Asche im Mund

Nur eine Frage Warum bringt Deutschland im UN-Sicherheitsrat keine Resolution ein, die sich gegen jede militärische Lösung der Irak-Krise wendet?

Darf von einem deutschen UN-Botschafter erwartet werden, dass er Resolutionen des Sicherheitsrates kennt, möglicherweise sogar gut? Und dass er zusätzlich Buchstaben und Geist der Charta respektiert? Offenbar nicht. Diplomaten, die keinen Krieg führen wollen, ihn aber sofort als unvermeidlich betrachten, sobald er nur hinreichend legitimiert erscheint, wollen nicht überfordert werden. Also erklärt Botschafter Gunter Pleuger in New York, man brauche in Sachen Irak keine weiteren UN-Resolutionen. Das vorliegende Papier mit der Nummer 1441 reiche doch aus, um daraus ein UN-Mandat für das weitere Verfahren - auch einen Krieg gegen Bagdad - herzuleiten. Pleuger muss sich bei derartigen Schlüssen nicht anstrengen, er plagiiert lediglich die amerikanische Lesart, die der Rechtslage widerspricht, was sich inzwischen doch herumgesprochen habe dürfte. Das Dokument 1441 hat Gewalt gegen den Irak mitnichten autorisiert. Wenn der Botschafter das übersehen hat, könnte er sich zumindest daran erinnern, dass Frankreich, China und Russland in einer gesonderten Erklärung nach der Abstimmung über die Resolution festgestellt hatten: Es gibt keine Kausalität zwischen den Inspektionen, ihrem Resultat und der Entscheidung über Krieg oder Frieden. Wird die Resolution trotz alledem einer Deutung unterworfen, die so tut als ob, ist das genau genommen ein Verstoß dagegen. Man könnte dann auch gleich ohne Resolution vorgehen - ohne Mandat des Sicherheitsrates lavieren, im rechtsfreien Raum Krieg führen, was dem Vorgang an sich wohl am besten entspräche. Es sei denn, ein neues Dokument läge vor, das die von den Amerikanern gewünschte Ermächtigung zum Krieg enthielte und durch das Sicherheitsratsmitglied Deutschland mit Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung quittiert werden müsste. Genau diesen, gewiss in jeder Hinsicht aufschlussreichen Offenbarungseid aber wollen Schröder und Fischer unter allen Umständen vermeiden. So wird im Kniefall vor dem eigenen Radikalopportunismus lieber internationales Recht unterlaufen, damit es nicht zum Schwur kommt.

Seit Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Vereinten Nationen 1973 ist das ein einmaliger Fall von Missachtung des Völkerrechts, den - nicht ganz zufällig - eine sozialdemokratisch-grüne Regierung verantwortet, die in einer Mischung aus verklemmtem Regionalmacht-Gehabe und gesinnungsethischer Diskursneurose inzwischen dort gelandet ist, wo vor allem die Frage bewegt, wie gequält ein Ja zum Krieg noch klingen muss.

Es ist sicher müßig, heutzutage über moralische Qualitäten von Regierenden zu streiten, dennoch sollte es Grenzen für einen grob fahrlässigen Umgang mit Rechtsnormen geben, sobald jenseits dieser Grenzen das Sicherheitsrisiko beginnt. Daher - auch wenn es nicht als chic gilt, im Geruch antiquierten Brauchtums steht und die Worte nach Asche zu schmecken beginnen - sollte darauf verwiesen werden: Das alles beherrschende Credo der Vereinten Nationen ist das Prinzip des Gewaltverbots. Warum also verschont uns Botschafter Pleuger nicht mit seinen zweifelhaften Interpretationskünsten und bringt stattdessen für das Sicherheitsratsmitglied Deutschland eine Resolution ein, die in der gegebenen Situation jede Form der Gewaltanwendung gegen den Irak ausschließt? Er hätte damit das Grundgesetz, die UN-Charta, nicht zu vergessen die Wahlprogramme von Bundestagsparteien, das Wort des Papstes, die Kirchen in Deutschland (theoretisch sogar die Regierung) hinter sich - wer kann sich heute noch über soviel Rückhalt freuen, wenn er tut, was seines Amtes ist?

Siehe auch das Interview mit Willy Wimmer in dieser Ausgabe

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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