Hörbücher Christian Krachts Romanwerk wurde neu eingesprochen, von Dirk von Lowtzow, Schorsch Kamerun und Dieter Meier. Klingt erst mal schräg, ist aber kongenial
Vielleicht hätten wir, die Rezensenten, uns in ein sehr schäbiges oder teures Hotel in Hamburg einquartieren müssen, um besser zu verstehen, was hier eigentlich los ist. Christian Kracht veröffentlicht bei einem Schweizer Hörbuchverlag sein Romanwerk als Ganzes und nennt es Triptychon. Im nächsten Jahr soll nun sein vierter Roman erscheinen, den er ja eigentlich nie hat schreiben wollen, und von daher macht diese Veröffentlichung durchaus Sinn.
Krachts Epos, das Triptychon aus Faserland, 1979 und Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten, startet ganz im Norden Deutschlands, wie er Anfang der Neunziger war, spielt dann in Hamburg, im Iran, in China und schließlich in einer ganz anderen Realität. Während das 1995 erschienene Faserla
t. Während das 1995 erschienene Faserland noch von einem überaus gelangweilten und oberflächlichen Taugenichts erzählt wurde, so sind von diesem Ennui im Tonfall im späteren Werk nur einige dunkle Spuren übriggeblieben. Über die Gesellschaft, die im endlosen Krieg liegt, wird in einer Sprache berichtet, die wie der Krieg selbst ist: kalt, präzise, unentschlüsselbar.Jeder der drei Romane ist durch eine Reise strukturiert. Die Erzähler sind ständig, mehr oder weniger freiwillig, on the road. Alles beginnt in einer Welt, wie wir sie kennen. Aber diese anfangs nur leicht brüchige Welt wird dann nach und nach dekonstruiert, bis hin zur kompletten Entfremdung. Der Weg führt aus der Gegenwart (Faserland) über die Vergangenheit (1979) in eine dystopische Zukunft (Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten). Krachts Vorliebe für den Dreischritt ist bemerkenswert. Schon in dem von ihm herausgegebenen Erzählband Mesopotamia gliederte er die darin enthaltenen Texte in die Kategorien Werden, Sein und Vergehen.Eine Art FriedensangebotWie genau sich Christian Kracht nun den Dreischritt vorstellt, den sein Romanwerk zu gehen scheint, wird bei einem Blick auf das Cover des auf 1000 Stück limitierten Hörbuchs deutlicher. Dieses ziert das beeindruckende Gemälde Das Jüngste Gericht (Triptychon des Weltgerichts) des Malers Hans Memling aus dem 15. Jahrhundert. Die drei Teile des Gemäldes zeigen links den Aufstieg in den Himmel, rechts den Abstieg in die Hölle und mittig Jesus als Weltenrichter des Jüngsten Gerichts. Faserland steht unter der Bildseite des Paradiesaufstiegs, 1979 unter der der Höllenfahrt und IwhsiSuiS steht unter der größeren Mitteltafel des Jüngsten Gerichts. Während der Aufgang die neue Einkleidung der Menschen demonstriert und somit auch einen Bogen zum markenfixierten Popschick in Faserland schlägt, wird in der rechten Bildhälfte die schön-schreckliche Schilderung des Lebens im Gefangenenlager aus 1979 aufgegriffen.In diesem Sinne bilden die beiden ersten Romane einen Rahmen um das zentrale Werk: In IwhsiSuiS entwirft Kracht eine Dystopie, in der die Welt seit beinahe 100 Jahren im Krieg liegt und die totale Apokalypse, das Ende der Menschheit nach dem Jüngsten Gericht, nicht mehr weit entfernt scheint. Auch das Motto des Romans, ein D.-H.-Lawrence-Zitat, weist darauf hin: „Don’t you find it a beautiful clean thought, a world empty of people, just uninterrupted grass, and a hare sitting up?“ Der gelungene Abschluss eines Triptychons ist das Ende allen Lebens auf der Welt.Was nun aber an Krachts Triptychon so verwirrt, ist die Liste der Einsprecher: Faserland, gelesen von Dirk von Lowtzow? Klar, der Roman spielt zeitweise in Hamburg, aber waren von Lowtzow und seine Hamburger Schule-Indie-Band Tocotronic nicht ästhetisch bis aufs Blut mit Christian Kracht verfeindet? Prallten da nicht Welten aufeinander, zumindest in der Vergangenheit? Wie dem auch sei, es klingt interessant, wie von Lowtzow die Reichtumsinsignien und Oberflächlichkeiten des Romans runterliest: ganz ruhig, unerwartet tief, mit monotoner Intonation, die immer schön naiv wirkt. Ganz genau wie der Erzähler auch. Sein Vorteil dabei ist, dass der namenlose Erzähler gar niemand anderen zu Wort kommen lässt.Auch Schorsch Kamerun, u. a. Sänger der Goldenen Zitronen, wirkt als Einsprecher von 1979 erst mal ein wenig ungewöhnlich. Das (ironisch gebrochene) Rebellentum des Ich-Erzählers gegen den schnöseligen Christopher passt aber ganz gut zum linksradikalen Zitronen-Ethos. Einen Satz wie „Sandalen zu tragen, dear, ist der Bourgeoisie einen Tritt ins Gesicht zu geben“ aus dem Mund von Kamerun zu hören, ist – genauso wie das Einnehmen der Rolle des homosexuellen Architekten und die detaillierte Beschreibung der Häusereinrichtung und innenarchitektonischen Besonderheiten – Hohn pur und schlichtweg genial. Und erst sein Vorlesestil: laut, abgehackt, schnell. Herrlich spontan, gewollt unsicher, keine zwei Minuten rum, schon der erste Versprecher – so geht Rotzigkeit on point.VorzeigeschreiberDie Vorzeichen im populärkulturellen Deutschland haben sich geändert. In der Kriegsmetaphorik gesprochen, die Kracht in allen drei Romanen entfaltet, macht er hier eine Art Friedensangebot.Denn die Einsprecher von Lowtzow und Schorsch Kamerun waren eine Spiegelwand, zu der Kracht die größtmögliche Distanz suchen musste, um seine kalte Ironie erst entfalten zu können. Was nun hier passiert: Kracht, der Vorzeigeschreiber der Popliteratur – der er nur ganz kurz mal sein wollte, aber dann doch sehr lange blieb –, lässt sein Werk von drei Stimmen der Popkultur vertonen. (Denn auch Dieter Meier, der dritte Einsprecher, ist Sänger beim Elektro-Duo Yello.) Die Popkultur, das ist übrigens der knabenhafte Engel Michael, der stolz in der Mitte des Covers posiert; den alle anflehen, um in den Himmel zu kommen. Entweder du bist drin oder draußen.Der Thron des Triptychons ist aber eindeutig Dieter Meier vorbehalten, der Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten liest. Die Schwere im Klang seiner Stimme passt perfekt zum zermürbten Tenor der Hauptfigur. Genauso das Schweizerdeutsch, welches hin und wieder in leichten Nuancen gen Ende des Satzes die Oberhand gewinnt. Der Übergang von den beiden „naiven“ Erzählern aus Faserland und 1979 – die am Romanende übrigens beide, voraussichtlich, sterben – hin zum reiferen Erzählstil Dieter Meiers ist doppelt hart: Den Hörer erwartet hier ein ganz anderer Erzählduktus, und dazu dann noch eine tief männliche, ideale, gänzlich ironiefreie Stimme. Dieter Meier liest schier perfekt, so als ob unmöglich jemand anderes diesen Roman jemals wieder lesen könnte.Trickster-Clou erster GüteEs gehört zu Krachts Ästhetisierung der Welt, dass Charaktere anhand von Sprechrhythmik und Wortwahl beschrieben werden, so wie in einem Langgedicht von T. S. Eliot. Krachts Romane sind sehr kurz, Atmosphäre entsteht über Sprache. Wenn Dieter Meiers sonore Stimme nun über einem Satz wie „Ich lag im grauwollenen Nachthemd auf dem Holzbett, zerdrückte die Flöhe und das andere Getier, das mir auf der Haut rumlief, und rauchte Zigaretten.“ nachhallt, dann ist das ganz eindrücklich. Überhaupt: die Herausgabe dieser (neuen) Hörbücher – Faserland und 1979 existieren bereits als CD – unterstreicht einmal mehr die Bedeutung von Sprache und Sprechen in Krachts Werk. Lesungen, wie Ende Oktober in der Berliner MD72-Galerie, sind äußerst selten und changieren zwischen enervierender Unlust und pointierter Performance. Dem steht das Triptychon in nichts nach.Getreu seiner Routine des Verschwindens und Zurückziehens kommt Christian Kracht bei dieser Veröffentlichung selbst nicht zu Wort, erlaubte sich allerdings einen Trickster-Clou erster Güte und ließ Ingo Mocek den Pressetext schreiben. Mocek war im letzten Jahr in die Schlagzeilen geraten, als er in die Fußstapfen Tom Kummers trat und Interviews fälschte. Nun lobhudelt Mocek das dreigliedrige Werk Krachts in den Himmel, als „Pulsare, die aus degenerierter Materie strömen und unberechenbare harmonikalische Verhältnisse schaffen.“ Die Romane, die Gemälde, die Einsprecher: Ein schier unabsteckbares Bedeutungsfeld eröffnet sich, und doch wirkt alles, im Sinne des formstrengen Triptychons, ganz harmonisch. Man kann dieses Werk nur loben, insbesondere aber Dieter Meiers Vorlesekunst, die getreu Hegels dialektischem Dreischritt These-Antithese-Synthese alle Seiten versöhnt.
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