe durch seine apokalyptische Eindringlichkeit jede Rede von hoffnungsfroher Zukunftsfreude unmöglich gemacht. Suhlen wir uns tatsächlich ausschließlich im projizierten eigenen Untergang? Schon mal gehört von „Vorsprung durch Technik“ oder „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause“? Mit einer genmanipulierten Banane, so war neulich zu lesen, will die Bill-Gates-Stiftung den Hunger in der Welt bekämpfen. Man mag das für naiv, gefährlich oder absurd halten. In jedem Falle ist Gates’ Gedanke eine Ausgeburt der kapitalistischen Moderne, die uns Fortschritt und Glückseligkeit durch menschgemachte Technik verspricht. Dass die Welt vor dem Elend gerettet werden könne, behaupten Konzerne, unterstützt durch die Medien, sicher auch seit 1800. Exakt solche Narrative der gnadenlosen Hoffnungsfreude, die Ängste einfach weglächelt, stehen Horns Katastrophenerzählungen gegenüber, ja beide Narrative reagieren aufeinander und stehen in komplexer wechselseitiger Beziehung, so dass das eine ohne das andere nicht zu verstehen ist. Bloß kommt diese zweite Seite der Medaille in Horns Buch gar nicht vor! Mit Scheuklappen bewehrt reitet die Germanistin durch Nacht und Eis von Literatur und Film, ohne zu merken, dass hinter ihr die Sonne längst aufgegangen ist.Das Problem hinter diesen 480 bedruckten Seiten lässt sich allenfalls erahnen. Eine Hochschulkarriere, wie sie Eva Horn als Professorin glänzend eingeschlagen hat, lässt heute zwischen Drittmittelakquise, Seminararbeitskorrektur und Verwaltung kaum Zeit, über ein Thema nachzudenken. Um dennoch zu publizieren, wird Bekanntes kompiliert, tranchiert auf Konferenzen und in Aufsatzbändchen abgesondert und dann zusammengestoppelt. Ein Buch, das auch abseits der eigenen Publikationsliste Relevanz entwickelt, gelingt dabei aber nur wenigen. Ist also das System schuld, dass hier ein Thema vergeigt wurde? Meinetwegen. Dann hätte die Autorin zumindest einen schönen Slogan dafür geliefert, worauf die höhere Bildung an unseren Akademien zusteuert: Zukunft als Katastrophe.
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