Asche eines Dominosteins

USA Vietnam ist lange her - Kriegsveteranen wirken wie Gespenster aus der Vergangenheit

Für junge Amerikaner ist schon der Golfkrieg ancient history, Geschichte des Altertums. Erlebte Realität - das sind Bill Clinton und Monika Lewinsky. Krieg "kennen" die jungen Leute höchstens von Fernsehberichten über den verwirrenden Balkan. My Lai (*), Weihnachtsbombardement (1972 gegen Hanoi), "Licht am Ende des Tunnels" (Nixon), "schweigende Mehrheit" (auch Nixon), Pentagon-Papiere, die Angst machende "Wehrpflicht" sind Fremdwörter. Nicht einmal die Hälfte der jetzt lebenden Amerikaner hat die chaotischen Bilder von der überstürzten Flucht der letzten Amerikaner Ende April 1975 aus Saigon life gesehen. Jimmy Hendrix' verzerrte Nationalhymne wird bestenfalls noch in Rundfunkprogrammen mit "klassischem Rock" gespielt.

Vietnam ist lange her. Kaum zu glauben, dass zwischen 1965 und 1973 2,1 Millionen junge Amerikaner in Südostasien Krieg geführt haben und 58.000 gefallen sind. Wenn John McCain von seiner fünfjährigen Gefangenschaft im Hanoi Hilton - dem Camp für kriegsgefangene US-Piloten in Nordvietnam - redet, wirkt er fast wie ein Gespenst aus der Vergangenheit. Viele Vietnam-Veteranen sind jetzt schon Großväter. Eine Minderheit hat dem Feind von damals nicht verziehen und warnt düster, dass Hunderte Amerikaner noch immer Kriegsgefangene seien in Vietnam. Ansonsten aber ist eher "Versöhnung" angesagt. Die Vietnam Veterans of America fordern jetzt sogar, dass die US-Regierung Studien finanziere, um die Auswirkungen von Agent Orange auf die vietnamesische Bevölkerung zu untersuchen. (Die Amerikaner hatten ein Siebtel des Territoriums von Südvietnam mit dem Herbizid besprüht, um der Guerilla die Deckung des Dschungels zu rauben und Reisfelder in Vietcong-Regionen /**/ zu zerstören.)

Sehr wohl im Gedächtnis geblieben ist Vietnam aber den Planern der "Nationalen Sicherheit". Sie gehen jetzt davon aus, dass Kriege kurz sein müssen, und amerikanische Soldaten nicht in Bodybags zurückkommen dürfen. Die Erfahrungen von Vietnam: Ein Heer von Bauern und eine Guerilla-Armee hatten - wenn auch mit Hilfe der Großen Brüder Sowjetunion und China - im Zuge einer Revolution die mächtigste Nation der Welt in die Knie gezwungen, während zugleich eine wachsende Anti-Kriegsbewegung Pläne vereitelte, den Krieg zu "intensivieren", wie Richard Nixon in seinen Erinnerungen einräumt. Tausende Soldaten wollten nicht mehr gehorchen, so manche Offiziere trieb die Angst vor einer Kugel von hinten. Zehntausende junge Männer verweigerten den Wehrdienst, und Zehntausende desertierten oder gingen vorzeitig nach Kanada. Verteidigungsminister Robert McNamara warnte seinerzeit Präsident Johnson, dass in den USA genügend Streitkräfte stationiert werden müssten, um "Unruhen" zu widerstehen.

Das war Vietnam - ein Fehler, wie inzwischen selbst McNamara zugibt. Kein Fehler der Werte und der Ziele, betont er, sondern ein fehlerhaftes Einschätzen amerikanischer Fähigkeiten. Dabei unterschied sich Vietnam anfangs kaum von anderen Expeditionen des Kalten Krieges, um die Sowjetunion und China in Schach zu halten, um die "Dominosteine" nicht kippen zu lassen und um amerikanische "Glaubwürdigkeit" unter Beweis zu stellen. Anfangs wollten amerikanische Politiker an Vietnam und dem Rest Indochinas ihre Bereitschaft zur Eindämmung des Kommunismus zeigen. Aber im Laufe der Zeit, schrieb der Historiker William Appleman Williams, hätten die Amerikaner in Vietnam um Vietnam selber gekämpft. Die Strategen hätten den Fehler begangen, den global gesehen eher zweitrangigen Konflikt zum alles dominierenden Hauptkonflikt zu machen. Diesen Fehler macht Clinton auf dem Balkan nicht.

Ein Nachruf in der Washington Post Anfang April. Robert Komer ist mit 78 an einem Schlaganfall gestorben. In Vietnam war der Mann als Blowtorch Bob bekannt gewesen, als Flammenwerfer gegen den Kommunismus. Er habe den Grundstein gelegt für das "Phoenix Programm", "Vietcong Loyalisten" (s. Kasten unten) in Südvietnam aufzuspüren, hieß es in der Post. Später hätten Kritiker "Fragen gestellt", ob Regierungsgegner dabei manchmal ermordet worden seien. So wird Geschichte umgeschrieben. Von wegen "Fragen gestellt". Die Amerikaner und ihre südvietnamesischen Verbündeten haben beim Phoenix-Programm nachgewiesenermaßen zehntausende Vietnamesen gefoltert und getötet. Die amerikanischen Veteranen dürfen aber jetzt nicht als Mörder gelten. Sie werden zu Helden erhoben oder als Opfer bemitleidet.

Er habe Verhören beigewohnt, bei denen US-Marines verdächtigen "Viet Cong" Bleistifte in den Gehörgang gehämmert hätten, erinnerte sich der Militärberater Barton Osborn. Er sei mitgeflogen, als die Marineinfanteristen zwei "Vietcong" im Hubschrauber mitgenommen und einen herausgestoßen hätten, um den anderen zum Reden zu bringen. Im Wohnhaus von CIA-Agenten und anderen Gemeindienstlern in Da Nang hätten die Bewohner Ohren von Opfern des Phoenix-Programms auf der Wäscheleine zum Trocknen aufgehängt. Die Bürokraten in Washington wollten doch einen Body Count haben. Die große Abrechung am Schluss: Fast zwei Millionen Vietnamesen sind ums Leben gekommen. Kein Wunder, dass die Letzten in der US-Botschaft von Saigon so frenetisch waren, auf die letzten Hubschrauber zu kommen. Da war Blut an vielen Händen.

Lange Zeit hat Amerika Vietnam seinen Sieg nicht verziehen. So sind die US-vietnamesischen Beziehungen erst seit 1995 endgültig "normalisiert". Abrechnen tun jetzt die Ölfirmen, Reiseveranstalter und Schuhhersteller in dem Billiglohnland mit den Zehntausenden von Bombenkratern.

(*) Ort eines Massakers. Dabei wurden am 16. März 1968 unter dem Kommando des Leutnants William Calley die Bewohner eines ganzen Dorfes massakriert.
(**) Vietcong, übersetzt: vietnamesischer Kommunist.

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